Nach der Diabetes-Diagnose: Negative Selbstgespräche sind Gift
„Wenn wir nicht länger in der Lage sind, eine Situation zu ändern, sind wir gefordert, uns selbst zu ändern“, sagte einst Viktor Frankl, ein österreichischer Neurologe und Psychiater, der auch heute noch weit über die Landesgrenzen geschätzt wird. Wer auf die Homepage von Dora Beer gelangt, sieht das Zitat gleich auf der Startseite.
Warum? „Wenn ich mit der Diagnose Diabetes konfrontiert werde, ist diese Tatsache in diesem Moment nicht mehr zu ändern. Dann kommt es darauf an, wie ich damit in Zukunft umgehe. Das Fortschreiten der Erkrankung hängt stark davon ab, ob ich bereit bin, mich zu ändern und ob ich mir das zutraue“, antwortet die Psychodiabetologin. Sie bietet Unterstützung für Veränderungsprozesse und hilft in Phasen von Überforderung.
Zuerst die Akzeptanz
Die wichtigste Voraussetzung für einen langfristigen Erfolg liegt in der Akzeptanz. Nur wer die Diagnose akzeptiert, kann nachhaltige Veränderungen umsetzen. Und die sind gerade beim Diabetes Typ-2 notwendig. Bewegung, Ernährung, Stress, Schlaf – das alles sind wichtige Faktoren bei der Entstehung der Stoffwechselkrankheit, aber umgekehrt auch bei deren Behandlung.
Stoffwechselstörung
Über die Nahrung nimmt der Körper Kohlenhydrate auf, die durch Enzyme in Zuckerteilchen zerlegt und zu Glukose umgewandelt werden. Glukose wird über die Darmwand ins Blut geschleust und mithilfe des Hormons Insulin zur Energieversorgung in die Körperzellen transportiert. Bei Diabetes ist dieser Vorgang gestört.
Genetische Veranlagung und Übergewicht
Die Ursache für Diabetes Typ-2, die häufigste Form von Diabetes, ist neben genetischen Faktoren meist Übergewicht. Durch die erhöhte Nahrungsaufnahme muss die Bauchspeicheldrüse mehr Insulin bilden. Gleichzeitig ist die Empfindlichkeit der Körperzellen gegenüber Insulin vermindert. Zum Ausgleich erhöht die Bauchspeicheldrüse die Insulinproduktion. Allerdings kann sie diese Höchstleistung nicht lange aufrechterhalten – und verliert schließlich ihre Fähigkeit. So bleibt die Glukose im Blut, die Blutzuckerwerte steigen. Durch eine Lebensstiländerung kann der Verlauf verlangsamt oder rückgängig gemacht werden. Gelingt dies nicht, sind Medikamente notwendig, um Folgeerkrankungen zu vermeiden.
„Studien zeigen uns, dass eine Lebensstilveränderung und eine Gewichtsabnahme bis zur Remission des Diabetes Typ-2 führen kann“, sagt Alexandra Kautzky-Willer, Präsidentin der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG). Mit Remission ist das vorübergehende oder dauerhafte Nachlassen von Krankheitssymptomen gemeint.
Eine ausgewogene Ernährung und Bewegung kurbeln die Fettverbrennung in den Organen und der Muskulatur an und steigern deren Insulinempfindlichkeit wieder. Deshalb stehen in der Therapie von Typ-2-Diabetes die Ernährungstherapie sowie die Steigerung der körperlichen Aktivität an erster Stelle.
Nicht sofort Medikamente
Erst wenn diese Maßnahmen erfolglos bleiben, soll gemäß der Leitlinien mit einer medikamentösen Therapie begonnen werden.
Die Aussicht, den Diabetes ohne Medikamente oder Insulinspritzen in den Griff zu bekommen, ist für Betroffene eine hohe Motivation. Vielen fällt es jedoch schwer, ihre Lebensgewohnheiten langfristig umzustellen. Denn der Spruch „Gesagt, getan!“ ist in der Realität gar nicht so einfach umsetzbar.
„Es gibt so viele Zwischenschritte, die einfach ausgeblendet werden. ,Gesagt’ bedeutet ja auch, dass ich verstanden haben muss. Das bedeutet aber noch nicht, dass ich einverstanden bin. ,Einverstanden’ bedeutet noch nicht, dass ich etwas auch wirklich umsetze. Und wenn ich schließlich etwas getan habe, bedeutet das noch nicht, dass ich es beibehalte“, schildert Dora Beer, die die Arbeitsgruppe für Psychodiabetologie im Berufsverband Österreichischer PsychologInnen (BÖP) mitaufgebaut hat.
Gemeinsame Ziele setzen
Dass gesunde Ernährung und mehr Bewegung guttun, das weiß wahrscheinlich jeder Mensch. Doch wie viele setzen es deshalb in ihrem Alltag um? Und wie lassen sich Menschen mit Diabetes Typ-2 nun zu einem neuen Lebensstil motivieren, wenn sie in ihrem ganzen Leben vielleicht noch nie Sport gemacht oder sich mit Ernährung auseinandergesetzt haben?
„Es ist wichtig, die Menschen dort abzuholen, wo sie stehen. Die Psychologie bietet dafür wunderbare Konzepte und Ansätze.“ Man müsse gemeinsam realistische Ziele definieren und in kleinen Schritten darauf zugehen.
Die richtige Beratung
Die richtige Beratung ist das Um und Auf: Greifbare und niederschwellige Hilfestellungen geben Mut zur Veränderung.
Bewegung entdecken
Bewegung ist ein Schlüsselfaktor in der Behandlung von Diabetes – und die soll Spaß machen, zum Beispiel in Form von Nordic Walking oder Wandern.
Ernährung anpassen
Eine Ernährungsumstellung muss nicht gleich Verzicht bedeuten, kleine Schritte, etwa weniger Fleisch, bringen schon Erfolge.
Dann geht es darum, positive Selbstgespräche zu fördern, Zuversicht und Vertrauen zu stärken.
Was sage ich mir selbst?
Beer: „Selbstmotivierende Aussagen beeinflussen unsere Gefühle und die bestimmen wiederum unser Verhalten. Ich kann zu mir selbst sagen: Das schaffe ich sicher nicht. Oder ich kann zu mir sagen: Ich schaffe das. Das macht einen großen Unterschied. Unsere Selbstgespräche bestimmen, welche Entscheidungen wir treffen und ob wir erfolgreich damit sind. Negative Selbstgespräche sind Gift für jeden Veränderungsprozess.“
Jeder Mensch spricht in Gedanken mit sich selbst. „Und wir glauben, was wir uns selbst sagen. Wenn wir uns also in Gedanken selbst fertig machen, ist das nicht zielführend“, so Beer. Oft sind die Gedanken an etwas schlimmer als die Situation selbst. „Hat man sich dann einmal überwunden und den Schritt gewagt, erscheint es im Nachhinein einfach.“ Erfolgserlebnisse und Spaß an der Sache sind wichtig, so Beer, beides könne durch Gruppenaktivitäten – wie zum Beispiel in Selbsthilfegruppen oder in Fitnessstudios – gefördert werden.
Rückfall ist Teil des Erfolgs
Und wie geht man mit Rückschlägen um? Beer: „Man muss wissen, ein Rückfall bedeutet kein Scheitern.“ Ein Rückfall ist also nicht das Gegenteil von Erfolg, sondern Teil davon. „Der Umgang mit einer chronischen Erkrankung ist ein ständiger Prozess und geht mal besser, mal weniger gut. Das hängt auch von anderen lebensbeeinflussenden Faktoren ab. Ein Jobverlust oder ein Beziehungsende können das Diabetesmanagement beispielsweise zusätzlich erschweren. Es ist normal, dass Betroffene an ihre Belastungsgrenze stoßen“, appelliert Beer für mehr Verständnis und Nachsicht.
Abschließend fasst sie zusammen: „Die Akzeptanz der Erkrankung, das Wissen und die Motivation zur Selbstbehandlung sowie der adäquate Umgang mit psychosozialen Herausforderungen sind entscheidend für den Behandlungserfolg.“ Psychische Herausforderungen stellen Hindernisse in der Diabetesbehandlung dar und seien deshalb im Sinne eines ganzheitlichen Behandlungsansatzes zu berücksichtigen.
Für die Zukunft wünscht sich die Spezialistin eine Ausweitung der interdisziplinären Zusammenarbeit und der Finanzierung psychologischer Beratungskosten.
Frage der Finanzierung
Derzeit besteht noch keine Möglichkeit einer Rückverrechnung mit den Krankenkassen. „Sieht man sich die enormen Kosten aufgrund der Spätfolgen des Diabetes an, so wird schnell klar, dass wir uns durch Investitionen in die Prävention längerfristig viel sparen würden.“ Mit dieser Ansicht ist Dora Beer nicht alleine. Auch ÖDG-Präsidentin Alexandra Kautzky-Willer betont: „Menschen müssen von einem Team betreut werden, nur so kann nachhaltige Veränderung gelingen.“
„Diabetes und Psyche. Blutzucker und Seele im Blick behalten“ heißt ein vom Berufsverband Österreichischer PsychologInnen (BÖP) entwickelter Folder, der über die psychischen Aspekte der Erkrankung bei der Diagnosestellung und im weiteren Krankheitsverlauf informiert (Gratis-Download auf der Website möglich).
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