Hochsensibilität: „Als könnte ich Staub fallen hören“
Was der Großteil der Menschen gar nicht bemerkt oder mit einem Augenzucken abtut, kann Hochsensible sprichwörtlich den letzten Nerv kosten und erschöpfend wirken. „Selbst ein mittelmäßiger oder bekannter Reiz wie etwa ein Arbeitstag kann für Hochsensible Ruhe am Abend erfordern“, schreibt Elaine Aron in ihrem Buch „Sind Sie hochsensibel?“, das als wichtigstes Werk zu diesem Thema gilt. Laura Karasinski hat sich in den Beschreibungen der US-amerikanischen Psychotherapeutin sofort wiedergefunden.
Hochsensibilität ist etwas sehr Individuelles, schreibt Elaine Aron in ihrem Buch. Wie erleben Sie diesen Wesenszug?
Laura Karasinski: Ich erlebe Hochsensibilität seit ich denken kann. Etwa durch die Feinheit der Tonvielfalt meines Alltags in Musik und Farben, aber auch dadurch, wie sich meine Stimmung abhängig von meinem Gegenüber verändern kann. Nicht selten kommt es vor, dass mich schöne Musik, gute Literatur oder ein einfaches virales Video emotional berührt. Bei Lieblingsliedern bekomme ich Gänsehaut, bei – selten vorkommender – Wut schüttelt es mein ganzes Nervensystem wie bei einem Frostschauer.
Im Negativen zeigt es sich aber leider auch in muskulärem Hartspann, also Verspannungen im Rücken, die mich seit meinem etwa 13. Lebensjahr nicht mehr loslassen. Meine Umwelt ist niemals still. Es fühlt und hört sich an, als könnte ich sogar den Staub fallen hören.
Sehr helles Licht oder sehr laute Musik – zum Beispiel auf Konzerten oder unter Scheinwerfern – oder stressige Situationen wie von Menschen überfüllte Orte wirken überstimulierend und energieraubend für mich. Deswegen habe ich immer Ohrstöpsel auf meinem Schlüsselanhänger dabei. Genau so stressig ist es für mich, vor großen Massen aufzutreten, was besonders in meinem Beruf und als gelegentliche Speakerin ein Lernprozess war.
Sie haben sich dazu entschieden, sehr offen mit dem Thema umzugehen. Hat das unmittelbare Auswirkungen auf Ihr Umfeld gehabt?
HSP zu thematisieren hat sich überaus positiv auf mein Umfeld ausgewirkt. Viele Freunde und Freundinnen verstehen nun vergangene Situationen besser und geben mir auch verständnisvoller den Raum, den ich brauche. Kunden verstehen, wenn ich Termine wegen Schlafstörungen absage – zum Beispiel, weil ein Auto zwei Straßen weiter vor meinem Haus die ganze Nacht alarmgeläutet hat.
Sie haben sogar einen TEDx-Talk darüber gehalten. (Anm.: TEDx-Veranstaltungen sind unabhängige Ableger der großen Innovationskonferenz TED)
Da ich mich als Kind und in meiner frühen Jugend oft als Außenseiterin gefühlt habe, dachte ich lange Zeit, etwas sei falsch mit mir. Menschen haben meine Hochsensitivität als Scheu und Prüderie abgetan, was mein Selbstwertgefühl nicht bestärkt hat. Letztendlich habe ich mich durch einen Schicksalsschlag mit dem Thema beschäftigt und das Buch von Elaine N. Aron gefunden. Jede Seite sprach mir aus der Seele und ich hatte das Gefühl, endlich das innere Kind beim Namen nennen zu können. Seither bin ich umso selbstsicherer mit mir und dem Thema.
Es war mir ein Anliegen, die Message nach außen zu transportieren, der TEDx-Talk kam dazu gut gelegen. Das Ziel war: Wenn ich mindestens eine Person mit dem Thema abholen kann, war es gut gewählt und sinnvoll. Um es der breiten Masse verständlicher zu machen, habe ich darüber erzählt, wie ich etwas, das jahrelang als negativ in meinem Leben galt, ins Positive gewandelt habe.
Sie haben darüber gesprochen, Ihre Sensibilität zu einer Superkraft zu machen. Wie gelingt Ihnen das?
Besonders im Beruf sehe ich meine Hochsensitivität als Superpower. Durch die Fähigkeit, Stimmungen, Schwingungen und Feinheiten zwischen den Zeilen zu fühlen, gelingt es mir umso besser, die Wünsche meiner Kunden herauszufühlen und das passende Produkt zu liefern. Das wird dadurch bestätigt, dass wir im Atelier großteils schnelle, zielgerechte Arbeit leisten und meistens schon die ersten Entwürfe abgenommen werden.
Was hilft Ihnen dabei, um mit der Reizüberflutung zurechtzukommen?
Ruhezeiten alleine zu Hause, Schlaf und Cranio-Sacral-Behandlung. Alle drei Optionen kann ich herzlichst empfehlen.
Welchen Umgang wünschen Sie sich von der Gesellschaft mit dem Thema Hochsensibilität und mit den davon betroffenen Menschen?
Ich wünsche mir, dass HSP in Zukunft weit verbreitet angenommen wird und nicht mehr lächerlich gemacht oder als Erfindung der Neuzeit eingestuft wird. Es wäre großartig, wenn die konservative Allgemeinmedizin Menschen, die HSP sind, annehmen und einhergehend die Diagnosen auch ganzeinheitlich erstellt werden. Dazu hatte ich einmal die Überlegung, eine Art Gütesiegel zu erstellen, das Praxen und Orte, die HSP-freundlich sind, auszeichnet. Vielleicht mache ich das noch.
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