Gesunde Kinder: Wie Eltern den Lehrern helfen können und umgekehrt
Österreichs Kinder leben immer ungesünder. Eine neue Langzeitstudie zeigt, dass fünf Prozent der Kinder unter 10 Jahren bereits einen Prädiabetes haben. „Das ist erschreckend viel“, sagt Alexandra Kautzky-Willer, Präsidentin der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG). Die gesundheitlichen Probleme ziehen sich durch – und finden ihren Höhepunkt im Erwachsenenalter. „Wir wissen, dass Prädiabetes oft in einen manifesten Diabetes übergeht. Dies lässt sich nur durch Lebensstilmaßnahmen verhindern.“
Warum steckt unsere Gesellschaft in dieser Situation? Wie kommt sie wieder heraus? Ein Blick in die Jausenbox und in den Schulalltag gibt Antworten.
Vorbildwirkung ist real
„Die Geschmackspräferenzen werden im Kindesalter vermittelt. Die Vorbildwirkung der Eltern spielt dabei eine wichtige Rolle“, sagt Manuel Schätzer, Ernährungswissenschafter bei Sipcan, einer Salzburger Gesundheitsinitiative. „Gerade die Kleinsten orientieren sich an ihrem Umfeld. Je öfter sie mit einem Essen positiv konfrontiert werden, desto eher akzeptieren sie es.“ Auch wenn Kinder später eine „restriktive Phase“ entwickeln, der Grundstein ist gelegt.
Das gilt auch für die Süßschwelle: Wer in jungen Jahren ständig Süßes konsumiert, braucht längerfristig mehr, um ein Geschmackserlebnis zu erreichen. Extreme Blutzuckerschwankungen tun den Rest.
Kluge Köpfe brauchen echte Nervennahrung: „Eine gesunde Jause besteht aus einer Kohlenhydratquelle, also ein dunkles Weckerl oder ein Brot mit Frischkäse und Gemüse wie Karotten oder Tomaten. Wenn die Kinder wollen, dann ein Joghurt oder Obst dazu. Und ein Getränk sollte nicht fehlen: Wasser, ungesüßter Tee oder gespritzter Fruchtsaft“, fasst Schätzer zusammen.
Auch Eltern profitieren
Den folgenden Satz hat der Experte schon oft von Eltern gehört: „Ich will keine Diskussion haben, dann bekommt er halt den Softdrink und den Schokoladenmuffin.“ Was sie damit bewirken, sei kontraproduktiv, denn das Kind könne sich bei ungesunder Ernährung schlechter konzentrieren. „Und wer muss sich am Abend mit den Kindern hinsetzen und Hausaufgaben machen?“, fragt der Experte. „Richtig, die Eltern. Da macht es einen großen Unterschied, ob das Kind den ganzen Tag nur Junkfood gegessen hat und der Zuckerstoffwechsel deshalb schwankt oder ob dieser ausgeglichen ist. Das hat Auswirkungen.“
Den Ausgleich fördert auch Bewegung. ÖDG-Präsidentin und Gendermedizinerin Alexandra Kautzky-Willer betont: „Wir sollten den Bewegungsdrang, den Kinder natürlich haben, unterstützten. Mädchen, die Fußball spielen wollen, sollen genau das machen. Wir dürfen keine veralteten Rollenbilder weitergeben. Jedes Kind kann alles machen. Und das am besten mindestens eine Stunde am Tag.“
Gesunde Schule
Schauplatzwechsel von zu Hause in die Schule. Angela Ransdorf steht zwischen Hochbeeten im Innenhof des Wiedner Gymnasiums. „Durch die gemeinsame Gestaltung und Pflege können wir den Schülern und Schülerinnen ökologische Zusammenhänge näherbringen“, erklärt die Biologielehrerin das Projekt.
Leistung darf nicht auf Kosten der Gesundheit gehen. Dafür wird mit der Akzentuierung "Gesundheit und Verantwortung" an unserer Schule gesorgt.
Es ist eines von vielen, unterstützt durch das Wiener Netzwerk gesundheitsfördernder Schulen (WieNGS). Ähnliche Initiativen gibt es österreichweit. Je nach Kapazität und Interesse wählt eine Schule die passende Kooperationsstufe. Das Netzwerk bietet entsprechend Leistungen an, in Form von Schulungen für das Lehrpersonal, Workshops zum Thema Ernährung und gesunder Jause für Kinder und Eltern und auch Sachleistungen.
Angela Ransdorf ist Gesundheitskoordinatorin des Wiedner Gymnasiums. Seit 40 Jahren schon vermittelt sie Kindern gesundheitsfördernde Kompetenzen. Welche das sind? „Auf sich selbst zu achten, die eigenen Bedürfnisse spüren und diese auch kommunizieren“, so Ransdorf. Ganz nach dem Motto: Was ich selbst schätze, darum kümmere ich mich auch. Und darauf achte ich auch bei anderen.
Das Gymnasium befindet sich zwar erst auf der zweiten von vier WieNGS-Stufen, kann aber eine Besonderheit vorweisen: ein Modul namens „Gesundheit und Verantwortung“. Angela Ransdorf: „Leistung darf nicht auf Kosten der Gesundheit gehen. Dafür wird mit dieser Akzentuierung gesorgt.“
Chancen wahrnehmen
Gerade das Thema Nachhaltigkeit, das derzeit einen echten Hype unter den Jugendlichen erfährt, kann als Chance begriffen werden. „Über diesen Weg kann auch ein gesunder Lebensstil vermittelt werden. Zum Beispiel weil die Kinder ihre Glasflasche wieder auffüllen möchten“, sagt Ema Euler-Rolle vom Vorstand des Elternvereins der Popperschule, die an das Gymnasium angeschlossen ist. In solchen Organisationen können sich alle Eltern engagieren und somit aktiv mitgestalten.
Aus dieser Rolle können wir uns nicht entziehen, man kann nicht alles auf das Lehrpersonal abschieben. Es liegt an uns, sich zu engagieren.
„Die Schule dient der Bewusstseinsbildung, das macht sie gut“, sagt Obmann Max Schörkhuber. Die größte Verantwortung liege aber immer noch bei den Eltern. „Aus dieser Rolle können wir uns nicht entziehen, man kann nicht alles auf das Lehrpersonal abschieben. Es liegt an uns, sich zu engagieren“, betont Vorstandsmitglied und Ärztin Elisabeth Meizer.
Am Schulbuffet
Das eine ist die Verhaltensprävention, das andere die Verhältnisprävention. Gegessen wird oft in der Schule, denn nicht jedes Kind bekommt von zu Hause eine Jause mit. Eine Gratwanderung, wenn in Schulbuffets Leberkässemmeln und Burger angeboten werden.
„Die Rahmenbedingungen müssten so gestaltet sein, dass die gesündere die einfachere Wahl wird“, sagt Dietmar Hollenstein, der selbst gelernter Koch ist, heute als Illustrator tätig ist und sich im Elternverein des Wiedner Gymnasiums engagiert. „Es werden zu wenige Sachen angeboten, die wirklich gut schmecken. Das ist oft eine Frage des Würzens.“
Konkurenzdruck
Ein Schulbuffet funktioniert wie ein gewinnorientierter Betrieb. Und der Konkurrenzdruck ist oft groß – rundherum finden sich Supermarktketten und Döner-Buden. Manuel Schätzer von Spican: „Wir versuchen, mit den Buffets Produkte zu finden, deren Kosten sich auch decken. Zum Beispiel Ofenkartoffel mit Joghurtdip. Das ist nicht nur gesünder, sondern eigentlich einfacher zu handhaben als eine Leberkässemmel, weil man keinen speziellen Wärmeofen braucht. Ein großer Trend ist das Motto: One hand to go. In der einen Hand das Handy, in der andern der Wrap.“
Wichtig sei die Identifikation und das Gefühl, mitgestalten zu können. Deshalb arbeitet Sipcan mit interaktiven Methoden, wie zum Beispiel einem Zeichenwettbewerb. „Die Kinder malen Weckerl, die besten werden als Gewinner gekürt. Dann dürfen sie sich passende Namen überlegen. Die zwei besten Weckerl werden dann am Buffet angeboten.“
Man müsse die Kinder miteinbeziehen. „Empowerment und Partizipation sind wichtig, dann sind die Schüler voll dabei. Es macht schließlich einen Unterschied, ob ich an einer Feier nur teilhabe oder auch mitorganisiere.“
Getränke in Automaten
Bleiben da noch die Getränkeautomaten. Metastudien haben den direkten Zusammenhang zwischen Limonaden und Übergewicht festgestellt. Deshalb wurde in der Vergangenheit vermehrt das Verbot von Softdrinks in den Automaten diskutiert. Daraus wurde aber nichts.
Studien haben gezeigt, dass der Gesamttageskonsum durch Verbote nicht reduziert wird. Werden klassische Limonaden verboten, gehen Schüler in der Mittagspause aus der Schule, um sie anderswo zu kaufen.
„Studien haben gezeigt, dass der Gesamttageskonsum durch Verbote nicht reduziert wird. Werden klassische Limonaden verboten, gehen Schüler in der Mittagspause aus der Schule, um sie anderswo zu kaufen“, sagt Manuel Schätzer.
Eine Alternative sei ein Getränkeautomaten-Check. „Wir sehen uns den Inhalt der Automaten an. Mindestens acht von zehn Getränken dürfen dabei maximal 6,7 Gramm Zucker pro 100 Milliliter haben“, erklärt Schätzer. Der Grenzwert leitet sich von einer WHO-Empfehlung ab.
Bei bis zu 20 Prozent der Dosen oder Flaschen im Automaten dürfe der Zucker-Grenzwert auch überschritten werden. „Die Jugendlichen nehmen das gesündere Angebot an, weil man ihnen die Option auf das ungesündere Genussprojekt nicht wegnimmt.“ Ob der Prozent-Rahmen ausgenutzt wird, sei Sache der jeweiligen Schule.
Um den Schulen eine Orientierung beim Richtwert zu bieten, hat Sipcan Listen von im Handel erhältlichen Getränken zusammengestellt. Diese sind auf der Homepage frei zugänglich.
Trinkverhalten ändern
Bereits kleine Maßnahmen, konsequent ausgeführt, können zu großen Veränderungen führen: zum Beispiel durch die Vorbildwirkung beim Trinken. Schätzer: „Erlaubt die Lehrerin im Unterricht das Wassertrinken nicht nur, sondern fördert es auch aktiv, indem sie selbst trinkt, motiviert das die Jugendlichen.“
Die Masse des menschlichen Gehirns besteht zu 80 Prozent aus Wasser: Ausreichend Trinken macht aufmerksamer und steigert das Denkvermögen. „Davon profitiert auch das Lehrpersonal. Gesundheitsförderung trägt dazu bei, dass sich die Rahmenbedingungen für alle Beteiligten erleichtern.“
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