Erfolg mit der Genschere: Wie er gelang und was Experten sagen
Noch sind es nur Zwischenergebnisse bei nur einer Patientin – aber sollte der Effekt anhalten und sich auch bei weiteren Patienten wiederholen lassen, wäre das Wort „Durchbruch“ nicht übertrieben: Am Universitätsklinikum Regensburg (UKR) wurde vor neun Monaten eine 20-jährige Frau mit der angeborenen Bluterkrankung Beta-Thalassämie erfolgreich behandelt. Und zwar mit Hilfe der Gen-Schere CRISPR/Cas9 – als erste Patientin der Welt mit einer Blutkrankheit, wie der zuständige Studienleiter sagt. Seither benötigt sie keine Bluttransfusionen mehr.
Bei dieser Erbkrankheit ist die Bildung des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin gestört. Die Frau benötigte deshalb vor der Gentherapie rund 16 Bluttransfusionen jährlich. Und so gingen die Mediziner vor:
Sie entnahmen der Frau Stammzellen (Vorläuferzellen), die ihre (krankhaften) roten Blutkörperchen bilden. „Mit der Genschere haben wir einen DNA-Abschnitt entfernt, der für die Bildung eines Eiweißes verantwortlich ist, das die Hämoglobin-Bildung unterdrückt“, sagt der Studienleiter und Leiter der Abteilung für Pädiatrische Hämatologie, Onkologie und Stammzelltransplantation am UKR, Selim Corbacioglu, zum KURIER.
Wie bei einer Stammzelltransplantation wurde dann durch eine Chemotherapie das Knochenmark zerstört.
Anschließend erhielten die Patienten ihre genveränderten Stammzellen zurück – sie siedeln sich im Knochenmark an und beginnen dort, funktionstüchtige Blutzellen und ausreichend Hämoglobin zu bilden.
„Die junge Frau kann seither ihrem Alltag ganz normal nachgehen“, sagt Corbacioglu. Und sie hat normale Blutwerte. Wobei es zu früh sei, um sagen zu können, ob der Eingriff auf Dauer funktionieren wird: „Und man muss noch wesentlich mehr Patienten behandeln.“ Sieben weitere stehen mittlerweile in Regensburg auf der Liste. In den USA seit die Genschere für die Therapie einer anderen Erkrankung des blutbildenden Systems – die Sichelzellanämie – erfolgreich eingesetzt worden, sagt Corbacioglu.
Er sieht den vorläufigen Erfolg darin, dass prinzipiell gezeigt wurde, dass ein Eingriff mit der Genschere beim Menschen funktioniert: „Das gibt Hoffnung auch für andere Erkrankungen.“
Lob und Kritik
Das sehen auch andere Forscher so – es gibt aber auch kritische Stimmen: Vor allem daran, dass aus einer größer angelegten Studie frühzeitig vorläufige Ergebnisse einer einzelnen Patienten veröffentlicht wurden. Dies sei zu wenig aussagekräftig. Die Studie in Regensburg ist aber in keiner Weise mit dem heftig kritisierten Eingriff an Embryos in China vergleichbar. Der Genetiker Markus Hengstschläger hat ihn vor einen Jahr heftig kritisiert und sagt auch heute: „Ich bin aus biologischen und ethischen Gründen gegen Keimbahntherapie.“ Solche Eingriffe in Eizellen, Samenzellen oder Embryonen, wie sie in China gemacht wurden, werden an Nachkommen weitergegeben.
In Regensburg aber handelt es sich nur um einen Eingriff in Körperzellen, der auf die jeweilige Person beschränkt bleibt (somatische Gentherapie). „Solche Studien sind grundsätzlich sehr zu begrüßen. Die notwendigen wissenschaftlichen klinischen Studien müssen aber in jedem einzelnen Anwendungsfall Wirkung und Nebenwirkungen beweisen bzw. prüfen.“ Generell sehe er den Einsatz einer solchen somatischen Gentherapie „aber grundsätzlich sehr positiv“.
Designer-Babys schockten die Welt
Vor einem Jahr hatte Forscher He Jiankui Embryo-Erbgut verändert:
Es sollte eine große Sensation werden: Am 25. November 2018 verkündete der chinesische Forscher He Jiankui, dass es ihm gelungen sei, das Erbgut von Zwillingen zu verändern. Lulu und Nana, so die Namen der Kinder, seien ganz normale Babys: „Gesund und weinend“ seien sie zur Welt gekommen, hieß es vonseiten des Biophysikers, der ehemals an der südchinesischen Universität Shenzhen forschte. Doch Lulu und Nana sind keine normalen Babys: Die Mädchen sind die weltweit ersten Designer-Embryos, deren Gene nicht nur im Reagenzglas verändert, sondern die auch in eine Gebärmutter eingesetzt und geboren wurden.
Nach eigenen Angaben verwendete He dafür die CRISPR/Cas9-Gen-Schere. Der Eingriff soll die Mädchen gegen das HI-Virus resistent gemacht haben. Die langfristigen Folgen des Experiments sind unklar.
Aufschrei in Fachkreisen
Statt einer Sensation löste He einen Aufschrei in der globalen Wissenschaftsgemeinde aus. Sein Vorgehen wurde als „verrückt“ und „unethisch“ verurteilt. Auch Genetiker Hengstschläger sah in Hes Vorgehen eine Grenzüberschreitung. „Der Mensch in seiner Gesamtheit war immer tabu. Auch bisher wurden Versuche an Embryonen durchgeführt, aber sie wurden niemals transferiert und sind niemals auf die Welt gekommen. Das ist kein guter Tag für die medizinische Genetik“, sagte er damals dem KURIER. Ein Jahr später ist unklar, wie es den beiden Mädchen geht. Die chinesischen Behörden teilten lediglich mit, dass die Identität der Kinder bekannt und sie unter Beobachtung seien. Die Universität Shenzhen entließ He umgehend; er verschwand aus der Öffentlichkeit. He werde „entsprechend der Gesetze und Regularien bestraft“, betonte die Regierung Anfang dieses Jahres in einem vorläufigen Untersuchungsbericht. Was das bedeutet, ließ man offen.
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