Markus Margreiter: Es gibt ein langsames Umdenken und Männer beginnen, sich – auch durch eine Änderung des Männerbildes – mehr mit ihrer Gesundheit auseinanderzusetzen. Wenn ein Mann vor 20 Jahren in einer Freundesrunde gesagt hat, er isst kohlehydratarm, weil er auf seine Figur schaut, ist er ausgelacht worden. Heute wird er nicht mehr belächelt. Gleichzeitig haben in den vergangenen 30 Jahren krankheitsfördernde Lebensumstände deutlich zugenommen – Übergewicht, Bewegungsmangel, Bluthochdruck, stressbedingte chronische Erkrankungen. Dadurch werden auch sexuelle Funktionsstörungen häufiger.
Wovor haben Männer beim Urologen Angst?
Vor Prostata-Krebs und unangenehmen Untersuchungen. Laut Studien gehen drei Viertel aller Männer nur deshalb zum Urologen, weil die Partnerin ihnen das nahe gelegt hat. Und bei Testosteronmangel weiß man: Männer können bereits unter schweren Schlafstörungen, Antriebslosigkeit, Hitzewallungen und anderen Symptomen als Folgen des Mangels leiden – aber erst, wenn es mit der Manneskraft nicht mehr funktioniert, suchen sie einen Arzt auf.
Werden sexuelle Probleme aber nicht manchmal von Ärzten abgetan?
Es wird häufig nicht danach gefragt. Dabei sind Erektionsstörungen oft ein Warnsignal. Viele meiner Patienten hatten keine Ahnung von ihren Herz-Kreislauf-Krankheiten. Die Diagnose bekamen sie erst bei mir. 70 Prozent der Männer mit Herzerkrankungen haben auch Erektionsstörungen. Es gibt Patienten mit Erektionsproblemen, die Bluthochdruck haben, übergewichtig sind, keine Bewegung machen – und nicht glauben wollen, dass das alles eine Rolle bei ihren Potenzproblemen spielt. Jeder vierte Mann ist sich der Risikofaktoren nicht bewusst.
Welche Rolle hat der Stress?
Stress ist ein ganz wesentlicher Faktor für viele Erkrankungen. Das Fehlen sexuellen Verlangens hat oft nur damit zu tun. Da hilft es auch nichts, dass man blaue oder andere Pillen schluckt. Das muss man – vielleicht auch mit Hilfe eines Therapeuten – angehen. Ständiger Stress, keine Ruhepausen, Fast Food, wenig Schlaf – das alles wirkt sich auch auf den Hormonstatus aus. Ich habe dafür den Begriff „hormonelles Burn-out“ geprägt – nachhaltige Änderungen im Hormonstatus jüngerer Männer ohne ursächliche Erkrankung. Diese Männer benötigen oftmals keine Hormontherapie, sondern einen anderen Lebensstil.
Was kann eine Lebensstiländerung bewirken?
Es gibt Untersuchungen, dass regelmäßiger Sport Erektionsstörungen um bis zu 80 Prozent reduzieren kann. Kraftaufbautraining ist besonders gut für die Ankurbelung der Testosteron-Produktion. Wichtig ist aber ein ausgewogenes Training, wobei auch Männer nicht auf den Beckenboden vergessen sollten. Ich empfehle auch eine kohlenhydratärmere Ernährung und natürlich Stressmanagement. All das hebt den Testosteronspiegel. Es gibt aber auch eine andere Seite: Männer, die wegen eines Testosteronmangels übergewichtig sind und gar keinen Anreiz mehr für Sport und Bewegung haben. Hier kann eine Hormontherapie sinnvoll sein. Bei jüngeren Männern muss man aber sehr zurückhaltend sein – bei ihnen kann sich eine Testosterontherapie auf die Fruchtbarkeit auswirken.
Wird die Rolle der Psyche generell unterschätzt?
Ganz sicher. Es werden vor allem bei jüngeren Männern die Erektionsstörungen häufiger, und das hat weitaus öfter psychische als organische Ursachen. Das Problem der Jungen ist nicht so sehr der Penis, sondern eher der Kopf. Das größte Sexualorgan des Mannes ist das Gehirn. Und der Mann war lange Zeit nicht gewohnt, in sich hineinzuhorchen. Auch das ändert sich aber.
Sie schreiben, dass Sexualstörungen auch deshalb zunehmen, weil die Internet-Pornografie Bilder von Sexualität prägt, die mit dem Leben nichts zu tun haben.
Gerade bei Jugendlichen werden oftmals falsche Vorstellungen geweckt: Sie haben sich bereits in jungen Jahren so viele Informationen aus dem Internet geholt, dass die Entdeckung der Sexualität nicht mehr in erster Linie durch konkretes Erleben passiert. Dadurch sind Enttäuschungen vorprogrammiert. Ich verteufle das Internet und Pornografie nicht. Aber das Thema gehört – auch in den Schulen – diskutiert und bewusst gemacht. Denn sonst kann es rasch in Richtung Suchtverhalten gehen – und daran können Beziehungen zerbrechen.
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