Zu viel Essen landet im Mist: Kreative Lösungen sind gefragt
Die einfachen Antworten sind nie ganz richtig, das sieht man bei allen globalen Problemen unserer Zeit, von Klimawandel bis Migration. Der Weg zu Lösungen ist voll der Mühsal des seriösen Differenzierens. Auch – oder sogar besonders – beim Thema Lebensmittel. Denn 1,6 Milliarden Tonnen Lebensmittelabfall pro Jahr stellen die Welt vor ein Doppelproblem: zuviel Müll und zu wenig Nahrungsmittel für die Welt.
Lange Zeit wurde die Lösung vor allem beim Privaten gesucht, im sogenannten Haushalt. Dort fällt zwar der größte Teil des Lebensmittelabfalls an, den Hebel muss man aber an vielen Punkten ansetzen, sind sich Experten einig. So geht man seit Kurzem der Frage nach, wie viele Lebensmittel in der Landwirtschaft weggeworfen werden. Zu viele, sagt Cornelia Diesenreiter, die sich intensiv damit beschäftigt: „Bauern und Bäurinnen wollen auf keinen Fall, dass sie weniger ernten, als bestellt wurde. Also bauen sie bis zu 160 Prozent davon an, es könnte ja Dürre geben oder andere Ernteausfälle.“
Passiert nichts, bleiben 60 Prozent übrig, die keiner kauft. Diesenreiter gründete deshalb vor zwei Jahren mit ihrem Bruder das Start-up „Unverschwendet“, das überschüssig produziertes Obst und Gemüse zu Feinkost verarbeitet. Im heurigen Jahr waren es 1000 Tonnen, nur von Wachau bis Burgenland. „Nachhaltigkeit bedeutet nicht unbedingt Verzicht. Es braucht Ideen, die das Problem lösen, ohne immer nach Schuld zu fragen. Darauf gibt es keine richtige Antwort.“
Wertschätzung
Vorige Woche erörterte Diesenreiter das Thema bei der „7. Wiener Mittwochsgesellschaft des Handels“ mit drei weiteren Kennern der Materie. Das Motto war „Teller statt Tonne – bewusst gegen Lebensmittelverschwendung“, die Diagnose der vier Experten ähnlich, die Lösungsansätze jedoch vielfältig. Christian Chytil etwa sieht die Gesellschaft in der Pflicht: „Konsumenten müssen Lebensmittel wieder wertschätzen. Dazu gehört, dass nicht jedes Produkt das ganze Jahr verfügbar ist.“ Als Geschäftsführer von „impacts Catering“ sieht er täglich viel Essen in den Mist wandern: „300 Leute sagen für eine Veranstaltung zu, wir nehmen für ein hochwertiges Buffet 1,3 Kilogramm Lebensmittel pro Gast mit. 20 Prozent kommen dann nicht, und wir schmeißen knapp hundert Kilogramm weg.“ Aufheben darf er aus hygienischen Gründen nicht. Apropos Vorschrift: Caterer müssen alles wegwerfen, sobald das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) überschritten ist, klagt Chytil. „Mein Küchenchef wüsste schon, ob damit noch etwas anzufangen ist, aber wir müssen es entsorgen.“
Tatsächlich gilt das MHD als großes Problem beim Lebensmittelabfall, vor allem im Haushalt. Laut Schätzungen wird ein Viertel der Lebensmittel ungeöffnet weggeworfen, obwohl das MHD nicht angibt, bis wann das Produkt aufzubrauchen ist (das ist das „Verbrauchsdatum“), sondern bis wann es (bei richtiger Lagerung und ungeöffnet) in Farbe, Geruch und Geschmack garantiert fehlerfrei ist. Experten empfehlen, Produkte nach Ablauf des MHD mit Augen, Nase und Mund zu kontrollieren.
Wie solch achtsamer Umgang mit Essen im Alltag funktioniert, haben sich Daniel Anthes und Katharina Schulenburg angesehen. Im kürzlich erschienenen Buch „Weil wir Essen lieben“ (siehe Cover unten) erklären die Autoren vielseitige Lösungswege. Vorgestellt werden neben Initiativen auch konkrete Tipps, etwa ein Kühlschrankguide oder eben Haltbarkeitschecks. Im Rezeptteil erklären sie, wie sich aus Resten Schmackhaftes zubereiten lässt. Aus überreifem Obst und Gemüse werden pikant-süße Chutneys, in einem Brioche-Obst-Auflauf findet trockenes Weißbrot seine zweite Bestimmung, der Reis vom Vortag landet in „Resterollen“ – statt im Mist.
Weitergabe
Die Schulung der Sinne thematisiert auch ein neues Projekt der Wiener Tafel und Danone Österreich: Beim „Wiener Tafel-Sensorik Labor“ werden Jugendliche punkto Lebensmittelverschwendung sensibilisiert. Für Kinder bietet die Wiener Tafel schon länger das „Geruchs- und Geschmackslabor“ an. Die Einrichtung kämpft seit Jahren für mehr Bewusstsein und rettet Essen vor dem Müll, um damit Menschen in Armut zu versorgen. Geschäftsführerin Alexandra Gruber: „Als die Tafel vor 20 Jahren gegründet wurde, war Food-Waste alles andere als ein Mainstream-Thema. Für eine sozial und ökologisch gerechte Gesellschaft muss die Zusammenarbeit aller Stakeholder entlang der Wertschöpfungskette weiter intensiviert werden.“
Damit spricht Gruber auch den Handel an. Um den Lebensmittelabfall nachhaltig zu senken, müssen vor allem Handelsketten Strategien entwickeln. „Wenn wir schon den Verderb von Lebensmitteln nicht verhindern können, müssen wir uns fragen, wie wir sie sinnvollen Projekten zuführen“, sagt dazu Arno Wohlfahrter. Der Metro-CEO ist Gastgeber der „Wiener Mittwochsgesellschaft des Handels“ und betont, dass Nachhaltigkeit nicht Investment ist, sondern Teil guten Wirtschaftens: „Wenn man Nachhaltigkeit in Geschäftsmodelle integriert, wird das ökonomisch erfolgreich sein.“
Für die zwölf Metro-Großmärkte heiße dass vor allem Müllreduktion: „Wir haben uns dazu verpflichtet, bis 2025 im Unternehmen 50 Prozent Lebensmittelabfälle einzusparen. Wir entwickeln Modelle, durch die das, was nicht mehr verwertbar und verzehrbar ist, einer sinnhaften Verwertung zugeführt werden kann, zum Beispiel der Biogaserzeugung.“ Oder eben den diversen Tafeln und karitativen Organisationen – im vergangenen Jahr 150 Tonnen Obst und Gemüse. „Insgesamt sind das 25 Prozent der Waren, die nicht mehr für den Verkauf, aber noch für den Verzehr geeignet waren.“
Gespräch zum Thema Mittwochsgesellschaft
Im Berlin des 19. Jahrhunderts etablierte sich die „Mittwochsgesellschaft“ als Synonym für breite Auseinandersetzung mit komplexen Themen. Bei der „Wiener Mittwochsgesellschaft des Handels“ lädt das Unternehmen Metro Branchenkenner zu Gesprächen. Vorige Woche diskutierten Alexandra Gruber und Arno Wohlfahrter unter der Leitung von KURIER-Chefredakteurin Martina Salomon mit Christian Chytil und Cornelia Diesenreiter.
Buchtipp zum Thema: „Weil wir Essen lieben“, Daniel Anthes und Katharina Schulenburg, Oekom-Verlag, 18,00 €.
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