Warum Russen ihren Topfen mit Gips strecken
Gips, Kreide oder Palmöl? Berichte über falsche Milchprodukte erschüttern den russischen Markt. Dabei spielen auch die Sanktionen eine Rolle, die sich an diesem Samstag zum zweiten Mal jähren. Wie stark leidet der deutsche Milchsektor unter Russlands Importstopp?
Dieser russische Topfen verhält sich nicht wie er sollte. Lichterloh brennt das vermeintliche Milchprodukt. Gut zehn Minuten dauert das Experiment, bei dem eine Reporterin den angeblichen Tworog aus einem Hinterhofladen in St. Petersburg einer Feuerprobe unterzieht. Nach kurzer Zeit verwandeln die züngelnden Flammen den schneeweißen Speisequark in eine dunkelbraune Masse. "Es riecht wie Plastik", sagt die Journalistin des Portals fontanka.ru und rümpft im Video-Beitrag die Nase. "Guten Appetit, Genossen!"
Der Clip löst einen Aufschrei im Internet aus. Eine Analyse des Topfens im Auftrag des kritischen Online-Magazins zeigt: Das als Tworog verkaufte Milchprodukt enthält kein Milchfett, sondern ist mit Zusatzstoffen gepanscht. Medien berichten gar von Produkten, die mit Stärke, Kreide oder Gips gestreckt sein sollen.
Der brennende Topfen gilt als Sinnbild für den schlechten Zustand der russischen Milchbranche. Gut ein Viertel seines Rohmilch-Bedarfs von 30 Millionen Tonnen importiert Russland. "Jahrelang wies die Sparte die niedrigsten Investitionen in der russischen Agrarindustrie auf", erklärt Artjom Below, Geschäftsführer des Verbands der Milchproduzenten. Aus Sowjetzeiten geerbte Anlagen gelten als rückständig und unproduktiv.
Milchbauern kämpfen mit niedrigen Preisen
Das Embargo, eine Reaktion auf Sanktionen des Westens gegen Russland im Ukraine-Konflikt, jährt sich an diesem Samstag (6. August) zum zweiten Mal. Bis Ende 2017 hat Putin das Einfuhrverbot verlängert.
In der EU löst das Verdruss aus. Produzenten von Fleisch, Obst und Milch haben mit Russland einen wichtigen Markt verloren. Um rund 45 Prozent sind die Agrarexporte von Deutschland nach Russland zwischen 2013 und 2015 gesunken, teilt die Berliner Regierung mit, ein Minus von mehr als 700 Mio. Euro. Die mit niedrigen Preisen und Überproduktion kämpfenden Milchbauern bekommen dies zu spüren.
Russlands Embargo sei zum Symbolthema für den Milchmarkt geworden, sagte Landwirtschaftsminister Christian Schmidt bei einem Besuch kürzlich in Moskau. "Aber ich möchte davor warnen zu glauben, dass die Probleme des Milchmarkts gelöst sind, wenn Russland wieder offen ist", betont der CSU-Politiker. Dennoch wirbt er für eine Lockerung der Sanktionen und erntet dafür Kritik von der Opposition.
Fälschungen von Milch und Topfen
In Russland kostet der Liter Rohmilch nach Verbandsangaben etwa 21 Rubel (rund 28 Cent) und liegt damit spürbar über dem Preis von schätzungsweisen 23 Cent, den EU-Landwirte erzielen. Milch-Funktionär Below sieht daher im russischen Importverbot eine wichtige Chance.
"Wenn der Markt jetzt geöffnet würde, dann könnte der Milchsektor sehr stark leiden", meint er. Der Weltmarktpreis sei auf einem Tiefstand, die russische Branche brauche die Einnahmen aus den vergleichsweise hohen russischen Preisen.
Bunte Kühe aus Porzellan und Plastik zieren das Büro des 38-jährigen Milchfunktionärs. Durch das Embargo seien Marktanteile von 20 Prozent frei geworden, die russische Hersteller übernommen hätten, sagt er. Allein heuer solle die Produktion um 2,5 Prozent steigen.
Doch die Kehrseite der Medaille ist die Qualität. Die Kreml-Strategen wollen zwar künftig aus eigener Produktion den Bedarf decken, doch wie kurzfristig die qualitativ hochwertige EU-Ware ersetzt werden kann, ist offen. Mehr als 80 Prozent der Importe kommen inzwischen aus dem eng verbündeten Weißrussland.
"Gegen die Fälschung muss man hart vorgehen"
Und so bleibt das Fälschungsproblem: Rund zehn Prozent der russischen Milchprodukte würden unlauter mit billigen Pflanzenfetten wie Palmöl gestreckt, teilt die Agraraufsicht mit. So sollen die Kosten gedrückt und der Gewinn gesteigert werden. Der Palmölimport stieg Berichten zufolge zwischenzeitlich um rund ein Fünftel. "Gegen die Fälschung muss man hart vorgehen", fordert Below. Sein Verband setzt sich für Strafen ein und hofft auf einen Gesetzesentwurf im Parlament.
Von brennendem Topfen und Käse mit Gips aber will Below nichts hören. Die Agraraufsicht habe auf eine schriftliche Anfrage seines Verbands mitgeteilt, dass es keine eindeutigen Beweise gebe, betont er. "Es ist klar, dass die Milch diese Produkte nicht enthält und auch nie enthalten kann", wehrt Below entschieden ab. Gips im Käse würde dem Image der Branche sicherlich stärker schaden als Palmöl.
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