Augen zu, Mund auf – bittersüße Tropfen der Blutorange, würzige Aromen vom Weißwein und nussige vom schwarzen Reis liebkosen ihren Gaumen. Zwischen den Zähnen spürt Alexandra Palla kleine Körner, leise kracht und knackst das Risotto beim Kauen. Die Reiskörner haben noch Biss, genauso wie die Hunderten beigemischten Mehlwürmer im Kochtopf. Streng genommen keine Würmer, sondern Larven des kleinen, schwarzen Mehlkäfers. Die Foodbloggerin blickt auf, rührt im Topf um und sagt: "Hmm, crunchy und ein bisschen erdig, wie Erdnusslocken."
Einen Raum weiter kostet sich die fünfjährige Julie durch die Zukunftsnahrung – Tausende Jahre westliche Esskultur ohne Insekten stecken in ihren Genen. Auf der Tafel stehen Quinoa-Bällchen und Bananenbrot mit fein gemahlenen Mehlwürmern und Insekten-Streusel. Die Kleine zeigt keine Scheu und probiert von jedem Schmankerl, vollkommen frei von Vorurteilen. Erst Stunden später erzählt sie den neugierigen Erwachsenen, dass es "bäh" geschmeckt habe. Die sozial erwünschte Antwort?
Wie Popcorn oder Chips
Mit ihrer selbst entwickelten Insekten-Farm"Livin Hive"ernten Katharina Unger (25) und Julia Kaisinger (28) seit Jahren nicht nur Insekten, sondern weltweites Medienecho. Wie der KURIERberichtete, starteten die Firmenchefinnen vor zwei Monaten eine Crowdfunding-Kampagne, die vergangene Nacht endete: 129.000 Euro Startkapital reichen für die Produktion von 300 Stück, die sie in Shenzhen, dem chinesischen Silicon Valley, bauen lassen. Im November sollen die ersten Farmen ausgeliefert werden. Damit sich das Geschäft auch irgendwann wirklich rechnet, wollen Unger und Kaisinger den Preis auf rund 598 € ansetzen. Wer die Mehlwürmer nur kosten will, kann ein Probierpaket (50 g) ordern.
Wie Mehlwürmer schmecken, sind sich an diesem Abend alle einig: Sie ähneln Erdnusslocken, gerösteten Sojabohnen, Popcorn, Chips oder auch Shrimps. Die Überwindung im Kopf scheint das größte Hindernis.
Aber wie sehen interessierte Käufer aus? Leonie und Teresa, beide im Studenten-Alter, überlegen bereits seit einiger Zeit, sich eine Farm im Freundeskreis zu teilen. "Wir sind uns nicht sicher, wie oft wir die Farm wirklich verwenden würden. Als Fleischersatz in der Lasagne oder im Burger können wir uns Insekten gut vorstellen."
Billiger Fleischersatz
Pro Woche lassen sich bis zu 500 Gramm Larven ernten, das entspricht dem Fleischersatz von vier bis fünf Mahlzeiten. Und so funktioniert die Farm: In mehreren Laden durchleben die Käfer verschiedene Entwicklungsstadien. In die oberste Schublade kommen die verpuppten Mehlwürmer. Die geschlüpften Käfer paaren sich eine Lade darunter, die Eier legen sie wiederum in die nächste Lade. Bis das Erntealter und die letzte Lade erreicht ist, dauert es rund sechs Wochen. Getötet werden die Tiere durch Einfrieren.
Trendforscherin Hanni Rützler, die an jenem Abend ebenso an der Verkostung teilnimmt, zeigt sich von den Quinoa-Bällchen mit einem Drittel Insekten-Mehl begeistert: "Mehlwürmer sind die Einstiegsdroge. In zehn bis 20 Jahren werden Mainstream-Konsumenten Insekten naschen."
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