Nachhaltig und ressourcenschonend: Wie wir in Zukunft bauen
Ein Haus, das die Zukunft vorhersagen kann. Was manche in nebeligen Kugeln erblicken oder im Kaffeesatz lesen, schafft ein Team aus Architekten, Bauphysikern und Energietechnikern ganz ohne Hokuspokus. Passivhaus, Bauteilaktivierung und prädiktive Steuerung lauten die Zauberworte, mit denen ein Doppelhaus in Purkersdorf das Wetter der nächsten 48 Stunden berücksichtigt und sich entsprechend vorbereiten kann.
Wie das funktioniert, erklären sechs Experten während einer Führung durch das Doppelhaus. Der Bau stellt ein weltweit einzigartiges Forschungsprojekt dar.
Dafür haben Tobias Pröll und Magdalena Wolf, Verfahrens- und Energietechniker der Universität für Bodenkultur (Boku), das Ingenieurbüro Hofbauer und Treberspurg und Partner Architekten zusammengearbeitet.
Ihr Ziel: Ein Haus zu bauen, das ohne fossile Energie auskommt und zudem so sparsam wie möglich mit erneuerbaren Ressourcen umgeht.
Heizen aus der Decke
Erreicht wird das zum einen durch Passivhausbauweise aus Stahlbeton mit hoch wärmedämmender Gebäudehülle und hoher Speichermasse.
Die Decken im Haus sind zudem mit 20 Zentimetern sehr dick. Laut Sebastian Spaun, Geschäftsführer der Vereinigung für Zementindustrie, kann die Temperatur darin bis zu fünf Tage konstant gehalten werden. Ebenfalls in den Decken integriert ist die Bauteilaktivierung. Sie übernimmt sämtliche Heiz- und Kühlfunktionen des Gebäudes.
Um eine hundert Watt Glühbirne zehn Stunden leuchten zu lassen (1 kWh), ist umgerechnet die Energiemenge von einem Liter Öl oder einem Kubikmeter Erdgas notwendig. Dieser Vergleich kann auf Passivhäuser umgelegt werden. Ein Passivhaus verbraucht 10 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr und ist ein „Ein-Liter-Haus“. Ein Bauernhaus aus Granit verbraucht voll beheizt 450 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr und ist somit ein 45 Liter Haus.
Dafür sind Wasserrohre in den Zwischendecken verlegt. Das durchfließende Wasser wird mittels Solarenergie und einer Wärmepumpe mit Erdreichtiefensonden als Wärmequelle temperiert. Eine Wohnraumlüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung inklusive Heizungsfunktion sorgt zusätzlich für Wohnkomfort.
„Das Fenster muss nie geöffnet werden und die Luft ist trotzdem immer angenehm“, sagt Architekt Christoph Treberspurg. Strom erzeugt die Fotovoltaikanlage am Dach.
Raumtemperatur steuern mit Wetterprognosedaten
Die neueste Technologie des Doppelhauses steckt allerdings in den Temperaturfühlern, die in den Stahlbetondecken verbaut sind. Dadurch ist die Bauteilaktivierung mit einer sogenannten prädiktiven Steuerung ausgestattet. Das bedeutet, dass das Heizen und Kühlen eines Hauses erstmals mittels Wetterprognosen der nächsten 48 Stunden geregelt werden kann.
Konkret gemessen werden Außentemperatur und solare Einstrahlung. Das ist gerade im Passivbau entscheidend, da „die große Trägheit dieser Systeme zwar stabilisierend wirkt , aber eine rechtzeitige Reaktion auf einen Wetterwechsel besonders wichtig macht“, erklärt Sebastian Spaun.
Dieser Vorgang sei vergleichbar mit dem Steuern großer Schiffe, die sich auch nur langsam drehen.
Weltweit einzigartiges Forschungsprojekt
Die prädiktive Steuerung wurde eigens für das Forschungsprojekt in Purkersdorf vom Institut für Verfahrens- und Energietechnik der Boku entwickelt und die Halterung für die dafür notwendigen Regler mittels 3-D-Drucker gefertigt. Projektleiterin Magdalena Wolf: „Mittels Optimierungsverfahren des Heiz- und Kühlbedarfs kann eine bestimmte Zielfunktion eruiert werden – unter Berücksichtigung der Wetterprognosedaten.“
Durch die Zwei-Tage-Vorhersage des Wetters lassen sich sowohl Energie für tatsächlich benötigte Heizung und Kühlung als auch die Kosten dafür sparen. Als Zielwert könnte auch der Zukauf von günstigem Windkraftstrom bei Windspitzen eingegeben werden.
Die Frage, die sich Architekt Christoph Treberspurg am Beginn seiner Planung des Doppelhauses in Purkersdorf stellen mussten, lautete: Wie können die beiden Familien dort Tür an Tür leben und trotzdem wohnliche Distanz gewahrt werden? Seine Antwort: Die beiden Bereiche um jeweils einen Stock versetzen. Während der eine Hausherr nach Öffnen der Eingangstür im ersten Stock steht, befindet sich der andere im Erdgeschoß. Die beiden Häuser sind spiegelverkehrt zueinander geplant und nach Süden hin ausgerichtet.
„Es gibt keine Kostenwahrheit“
Der ehemalige Boku-Professor und Architekt martin Treberspurg beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit ressourcenorientiertem Bauen. „Die Mehrkosten für die Errichtung eines Passivhauses mit Bauteilaktivierung sind relativ gering. Das Anschaffen von fossiler Energie wird derzeit immer noch subventioniert.“
Laut Treberspurg wird Österreich nicht um eine ökosoziale Steuer herumkommen: „Steuer heißt ja steuern – und das bedeutet auch, dass das Produkt, das nicht umweltfreundlich ist, höher besteuert werden muss.“
Heizen mit Eis
Der erste Eisspeicher Österreichs steht im niederösterreichischen Mistelbach. Er umfasst circa 1.000 Kubikmeter Volumen, ist gefüllt mit Wasser und umwickelt mit 24 Kilometer langen Absorberleitern. „Diesem Wasser entziehen wir die Wärme und heizen das Headquarter von Pro-Ject Audio Systems mit 3.500 Quadratmetern Fläche“, erklärt Fatih Ceylan, Projektleiter des Generalplaners Ecoprojekt. Dadurch entstehe eine Eisschicht, die sich um die Absorberleiter lege.
Heizen mit Eis
Anfang April wird das System umgestellt und statt Wärme wird dem gefrorenen Wasser Kälte entzogen und im Gebäude verteilt. Zusätzlich zum Eisspeicher im Keller befinden sich Sonnenkollektoren am Dach, die den Eisspeicher zusätzlich beladen und eine Fotovoltaikanlage im Gebäude, die die Wärmepumpen mit Strom versorgt. „Somit haben wir ein energieautarkes Gebäude geschaffen“, sagt Ceylan.
Heizen mit Eis
Außerdem ist das Haus mit Bauteilaktivierung versehen. Das bedeutet, dass Wasserrohre in Fußboden und Decke im Winter heizen und im Sommer kühlen. Was die Kosten betrifft, so sind laut Ceylan rund 20 Prozent mehr als für die herkömmliche Haustechnik zu kalkulieren. Nach 15 Jahren rechne sich dies aber wieder. „Das Projekt soll zeigen, dass sich die Mühe lohnt. Wir haben einen -neutralen Vorzeigebau geschaffen“, so Ceylan.
"Kaltes Weiß" blockiert Hitze
Die falsche Farbe kann tatsächlich so abstoßend sein, dass man sich nur abwenden kann. Diesen Gedanken verfolgten die Designer von „UN Studio“ gemeinsam mit Hersteller „Monopol Colors“, um Hitzeinseln in Städten den Garaus zu machen. Mit „The Coolest White“ (dt: das kälteste Weiß) entwickelte sie einen Weißton, der für Sonnenstrahlen derart abstoßend ist, dass sie nicht durch die Fassade dringen und somit Wohnräume nicht aufheizen.
"Kaltes Weiß" blockiert Hitze
In der Ausstellung „State of Extremes“ im Designmuseum Holon in Israel wird der ultraleichte Lack auf Basis von Fluorpolymertechnologien nun erstmals präsentiert. Die Installation zeigt Gebäude zur Hälfte in Schwarz und zur Hälfte in Coolest White bemalt. Eine Wärmebildkamera (Bild oben) visualisiert den Effekt für Besucher: Der blaue Bereich zeigt, dass die weiße Farbe die Sonneneinstrahlung blockiert und die Fassade vor Aufwärmung schützt. Die grünen, gelben und roten Bereiche des Gebäudes sind mit schwarzer Farbe bestrichen.
"Kaltes Weiß" blockiert Hitze
Die Technologie hinter der Fassadenfarbe: Coolest White ist ein Beschichtungssystem mit sehr hohem solaren Gesamtreflexionsvermögen. Das Substrat erwärmt sich weniger schnell als normale Farbe und strahlt in weiterer Folge auch weniger Wärme ab. Die Temperatur sinkt somit innerhalb und außerhalb von Gebäuden.
Perfekte Temperatur ohne Technik
Wohlige 22 bis 26 Grad Raumtemperatur, und zwar das ganze Jahr. Klingt nicht sonderlich spannend. Ist es aber, wenn man bedenkt, dass das Gebäude „2226 Emmenweid“ in der Schweiz ohne Heizung, Klimaanlage, mechanische Lüftung und sogar ohne künstliches Beleuchtung auskommt, solange Tageslicht zur Verfügung steht. Die Temperatur wird lediglich durch die bauliche Konstruktion und die gesteuerten Lüftungsflügel geregelt. „Das Bürogebäude in Emmenweid ist ein Nachfolger unseres Baus ,2226’ in Lustenau“, sagt Stephan Marending, Architekt bei Baumschlager Eberle und Geschäftsleiter Zürich.
Perfekte Temperatur ohne Technik
Auch dort wurde auf technische Lösungen verzichtet, um für konstante Raumtemperatur zu sorgen. Einige Unterschiede gibt es aber doch: Das Vorgängergebäude stand unter bedingtem Denkmalschutz. Für die Architekten beutete dies: das Volumen des Vorgängerbaus zu übernehmen. Marending: „Daher ist ein Quader entstanden, kein Würfel wie in Lustenau.“
Perfekte Temperatur ohne Technik
Ansonsten sind die Bauten gleich: Sehr solide Außenwände (2 x 38 cm) aus Ziegel, innen und außen verputzt mit Kalkputz und Fenster aus dreifach Isolierverglasung. „Die Hülle hat sehr hohe Dämmfähigkeit und thermische Trägheit.“ Der Temperaturverlauf von innen nach außen ist also langsam und Temperaturschwankungen können dadurch überbrückt werden.
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