Der Aufzug oder die Expansion nach oben
Wir benützen ihn jeden Tag, er ist ein nicht mehr wegzudenkender, selbstverständlicher Teil unserer Alltagskultur geworden.
Der Aufzug hat eine lange Geschichte. Schon beim Bau der Pyramiden in Ägypten sollen vertikale „Aufzüge“ verwendet worden sein. Archimedes, der griechische Mathematiker, Physiker und Astronom, hat im 3. Jh. v. Chr. den ersten bekannten Aufzug erfunden. Sein Gerät wurde mit Seilen und Rollen betrieben. Diese frühen Aufzüge wurden von Menschen, Tieren oder Wasser angetrieben und hauptsächlich verwendet, um schwere Lasten zu heben. Auch die Römer benutzten Hebevorrichtungen, etwa im Kolosseum, um Gladiatoren und wilde Tiere von der unteren Ebene zur Arena zu bringen.
Der nächste große Schritt in der Aufzugstechnik war die Perfektionierung der Dampfmaschine durch James Watt 1765. Im Barock wurden schon vereinzelt Schlösser und Palais mit Aufzügen ausgestattet. So ließ Maria Theresia in Schönbrunn (1772), in Schloss Laxenburg und in der Kapuzinergruft einen Personenlift installieren.
Pionier Otis
Der moderne Personenaufzug, wie wir ihn heute kennen, wurde in den USA entwickelt. 1854 stellte der Erfinder Elisha Graves Otis den ersten Aufzug vor, der eine Fangvorrichtung besaß und so ein Abstürzen verhinderte. Der erste kommerzielle Aufzug mit dem Sicherheitssystem von Otis wurde 1857 in das fünfgeschoßige Geschäftsgebäude der Firma E. V. Haughwout & Co am New Yorker Broadway eingebaut.
In Europa sollte es noch ein bisschen dauern. Wie sich der Aufzug schließlich in Wien etabliert hat, beschreibt der Stadtforscher und Historiker Peter Payer in seinem Buch „Auf und ab – Eine Kulturgeschichte des Aufzugs in Wien“. „Mich interessierte vor allem der Zusammenhang zwischen der Großstadtwerdung und der Implementierung des Aufzuges. Ich wollte die Geschichte des Aufzuges am Beispiel einer europäischen Großstadt dokumentieren. Und zwar wirklich in die Tiefe gehend: vom Beginn bis heute“, sagt Payer.
Wiens erste Personenaufzüge entstanden im Zentrum der Metropole. Anfangs waren sie ein Luxusgefährt für die elitäre Oberschicht‚ so wie das Auto. Im Jahr 1869 ließ Baron Johann von Liebig – weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit – den ersten hydraulisch betriebenen Personenaufzug in sein Palais in der Wipplingerstraße 2 einbauen. Konstrukteur war der Wiener Ingenieur Anton Freissler, der später eines der wichtigsten Aufzugsunternehmen Österreichs gründete. Kurz danach, am 10. Mai 1870, folgte der erste öffentlichkeitswirksame Auftritt eines Personenaufzugs, nämlich mit der Eröffnung des Grand Hotels am Kärntner Ring. Das mondäne Gebäude war mit modernster Technik ausgestattet, Telegraf, hydraulischem Gepäcksaufzug und auch mit einem Personenaufzug, dessen Betrieb sogleich Furore machte. Die Zeitungen berichteten zwar begeistert von der neuen Einrichtung, allerdings herrschte noch eine große Skepsis dem neuen Gefährt gegenüber.
„Alle Neuerungen haben neben einer technischen Seite auch eine große soziale und alltagskulturelle Dimension. Die ist beim Aufzug besonders spannend, weil ja die Benützung dieses Fahrzeuges mit großen Widerständen und auch Ängsten verbunden war. Nicht nur mit der Annehmlichkeit, dass man sich nicht mehr anstrengen muss und bequem in die Höhe oder Tiefe kommt, sondern auch mit der Angst, hinunter zu fallen und abzustürzen“, sagt Payer. Selbst namhafte Architekten wie Otto Wagner waren zunächst große Aufzugsskeptiker. „Ein Architekt der klassischen Schule hat auch das Stiegenhaus und das Foyer geplant und plötzlich kommt ein modernes neues Fahrzeug daher und bringt das alles durcheinander“, erklärt der Stadtforscher. Aber selbst Wagner wurde bekehrt und in seinen späteren Jugendstilgebäuden war der Aufzug bereits fixer Bestandteil.
Rotunde
Eine nächste wichtige Etappe zur Verbreitung der Aufzugstechnik war die Wiener Weltausstellung 1873. Zentrum des Ausstellungsgeländes war die Rotunde, der damals größte Kuppelbau der Welt mit einer Höhe von 84 und einer Spannweite von 108 Metern. Innen wurden zwei hydraulische Aufzüge errichtet, vor denen die Menschen Schlange standen.
Die Benützung dieses neuen Fahrzeuges war anfangs mit großen Widerständen und auch Ängsten verbunden.
In der Folge wuchs Wien immer mehr und entwickelte sich zur europäischen Metropole. Die Einwohnerzahl stieg auf knapp mehr als zwei Millionen im Jahr 1910, die Zahl der Gebäude von rund 12.000 (1880) auf 41.000 (1910). Und die Stadt expandierte auch in die Höhe. 60 bis 70 Prozent der zwischen 1896 und 1913 errichteten Neubauten wiesen mehr als drei Geschoße auf. Voraussetzung dafür war eine leichte Erreichbarkeit der oberen Stockwerke, die Zahl der Aufzüge stieg. Ab 1890 setzte mit dem Aufkommen des elektrischen Antriebs ein nachhaltiger Aufschwung ein. Gab es im Jahr 1900 noch 412 Personenaufzüge, so waren es 1913 bereits 2.586. Dennoch waren es nach wie vor die besseren Gegenden und die repräsentativen Gebäude, die mit Aufzügen ausgestattet wurden.
Parallel dazu entwickelte sich eine starke Aufzugsindustrie in Wien mit prominenten Namen wie Freissler, Wertheim, Theodor D’Ester oder Sowitsch. Diese Unternehmen waren europaweit, teilweise sogar weltweit aktiv.
Fast 100 Jahre bis zur Massentauglichkeit
Der Siegeszug des Aufzuges begann aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg. „Es sollte vom ersten Lift 1869 fast 100 Jahre dauern, bis in die 1950er, 60er-Jahre, bis der Aufzug in Wien so wirklich als Massenverkehrsmittel ankommt. Erst da durchdrang er schließlich alle Schichten und wurde sowohl im Wohn- als auch im Geschäftsbau zum Standard“, sagt der Stadtforscher.
Auch der U-Bahnbau ab den 1960er-Jahren war ein wichtiger Meilenstein, was die vertikale Ausrichtung nach unten anging. Ein publikumswirksames Highlight der Wiener Aufzugsgeschichte war zweifellos der Lift im Donauturm als damals schnellster Aufzug Europas. Er wurde von Ing. Stephan Sowitsch & Co errichtet. Nach diesem Höhepunkt der Ingenieurstechnik ging es allerdings auch mit der heimischen Aufzugsindustrie bergab. Die meisten Unternehmen wie etwa Freissler, Wertheim oder Sowitsch wurden sukzessive von den großen Konzernen wie Otis (USA), Kone (Finnland) oder Schindler (Schweiz) geschluckt. Wertheim hatte sich seit dem Einstieg von Schindler 1969 vor allem auf den Bau von Rolltreppen spezialisiert.
Hochhausboom
Ein neuer Aufzugsboom setzte ab der Jahrtausendwende ein, als in Wien mit dem Andromeda-Tower (1998), Millennium-Tower (1999), Mischek-Tower (2000), Ares-Tower (2001) und den Twin-Towers (2001) die ersten „wirklichen“ Hochhäuser gebaut wurden. Absoluter Aufzugsspitzenreiter ist der im Februar 2014 eröffnete DC Tower 1, der eine Höhe von 250 Metern und insgesamt 60 Stockwerke aufweist. In dem Gebäude verkehren 29 Aufzüge, die derzeit schnellsten und längsten Österreichs.
„Für mich war es vor allem spannend, wie viele Facetten ein Aufzug für unsere Alltagspraxis hat, unser Denken Fühlen, Fortbewegen ... wie wir gelernt haben, die Angst zu überwinden und uns relativ bedenkenlos, ganz alltäglich in den Aufzug begeben. Das ist ein spannender zivilisatorischer Lernprozess“, sagt Payer. Und er ruft dazu auf, auch bewusster mit dem Aufzug zu fahren. „Es gibt heute in Wien noch ca. 200 Aufzüge, die 100 Jahre alt sind. Wir müssen ein Bewusstsein schaffen, das auch der Aufzug ein erhaltenswürdiges Gefährt ist.“
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