Wir sind Helden

Tibor Aradi im Krankenhaus.
Zur richtigen Zeit das Richtige tun. Klingt einfach – und ist doch oft schwieriger, als wir es uns vorstellen können. Vor allem, wenn ein Leben davon abhängt. Wer nur einen Moment zögert, hat vielleicht schon die einzige Gelegenheit verpasst.

Der Schockzustand. Der Körper vollgepumpt mit Adrenalin und anderen Stresshormonen. Anders lässt es sich nicht erklären, was Tibor Aradi an einem Samstag im Mai dieses Jahres geleistet hat.

Beim Reinigen einer Maschine wird dem 37-jährigen Arbeiter der rechte Unterarm abgerissen. Aradi befindet sich völlig allein auf der Bauschutt-Deponie, wo er beschäftigt ist. Er läuft zum Auto, um ins Krankenhaus zu fahren. Dann dreht er wieder um – sein Arm liegt in einer Grube mit Sägespänen. Er nimmt ihn mit, legt ihn sorgfältig in den Kofferraum. „Ich dachte mir, dass es da kühler ist als im Auto – und dass das besser für den Arm ist“, wird er später sein Handeln erklären. Dann fährt Tibor Aradi knapp zwanzig Kilometer von Purbach nach Eisenstadt. Er schaltet mit dem linken Arm, lenkt mit den Knien, irgendwie muss es einfach gehen – Aradi will überleben. Immer wieder trinkt er reichlich Wasser, macht intuitiv alles richtig.

Am Krankenhaus angekommen, versucht der gebürtige Ungar die schnellste Einfahrt zu nehmen – was ihm verwehrt wird. „Nur für Einsatzfahrzeuge“, sagt der Portier. Der ja wirklich nicht davon ausgehen kann, dass dem Mann im Auto, der gerade „Arm kaputt“ in die Gegensprechanlage gesagt hat, tatsächlich ein kompletter Arm fehlt. Tibor Aradi fährt jedenfalls brav in die Besuchergarage und löst sogar noch einen Parkschein, bevor er den verdutzten Schwestern vom Empfang seinen Arm vor die Nase legt und „bitte annähen“ sagt.

Sofort wird Aradi nach Wien ins AKH überstellt, wo der Arm in einer sechsstündigen Operation tatsächlich wieder angenäht werden kann. Zunächst sieht auch alles sehr gut aus – knapp eine Woche später müssen die Ärzte jedoch aufgrund einer lebensbedrohlichen Entzündung wieder amputieren. Zu lange war der Arm ohne Durchblutung gewesen, zu stark wohl auch die Verschmutzung. Was nichts an der Leistung Tibor Aradis ändert. Und nichts an seinem unerschütterlichen Willen: Nur drei Monate nach dem Unfall konnte er mit seiner Prothese schon wieder greifen. Derzeit lässt er sich umschulen. „Weil arbeitslos sein will ich nicht.“

Am 12. Jänner 2013 ist für Mohamed Abdel Salam kein Tag wie jeder andere. Der angehende Detektiv, der sich sonst an die Fersen von Ladendieben heftet, steht an diesem Samstag im Hof des Einkaufszentrums „The Mall“ in Wien Mitte, als er im ersten Stock eines Hauses einen Mann am offenen Fenster nach Luft ringen sieht. Im Gespräch mit dem KURIER erinnerte sich Salam: „Er konnte gar nicht mehr um Hilfe schreien.“ Durch die Flammen ist die Rauchentwicklung extrem stark und Salam weiß, dass er rasch handeln muss. Er schlägt mit seinen Ellbogen eine Glastür ein, sprintet in den ersten Stock tritt eine Türe ein und: Steht in der falschen Wohnung. Doch dann sieht er eine Tür voller Ruß, holt tief Luft und ist endlich dort, wo seine Hilfe von Nöten ist. „In der Wohnung ist ein Mann gekniet. Ich habe ihn über die Schulter gelegt und bin mit ihm raus.“ Friedrich A. Kommt mit Verdacht auf Rauchgasvergiftung ins Krankenhaus. Mohamed Abdel Salam ist ein Held. Und der Mieter der „falschen“ Wohnung? Hat dem Lebensretter verziehen. Ganz klar!

Wir sind Helden
Mohamed Abdel Salam, Detektiv, The Mall Wien-Mitte, Lebensrettung, Wohnungsbrand, Landstraßer Hauptstraße 99, Zivilcourage

Es ist ein Abend Ende Oktober und die Donau hat gerade einmal 11,5 Grad. Das große Pech ist, dass kurz nach 20 Uhr auf Höhe der Brigittenauer Brücke zwei Wasserpolizisten von einem Frachter gerammt werden. Der Kapitän bemerkt den Unfall ebensowenig wie das sinkende Boot von Leopold H. und Dieter P. Er fährt weiter, während die beiden Beamten um ihr Leben kämpfen. Im kalten Wasser wird der Körper schnell klamm und die Männer schaffen es nicht bis ans Ufer. Zumindest erreichen sie eine Bucht, in der sie auf Hilfe hoffen, die zum Glück auch kommt. Wenig später unternimmt Matthias Österreicher mit seiner Freundin Mireia Pedraes einen Abendspaziergang und hört Geräusche, die er zuerst nicht zuordnen kann. „Wir haben komische Laute vernommen und schließlich gehört, wie jemand „Bitte kommt’s her“, gerufen hat, schildert der Lebensretter dem KURIER. Österreicher handelt schnell und findet, obwohl es stockdunkel ist, eine Stelle, wo Bucht und Ufer zusammenlaufen. Bei den Männern angekommen, checkt der Medizin-Student zuerst die Vitalfunktionen: „Ein Polizist ist im Schock auf- und abgelaufen. Der zweite konnte kaum noch reden und hat nur langsam geatmet.“

Wenig später treffen Polizei-Hubschrauber und Rettung ein und bringen die Polizisten mit starker Unterkühlung ins Krankenhaus. Lebensretter Österreicher ist sich sicher: „Wären wir 15, 20 Minuten später gekommen, hätte es schlimm ausgeschaut.“ Den Polizisten geht es inzwischen wieder gut, der Frachter-Kapitän wurde angezeigt.

Ebenfalls ein großes Lob hat sich der weiße Mischlingsrüde „Sammy“ verdient. Als im November kurz vor Mitternacht im Haus von Frauerl Herta Hofer ein Feuer ausbricht, bellt er so laut, dass die 81-Jährige aus dem Schlaf erwacht und gerettet werden kann. Das beweist: Bellende Hunde beißen nicht, aber sie retten Leben. Die Brandursache: Die überhitzten Rohre eines Ofens im Schlafzimmer. Sammy hat einen Orden übrigens verweigert und sich eine Knackwurst zur Belohnung gewünscht.

Obertraun, ein Sonntag im Mai. Der zwölfjährige Sebastian darf seinem Vater und dessen beiden Freunden bei der Waldarbeit helfen. Während der Vater und einer der Freunde das Gebiet noch großräumig sichern, um Unfälle mit Wanderern zu verhindern, beginnt der 54-jährige Klaus eine mächtige Buche zu fällen. Sebastian ist allein mit dem erfahrenen Forstwirt, beobachtet genau, wie der die Säge- und Keilarbeit erfolgreich abschließt. Mit lautem Knarren und Krachen beginnt der Baum zu fallen.

Doch dann passiert das völlig Unerwartete: Die Buche dreht sich, die schweren Äste ziehen sie Richtung Hang – und noch bevor sich Klaus in Sicherheit bringen kann, begräbt ihn der Baum unter sich.

Der Forstarbeiter bekommt keine Luft, fällt in Ohnmacht. Dann stöhnt er röchelnd, kann dem Buben keine Anweisungen geben. Sebastian muss allein entscheiden, was zu tun ist. Ohne die Nerven zu verlieren. Den dicken Stamm kann Sebastian nicht bewegen. Soll er nach Hause laufen? Viel zu weit. Die nächste Straße? Ebenfalls Kilometer entfernt, und noch dazu kaum befahren. Wo ist sein Vater hingegangen? Der wollte den Weg am Nordrand des Waldes absperren, um Unfälle mit Wanderern zu vermeiden.

Auf sich gestellt, ohne die Orientierung zu verlieren oder in Panik zu verfallen, läuft der Zwölfjährige durch den steilen Bergwald. Und hat Erfolg. Er findet seinen Vater, gemeinsam gelingt es ihnen, Klaus zu befreien. Gerade noch rechtzeitig. Die Ärzte im Krankenhaus können seinen Zustand stabilisieren – er wird keine bleibenden Schäden davontragen. Sebastians Wunsch: Feuerwehrmann zu werden. „Menschen helfen.“

Schwein gehabt? Wohl eher Hund. Denn der Labrador-Sennenmischling „Micki“ entdeckt beim Spazierengehen mit Herrl Ivica Simic Mitte Jänner im Bezirk Braunau einen Mann im Schnee. Das Dumme: Es hat minus elf Grad und der 42-Jährige legt sich nach einem feuchtfröhlichen Abend einfach am Boden zum Schlafen hin. Doch Spürnase „Micki“ nimmt Fährte auf, zieht Herrl Ivica zum Ort des Geschehens und rettet damit ein Leben. „Der Hund ist der Held, ich habe nur die Einsatzkräfte alarmiert“, meint der bescheidene Hundebesitzer.

Der Mount Everest. Ein Lebenstraum für den Salzburger Alpinisten und Bergretter Rupert Hauer. Ein Mal ganz oben sein, ein Mal auf dem Dach der Welt stehen. Am Pfingstmontag dieses Jahres soll er endlich in Erfüllung gehen. Hauer ist allein und ohne Sauerstoff, als er um ein Uhr früh vom „Lager 3“ in 8.300 Meter Höhe aufbricht. Die Erfahrung will er so unmittelbar wie möglich spüren – pur, persönlich. Der Mann aus Mauterndorf im Lungau ist keiner der Touristen, die sich von Scherpas auf den höchsten Gipfel der Welt schleppen lassen. Er bereitet sich gewissenhaft vor, befährt zur Akklimatisierung den mehr als 8.000 Meter hohen Shishapangma mit Skiern, bevor er sich auf sein ganz großes Abenteuer einlässt. Es wird eine Erfahrung werden, so ist er sich sicher, die man nur einmal im Leben macht.

Wie Recht er damit noch haben würde, davon ahnt er aber nichts, als er losgeht. Hauer ist bereits auf 8.700 Meter – also nicht einmal 150 Höhenmeter von seinem langersehnten Ziel entfernt –, als ihm ein schneeblinder Amerikaner mit seinem Scherpa entgegentaumelt. Verzweifelt bittet der Scherpa um Hilfe. Hauer zögert keine Sekunde, sofort kehrt er mit den beiden um, während etliche andere Bergsteiger sie ohne Hilfe anzubieten überholen, bringt er den Kollegen in einem zermürbenden, siebenstündigen Abstieg ins „Lager 3“ in Sicherheit.

Für Hauer selbst ist damit aber die Gefahr noch lang nicht vorbei. Ohne Sauerstoff hätte er eine weitere Nacht in dieser Höhe nicht überlebt. Völlig allein geht er weiter, bringt sich auf 7.000 Meter Höhe in Sicherheit. Würde er wieder so handeln? „Jederzeit.“

Der Winter war lang, der Frühling kalt – im Mai hat der Attersee eisige 11 Grad. Ein Handelsvertreter bekommt auf einer Dienstfahrt gesundheitliche Probleme, kommt mit seinem Wagen von der Straße ab und stürzt ins Wasser. Etwa 90 Meter tief ist der See nach einer kurzen Geländekante an dieser Stelle. Unbeirrt treibt das Auto darauf zu, der kranke Mann darin gefangen.

Doch manchmal hat man eben doch das sprichwörtliche Glück im Unglück. Oliver Forisch, Feuerwehrmann, Rettungstaucher und Rotkreuz-Helfer aus Unterach in Oberösterreich, fährt gerade in diesem Augenblick an der Böschung vorbei. Er sieht das Auto, das vom Ufer wegtreibt und weiß sofort, was zu tun ist. Mit Spanngurten bewaffnet springt er ins eiskalte Wasser, sichert das Auto, da ihm klar ist, es wird sofort untergehen, wenn er die Tür öffnet. Schließlich gelingt es ihm sogar, das Auto an den Gurten näher ans Ufer zu manövrieren.

Dabei bleibt er ständig in Kontakt mit dem hilflosen Insassen, erklärt ihm, was er als Nächstes tun wird, versucht ihn zu beruhigen, jede Panikreaktion zu verhindern. Erst dann öffnet Forisch die Fahrertür. Gerettet. Der Handelsvertreter wird im Krankenhaus Bad Ischl behandelt, bis auf ein paar Prellungen ist er unverletzt. Und Oliver Forisch holte sich nicht einmal einen Schnupfen.

Der Chef von Abubarar Abdulajev muss seine Qualitäten haben, wovon allerdings nicht alle Mitarbeiter überzeugt gewesen sein dürften. Abdulajev rettet seinem Boss das Leben rettet, als ein anderer Mitarbeiter auf den Firmenchef schießt. Doch der Reihe nach.

In den frühen Morgenstunden im Mai spielen sich im Büro der 51-jährigen Führungskraft einer Blitzschutzfirma filmreife Szenen ab. Ein am Vortag entlassener Mann erscheint mit einer Repetierflinte im Büro des Chefs, um Rache zu nehmen. Das Gewehr transportiert er in einer Gitarrentasche und kann so sein Vorhaben verbergen. Dann schießt er – zuerst daneben und dann dem Chef in die Brust. Abdulajev, der alles beobachtet, zögert nicht und schreitet zur Tat. Er zückt einen Schraubenschlüssel, den er zufällig in der Hosentasche hat, und schlägt den Schützen damit k. o. Doch was war passiert? Tags zuvor war der Täter, ein 43-jähriger Iraner, mit dem Vorgesetzten in Streit geraten, weil dieser ein Fahrzeug zurückgefordert hatte, das der Mitarbeiter auch privat fahren durfte. „Ich dachte mir schon, dass es Probleme geben wird“, erzählt Abdulajev dann dem KURIER. „Aber ich dachte nie, dass er mit einer Waffe kommt.“ In den drei Jahren, die der Iraner für Harald U. tätig gewesen ist, dürfte sich jede Menge Hass aufgestaut haben. Und in einem Interview mit der Zeitschrift News sagt der Schütze: „Vom Start des Dienstverhältnisses hat er mich wie einen Sklaven behandelt. Ich musste jeden Monat Dutzende Überstunden machen. Er ließ mich, auch wenn ich todmüde war, auf Dächern gefährlichste Arbeiten verrichten.“ Auch von Beschimpfungen und nicht ausgezahltem Gehalt ist die Rede. Abubarar Abdulajev jedenfalls hat nicht nur seinem Chef, sondern auch dem ehemaligen Arbeitskollegen das Leben gerettet. Hätte er nicht eingegriffen, wäre ein Mensch jetzt vielleicht tot und der andere ein Mörder. Der Iraner muss sich für seine Tat verantworten, sein Opfer hat sich vom Attentat aber zum Glück wieder erholt. Bei dem Schuss waren keine lebenswichtigen Organe verletzt worden.

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