Wer ist die Schönste im ganzen Land?
Billig? Von wegen. Die erste Schönheitskönigin der Neuzeit war so blaublütig, wie man nur sein kann: Georgiana Seymour, Herzogin von Somerset, wurde 1839 in Schottland im Rahmen eines Festes von den teilnehmenden Sirs und Lords zur Queen of Beauty gewählt.
Natürlich wurden auch schon im Mittelalter, in der Antike, wahrscheinlich zu allen Zeiten im Rahmen von Mai- oder Sommerfesten junge Frauen erwählt, die den Inbegriff des Reifens, Erwachens, der Üppigkeit, der Ernte oder generell des Lebens repräsentierten. Allein ihre Namen sind nicht überliefert, wahrscheinlich, weil es eben nicht um sie ging, sondern darum, was sie verkörperten. Objektifizierung? Aber absolut.
Und damit sind wir auch schon beim ersten der beiden meistgenannten Kritikpunkte, wenn's um Schönheitswettbewerbe geht: Frauen werden ihrer Persönlichkeit beraubt, zu Symbolen, „Fetischen“ gemacht. Das war in Antike und Mittelalter, als Gemeinschaft alles und das Individuum praktisch nichts war, kein Ding, über das man zwei Mal nachgedacht hätte; heute wird zurecht vor allem die Einseitigkeit der Angelegenheit missbilligt. Der zweite ist ja die Vermutung, dass es sich bei diesen „Wettbewerben“ um einen eher unseriösen Spaß handelt, gemischt mit Bedenken, ob es sich schickt, bei so etwas überhaupt mitzutun. Begafft, begutachtet zu werden. Auch hier sollte man die Kritik durchaus ernst nehmen ...
Der Stellenwert dieser Events ist dementsprechend von Land zu Land unterschiedlich. Auffallend ist, dass es vor allem die Nachkriegsjahrzehnte waren, die 1950er und -60er, in denen Schönheitskonkurrenzen boomten und wahre Begeisterung auslösten. Sogar im streng katholischen Italien wo man 1950 eine 15-jährige Sophia Loren als neue Miss Elegance feierte.
Land der Königinnen
Ausgerechnet im oft als prüde verschrienen Amerika stellen Schönheitswettbewerbe eine beinahe unantastbare Institution dar. Obwohl man erst relativ spät damit anfing. Erst 1921 wurde eine offizielle Misswahl durchgeführt, bis dahin konnten konservativ-religiöse Gruppen die sündigen Bewerbe immer wieder verhindern. In den 1950ern hatten dafür dann 90 Prozent der Housewives, die in den Suburbs Martinis tranken und auf die Heimkehr ihrer erfolgreichen Ehemänner warteten, mindestens einen Königinnen-Titel.
Und auch heute blicken neben glücklichen Hausfrauen, toughen Immobilienmaklerinnen und kellnernden Schauspielerinnen viele Promis, Managerinnen und sogar Politikerinnen auf eine Karriere als „Beauty Queen“ zurück. Meist nicht ganz ohne Stolz. Michelle Pfeiffer etwa wurde mit 19 Miss Orange County, Halle Berry Miss Ohio (1985), TV-Journalistin Diane Sawyer, quasi Amerikas Antwort auf Armin Wolf, gewann in den 60ern den America’s Junior Miss-Bewerb, und Oprah Winfrey, die mächtigste Meinungsmacherin der USA, wurde 1971 zur Miss Black Tennessee gekrönt. Dazu sitzen im US-Senat und auf etlichen Gouverneurssesseln Missen, Prinzessinnen und Königinnen, die berühmt-berüchtigste ist wohl die Republikanerin Sarah Palin, die 1984 zur Miss Wasilla erkoren wurde. Das ist immerhin die sechstgrößte Stadt Alaskas.
Mit Matthew McConaughey gibt’s übrigens auch einen Quoten-Mann unter den Beauty-Queens. Little Mr. Texas ist der Titel, den er schon mit acht Jahren einheimste. So dachte er zumindest, da seine Mutter sein offizielles Teilnehmerbild mit dem entsprechenden Vermerk stolz in der Küche aufhängte. Und ihn immer, wenn er sich unsicher fühlte, daran erinnerte: „Du bist mein Little Mr. Texas!“ Erst vor zwei Jahren entdeckte er das Original-Bild mit dem Vermerk: „2. Platz“ und meinte in einem Interview: „Ich weiß nicht, ob ich wäre, wo ich heute bin, wenn ich im Bewusstsein aufgewachsen wäre, dass ich nur Zweiter geworden bin, dass ich verloren habe.“ Und möglicherweise ist es ja tatsächlich das amerikanische Wettbewerbsdenken, das den Schönheitskonkurrenzen dort zum Durchbruch verholfen hat – und sie beinahe anachronistisch populär bleiben lässt.
Aber natürlich gibt es auch in Österreich strahlende Sieger. Und Siegerinnen. Lange bevor Ulla Weigerstorfer 1987 den Miss-World-Titel nach Österreich holte, wurde die allererste Schönheitskönigin hierzulande im Jahr 1889 gekürt, also bereits ein Jahr nach dem ersten internationalen Wettbewerb im belgischen Nobelkurort Spa. Beim Annenfest auf dem Kahlenberg wurde die 19-jährige Marie Kaufmann ausgezeichnet. Die Veranstaltung war ein durchschlagender Erfolg und zog tausende Kiebitze an. Preis: eine goldene Damenuhr.
Kritik gab es schon damals: sowohl am Abstimmungsmodus (Stimmzettel wurden per Bierkrug abgesammelt) als auch am Ergebnis. Was ist schön? Wie aussagekräftig ist eine solche Wahl? Fragen, die schon früh die Gemüter bewegten. Dennoch fanden bald vielerlei Miss-Wahlen statt.Die erste Miss Austria hieß Lisl Goldarbeiter und wurde 1929 gekürt. Im selben Jahr wurde sie in Amerika als Miss Universe ausgezeichnet – die erste und einzige Österreicherin, der das je gelang.
Aber Karrieren wurden gemacht. Nachdem Nadja Tiller die Miss Austria-Wahl gewonnen hatte („Curd Jürgens lud mich danach zum Abendessen ein. Aber meine Mutter hat das nicht gestattet“) besetzte Franz Antel sie 1949 in „Kleiner Schwindel am Wolfgangsee“. Der Auftakt einer Weltkarriere: Tiller drehte mit Robert Mitchum und Jean-Paul Belmondo und gab in Salzburg im „Jedermann“ die Buhlschaft.
Bemerkenswert auch die Laufbahn von Johanna Melcher: Obwohl „nur“ Miss Vienna trat sie bei der Wahl zur Miss Universe an. Sie blieb in den USA, startete eine Showkarriere und wurde in Las Vegas eine gute Freundin von Elvis Presley, feierte in Graceland Weihnachten mit ihm. Es sind solche Storys – wie auch jene von Eva Düringer, Miss Austria 1977, die sich bei der Miss-Universe-Wahl in Designer Roberto Cavalli verliebte und ihn heiratete –, die noch immer einen nostalgischen Glanz auf Schönheitskonkurrenzen werfen.
Gute Zeiten, schlechte Zeiten
Doch die Zeiten änderten sich. In den 1980er Jahren sank das Niveau. Statt Charme war Fleischbeschau angesagt. In Diskotheken liefen Mädchen im Bikini vor johlenden Gaffern auf und ab. Hinter den Kulissen agierten Misstrauen erweckende Gestalten, auf der Bühne setzte es schmierige Witze. „Ich hatte den Ruf, meine Kandidatinnen auf der Bühne fertig zu machen“, sagte Missen-Macher Erich Reindl einmal.
Nach ihm führte u. a. Silvia Schachermayer (geb. Hackl) die Miss-Austria-Wahlen zu neuem Glanz. Die Gewinnerin von 2004 organisierte zwölf Jahre lang stilvolles Ambiente, den Bewerberinnen wurden Shootings, Workshops und Coachings geboten. Mehrere Missen haben interessante Laufbahnen eingeschlagen, Christine Reiler etwa wirkt als Ärztin und Moderatorin beim ORF.
Aktuell organisiert der Unternehmer Jörg Rigger die Wahl. Nicht ohne Komplikationen: 2018 ließ er Daniela Zivkov wegen Vertragsbruch den Titel aberkennen. „Der Zeitgeist ändert sich“, will er seine „Mission Austria“ auf neue Beine stellen. Der Gewinnerin stellt er auch eine Karriere als Influencerin in Aussicht. Ende August soll die Wahl stattfinden: schöne Aussichten.
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