Seilers Gehen: In Wien passen Tropennacht und Schnitzel zusammen
Die Stadt hat die Fähigkeit, von einem langen, kühlen Frühjahr innerhalb weniger Stunden auf Hochsommer umzuschalten, und damit meine ich nicht nur die Heizgeräte im Schanigarten der Bar Campari, die von heute auf morgen außer Dienst gestellt werden, während schicke Menschen in leichtem Sommerkostüm bunte Getränke schlürfen und sich fühlen, als säßen sie in Rom, Florenz oder Neapel.
Wenn ich an diesen Abenden durch die Wiener Innenstadt gehe, sammle ich Stimmungen, die so wienerisch sind, wie Wien wienerisch ist. Ich gehe also von der Seitzergasse, der durch die Bar Campari und ihr zahlreiches Stammpublikum nach Jahren der stumpfen Randexistenz ein neues Leben verliehen wurde, nur ein paar Meter weiter auf den Schulhof. Hier befindet sich der für mich schönste beiläufige Gastgarten der Stadt – jener vom Finsteren Stern, und man kann hier nicht nur sitzen und dann und wann Fiaker vorbeidefilieren sehen, sondern auch ausgezeichnet essen und sich vom freundlichen Kellner die richtige Flasche Wein zur ungetrübten Freude an Wiens langen Sommerabenden empfehlen lassen.
Wien ist, ich habe es bereits gesagt, gut mit dem Sommer befreundet. Nur zwei Ecken weiter, am Judenplatz bei Ellas sitzen und die perfekte Harmonie genießen, in die dieser fast schon pragerische Platz von der späten Hitze getaucht wird. Weitergehen, über den Hohen Markt zum Lugeck, wo man als Schnitzelesser einen geradezu fantastischen Außensitzplatz antrifft – mich persönlich erstaunt ja, wie gut in Wien die sogenannten „Tropennächte“ und der Schnitzelkonsum zusammenpassen, aber das ist eine Geschichte persönlicher Vorlieben und daher nicht objektivierbar. Weiter durch die Köllnerhofgasse und die Grashofgasse in den Heiligenkreuzerhof, wo sich hinter großen Toren Buxbaums Gastgarten verbirgt, der in seiner zurückhaltenden Pracht eine ganz besondere Stimmung ermöglicht: mittendrin zu sein und trotzdem ein wenig außerhalb.
Jetzt vielleicht noch um die Ecke an die Dominikanerbastei, wo der Designer Martin Mostböck den Schanigarten von Konstantin Filippous O boufés so schick neu gestaltet hat, dass man nach einem neuen, eleganteren Begriff für „Schanigarten“ suchen möchte. Hier ein Glas Sprudel trinken und die vibrierende, gute Laune des Orts einatmen, wo nicht nur im Sommer Sommerlaune herrscht.
Jetzt hinunter zum Donaukanal, ans Wasser hinabsteigen und den Duft nach Wasser und Ferien tief einatmen. Junge Menschen mit Soundboxen, die kleine Inseln aus Musik herstellen. Paare, die ins Wasser hinunter und zu den Sternen hinauf schauen, um dort den späten Abend zu erkennen oder auch die nähere Zukunft. Ein Typ mit Einkaufsrolli, der Bier verkauft. Schritte, die tief in die Wärme dieser Wiener Sommernacht führen und eine endgültige Antwort auf die Frage geben, wo man eigentlich sein möchte, jetzt, um diese Jahreszeit: im Süden, im Norden, im Westen, im Osten? Meine Antwort lautet: Hier, hier und noch einmal hier.
Seitzergasse – Schulhof – Judenplatz – Hoher Markt – Lugeck – Köllnerhofgasse – Grashofgasse – Heiligenkreuzerhof – Schönlaterngasse – Postgasse – Auwinkel – Dominikanerbastei – Donaukanal: 6.666 Schritte in den Sommer
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