Seilers Gehen: Bad Gastein erfindet sich ganz neu

Bad Gastein
Zwischen monarchiebefeuerter Nostalgie und Baustellen mit QR-Codes: Christian Seiler geht durch Bad Gastein.

Bad Gastein verändert sich, und es ist die Stadt selbst, die mich an allen möglichen Stellen darauf aufmerksam macht. Auf blauen Plakaten werde ich darauf hingewiesen, dass „hier“ Gasteins Zukunft entstehe. Danke, wäre nicht nötig gewesen. Dass hier mehr passiert als ein neuer Anstrich für eine Hausmauer, ist wirklich auf den ersten Blick zu erkennen.

Ich gehe durch das Zentrum von Bad Gastein, überquere auf der Brücke den donnernden Wasserfall, und nähere mich dem Straubingerplatz, diesem großartigen Ensemble zwischen dem gleichnamigen Grand Hotel, dem Badeschloss und der Alten Post. Hier war – das darf ich als langjähriger Bad-Gastein-Stammgast sagen – jahrzehntelang die allerfeinste Melancholie zu Hause, monarchiebefeuerter Abglanz großer Zeiten, die irgendwann in die Hose gegangen sind und nur diese Ruinen hinterlassen haben. Es war mir sogar einmal gelungen, durch eine offene Tür ins Badeschloss einzutreten, wo mir vor Vergangenheit ganz schummrig wurde, als ich im abgerockten Ballsaal einen vergessenen Flügel stehen sah.

Jetzt sind nach langem Stillstand die Kräne angerückt, und die QR-Codes auf den Baustellenbegrenzungen informieren mich über die Versprechungen, die hier für Ende Dezember 2023 gemacht werden: 150 Hotelzimmer auf 5- und 4-Sterne-Niveau sollen im historischen Mantel entstehen, und weil die alten Mauern nicht genug Volumen für die nötigen Räume umfassen, wird auch ein 13-stöckiger Turm hinter dem Badehaus wachsen, dessen Fassade als „zweischalige, gefärbte Betonkonstruktion“ geplant ist und die Stimmung des Wasserfalls aufnehmen soll. Ich gehe durch das Pochen und Lärmen der Baustelle und bin vorsichtig optimistisch. Die Entwürfe sehen auf den ersten Blick spektakulär aus. Woher die Luxusgäste kommen werden, die lieber nach Gastein als nach Lech oder Kitzbühel fahren wollen, möchte ich allerdings – Stand heute – nicht beantworten müssen.

Ich gehe zur Kaiser-Wilhelm-Promenade und muss an der nächsten Baugrube vorbei. Ein Teil vom Kurhotel Mirabell ist schon dem Erdboden gleichgemacht, ich kann noch die geblümten Badezimmerkacheln aus den siebziger Jahren sehen. Auch hier soll neben dem denkmalgeschützten Altbau ein neues Hotel entstehen, das auf Visualisierungen wie ein aus den Fugen geratener Glaspalast aussieht, Marke Büroturm an der Peripherie. Hoffentlich täusche ich mich, hier könnte eine spiegelnde Wunde entstehen.

Der Promenade entlang gehe ich Richtung Kötschachtal. Viele Geschäfte sind leer, viele Häuser bröckeln. Eine Portion Zukunft könnten die schon vertragen. Die Frage ist nur: aus welchem Material ist die richtige Zukunft für das zauberhafte Bad Gastein gewirkt?

Vor dem „Haus Hirt“ stehen bunte Sonnenschirme. Ich mache Pause, bestelle einen Kaffee, schaue ins Tal. Dieses Hotel mit seinem eklektizistischen Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart zeigt vor, wie Zukunft gelingt. Auf der Wiese darüber stehen ein paar Jahre alte Millionenvillas, die niemand bewohnt – so scheitert die Zukunft. Zukunft? Zukunft, das ist Gasteins einzige Gewissheit.

Bad Gastein - Zentrum - Staubingerplatz - Kaiser Wilhelm Promenade - Haus Hirt - und zurück: 3.400 Schritte

Kommentare