Als der Barkeeper Victor über Bord ging, war er schwer betrunken. Ganze elf Stunden trieb er im Meer, nachdem er in der Nacht vor Silvester vom Kreuzfahrtschiff gefallen war. Seine Kräfte verließen ihn, er stand kurz vorm Ertrinken. Jede, wirklich jede rettende Hand wäre ihm recht gewesen. Doch diese? Mit dieser war nicht zu rechnen. Er blinzelte in die Sonne, als kein Geringerer als Leonardo DiCaprio ihm nach stundenlanger Suche den Arm entgegenstreckte und ihn aus den Fluten zu sich auf die Yacht zog. Leben? Gerettet!
Wer ins Paradies will, braucht Mut
Merke: Wie in dieser Szene, die voriges Jahr für Schlagzeilen sorgte, ist auf Saint-Barthélemy dauernd mit filmreifen Momenten zu rechnen. Schon der Anflug auf den Traum der Karibik ist Action pur. Plötzlich schnellen die kleinen weißen Propellermaschinen hinter den Hügeln hervor, rauschen dann zwei Meter über dem behelmten Kopf so manch Motorradfahrers hinweg, wuuusch! – und stechen gleich dahinter auf die Landebahn hinab wie ein Habicht.
Wer hier falsch aufsetzt und sich beim Bremsweg verrechnet, macht sich nass – die Piste ist bloß 646 Meter kurz. Wer sich verschätzt, landet im türkisfarben glitzernden Meer. Piloten benötigen eine spezielle Ausbildung, um hier zu landen. Wild wechselnde Winde erschweren die Aufgabe zusätzlich.Doch das Risiko macht sich bezahlt.
St. Barth ist ein Paradies auf Erden. Breite Strände erwarten einen hier. Weißer Sand, fein wie Staubzucker. Palmenhaine und diskrete Privatvillen, Butlerservice und Infinity Pools. Eine Luxus-Enklave der Sonderklasse, die zum bevorzugten Ziel von Milliardären und Prinzen avanciert ist. Seit Kurzem hat diese Insel der Seligen wieder geöffnet. Für Touristen aus aller Welt, und vor allem für die Stars der Traumfabrik. Wer im Kino derzeit leider nur selten zu bewundern ist, tummelt sich hier auf der winzigen Fläche von nur 21 Quadratkilometern. Halb Hollywood ist da. Stars auf Schullandwoche. Und ihnen zu begegnen ist herrlich normal.
Mit Beyoncé beim Brunch
Schau, da drüben! Ist das nicht Jon Bon Jovi, wie er aus dem Dolce & Gabbana-Shop spaziert, ganz ungeniert. Und dort, am Strand im Nikki Beach Club, das ist Beyoncé, beim Brunch. Was wird sie wählen? Vielleicht das japanische Thunfisch-Tatar um 26 Euro, ergänzt von einem Glas Perrier Jouet? Jetzt geht Chris Hemsworth, seine Frau im Arm, an ihrem Tisch vorbei. Ob sie sich kennen? Er wohl Hallo sagt? Sich zu ihr setzt?
Entdeckt wurde das Eiland, das zu den Kleinen Antillen gehört, 1493 von Christoph Kolumbus, der es nach seinem Bruder benannte. Fortan wechselte die Insel flott die Besitzer. Unter anderem war sie bei Piraten höchst beliebt, dann tauschte der französische König Ludwig XVI. sie mit Schweden, um in Göteborg mit seinen Schiffen anlegen und Handel betreiben zu dürfen. Bis die Franzosen St. Barth 1877 schließlich für 400.000 Francs wieder zurückkauften.
Zehntausend Einwohner zählt die Insel heute, ist französisches Staatsgebiet, bezahlt wird in Euro. Und das reichlich. Dabei war der florierende Insel-Tourismus eigentlich gar nicht geplant. Unwissentlich präpariert hat St. Barth dafür einer, dessen Reichtum sprichwörtlich geworden ist und der hier bloß privat Urlaub machen wollte.
Rockefeller machte den Anfang
Doch David, dem Milliardärsbankier aus dem Clan der Rockefeller, gefiel es im Paradies so gut, dass er den Einheimischen zu einem Spottpreis zwei Sandstrände abkaufte, sich eine Villa baute – und damit den Jetset anzog wie der Honig die Bienen. Nicht schlecht für eine Insel, die sogar ihr eigenes Trinkwasser importieren muss. Die Kennedys waren da, die Rothschilds, Howard Hughes und Greta Garbo.
Alle fasziniert von der Möglichkeit, vormittags mit Meeresschildkröten an einem der vielen vorgelagerten Korallenriffe zu schwimmen, mittags auf einem Segelboot die Seele baumeln zu lassen, und von der französischen Lebensart: In den Küchen der Restaurants werken Starköche wie Jean-Georges Vongerichten im Sand Bar Restaurant, es regiert die leichte Muse. Genuss wird hier groß geschrieben. Und die abendliche Bouteille Rosé Wein ist stets nur ein Schwipschen entfernt.
Wer sich einen Geländewagen mietet oder das nötige Kleingeld für ein Boot besitzt, erkundet einen der 22 Sandstrände. Sie unterscheiden sich nur durch kleine Details, malerisch sind sie alle. Frühmorgens, bevor es zu heiß wird, geht es los. Der Colombier Beach ist nur durch eine 30-minütige Wanderung über Stock und Stein zu erreichen.
Doch die Strapazen sind es wert: In der einsamen Bucht wird man, gesäumt von Kokospalmen, kaum gestört. Der Anse de Grande Saline gilt vielen als schönster Strand St. Barths. Auch er entfaltet seinen Reiz durch seine Abgeschiedenheit. Hier kann man sich bestens von kräfteraubenden Shoppingtouren bei Louis Vuitton, Cartier & Co in der pittoresken Hauptstadt Gustavia erholen. Und auch hier ist es nötig, einen Sonnenschirm mitzubringen. Sowie einen Picknickkorb – Restaurants gibt es keine. Einzig das sanfte Plätschern der Wellen.
Was vom Hurrikan übrig blieb
Die Dualität von Privatsphäre und Trubel ist, was den ambivalenten Charme von St. Barth ausmacht. Denn die Insel kann auch anders: laut und schillernd. Prunkstück ist das Eden Rock oberhalb der Bucht von Saint-Jean. Nachdem der Hurrikan Irma vor drei Jahren eine Spur der Verwüstung hinterließ, blieb auch vom auf einen Fels gebauten 300 Millionen-Edelhotel bloß eine Ruine. Und wurde mit seinen 130 Luxusmietvillen von Grund auf renoviert. Ab 500 Euro pro Nacht kostet die günstigste. Im Oktober öffnet das Eden Rock rechtzeitig zur Hochsaison wieder seine Pforten, viele Villen, in die sich auch die Stars am liebsten zurückziehen, können bereits jetzt gemietet werden.
Silvester mit Abramowitsch
Das teuerste Vergnügen ist dabei die mit 1.500 Quadratmeter eher geräumig bemessene Villa Rockstar direkt am Strand. Lust auf ein Badezimmer, das zur Gänze mit Fliesen aus Weißgold im Wert von 250.000 Euro ausgekleidet ist? Hier ist ein derart glitzerndes Feuchtvergnügen möglich. Dafür ist auch die Miete Rock ’n’ Roll: 25.000 Euro pro Nacht. Geboten wird einem zu diesem Tarif allerdings einiges.
So wartet die Villa etwa mit Putting Green, Kino, Infinity Pool und einem Butler auf, der Gästen wie Mr. DiCaprio, der hier gern feiert, rund um die Uhr zur Verfügung steht. Und haben wir schon das Tonstudio erwähnt, mit jenem Mischpult, an dem John Lennon sein legendäres Album „Imagine“ auf Spur gebracht hat?
Verantwortlich für derlei Extravaganz ist Besitzer David Matthews. Er arbeitete sich vom Automechaniker zum Selfmade-Millionär hoch, der sein Geld mit Busfirmen machte. Mitte der 1990er Jahre wagte er ein Abenteuer – und verwandelte ein heruntergekommenes Anwesen in ein kunstsinniges Fünf-Sterne-Juwel. Das verlangte wohl auch gesellschaftlich nach höheren Weihen: Seinen ältesten Sohn James schickte er ans Eton College, der Kaderschmiede für Englands Eliten, wo dieser mit Prinz William die Schulbank drückte. Verheiratet ist der Manager heute mit der Schwester von Herzogin Kate – Pippa Middleton.
Ob sie alle heuer wohl wieder Neujahr in St. Barth begehen? Der Jahreswechsel sorgt stets für ein groteskes Schaulaufen der Milliardäre. Es geht um die Frage, wer hat die längste – Superyacht. An die 60 dieser Luxusdampfer ankern dann vor der Küste, vom Filmmogul David Geffen bis zu Roman Abramowitsch mit seiner „Eclipse“ und ihren zwei Hubschrauberlandeplätzen. Punkt zwölf knallen die Korken und ein funkelndes Feuerwerk erhellt die Küste von St. Barth, während alle Yachten gleichzeitig ihr Nebelhorn ertönen lassen. So lässt sich’s feiern – wenn bloß mal keiner über Bord geht. Leonardo DiCaprio kann nicht alle retten.
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