Gerade noch einen Tisch ergattert. Ein reges Kommen und Gehen herrscht hier, dennoch muss man flink sein. Permanent sind die weißen Tische bis auf den letzten Platz besetzt. Das Café de Turin ist eines der ältesten Fischrestaurants an der ganzen Côte d’Azur, seit mehr als hundert Jahren wird an der Place Garibaldi geschlürft und geschlemmt. Da gibt es Krabben und Langusten und Muscheln und Austern, im Winter auch Seeigel, die eigene Taucher jeden Tag an Land fischen. Dazu ein Fläschchen Rosé? Da sagt man nicht nein. Selbst wenn das „Turin“ in jedem Reiseführer steht – Pflicht ist es dennoch. Als ein stetiger Quell heiterer Betriebsamkeit, nonchalanter Improvisation. Kellner im Laufschritt, lauthals lachende Familien; hier kommt der Professor zwanglos mit dem Arbeiter am Tisch nebenan ins Gespräch, sucht man sich an der Verkaufsvitrine Köstliches fürs Mahl zu Hause aus. Etepetete ist hier gar nichts, nur eines wird hemmungslos zelebriert: die Lust am Meeresgetier. Und am Leben. Der Gewölbebogen, die grüne Markise, umspannt dieses Plätzchen wie ein Segel, hält es zusammen, wie eine eigene Welt.
So ist es ein bisschen auch mit Nizza. Gewiss, die ganze Côte d’Azur an sich ist ein Gesamtkunstwerk: das azurblaue Meer, die roten Ziegeldächer, die verspielte Leichtigkeit. Die intensiven Farben, das eindringliche Licht, die unmittelbare, natürliche Schönheit. In jeder Brasserie könnte Picasso mit einer Skizze bezahlt haben, um jede Ecke Curd Jürgens im Rolls-Royce gebraust sein – ein Sehnsuchtsort, für alle, die nie da waren, wie für jene, die immer wieder kommen.
Junger Chic statt Nostalgie
Und doch scheint Nizza anders: Anders als Monaco oder Saint-Tropez, wo der Lack ab, und das Jetset-Feeling von einst, als die Bardot barfuß durchs Fischerdörfchen tanzte, kaum noch vorhanden ist, weil geltungsbedürftige Protzer mit dicken Uhren und in Übersee registrierten Yachten einem das Laisser-faire versauen. Nizza ist so etwas wie die leiwande Schwester dieser zwei Luxuspuppen: weniger prätentiös, aber, oh, là, là!, um nichts weniger chic.
Es eine überschaubare Stadt, selbst wenn sie gemessen an der Einwohnerzahl die fünftgrößte Frankreichs ist. An der Place Masséna laufen ihre Fäden zusammen, mit ihrem schwarz-karierten Pflaster und den roten Arkaden im Turiner Stil; hier trennen sich Altstadt von Neustadt, quer über den Platz biegt die Tramway ein. Ständig verschmelzen französische und italienische Kultur in Nizza ineinander, kein Wunder: erst 1860 wurde es per Volksabstimmung von Italien an Frankreich abgetreten.
Gleichzeitig ist es eine junge Metropole: Die Hälfte der Nizzaer sind unter 40 Jahre alt. Man verharrt nicht in Nostalgie. Kunst ist allgegenwärtig, nicht nur weil Nietzsche hier der vierte Teil seines „Zarathustra“ einfiel, Matisse am Meer seine Bronchitis ausheilte und auch Chagall sein eigenes Museum erhielt. Das Museum für zeitgenössische Kunst zeigt Werke von Yves Klein bis Andy Warhol; Nizza verwaltet dieses Erbe nicht bloß: viele Galerien konzentrieren sich auf junge, lebendige, originelle Kunst.
Dennoch ist die Historie omnipräsent: Erst waren die Griechen da, im 4. Jahrhundert vor Christi, dann gründeten die Römer in den Hügeln des Colline du Château die Siedlung Cemenelum. Heute liegt dort das Stadtviertel Cimiez. Die Ausgrabungen können etwa im archäologischen Museum besichtigt werden; im Amphitheater fand zeitweise das berühmte Jazzfestival statt, bei dessen ersten Ausgabe 1948 übrigens niemand Geringerer als Louis Armstrong auftrat.
Auf den Colline du Château hinauf muss jeder, der einmal Nizza betritt: Der etwa hundert Meter hohe Hausberg der Stadt ist spazierend zu erklimmen, wenngleich für Fußmarode auch ein Aufzug hinauf fährt. Die Einheimischen verbringen hier gern ihre Sonntage. Wer verliebt ist, genießt am Abend romantische Momente. Immerhin erwartet einen oben ein traumhafter Ausblick über die Altstadt und ein hübsch beleuchteter Wasserfall.
Auch die Promenade des Anglais ist von dort selbstverständlich zu sehen. Es ist die Prachtstraße Nizzas: Mit seinen Art-déco-Villen und Architekturjuwelen ist sie ein acht Kilometer langes, begehbares und von Palmen gesäumtes Wahrzeichen. Ihr Name zielt auf die Engländer ab, die sie um 1900 entlang spazierten und ihre kränkelnde Gesundheit im milden Riviera-Klima pflegten. Bald überwinterten Könige wie Künstler hier. Das prachtvolle Belle-Époque-Luxushotel Negresco ist dabei eine Nummer für sich. Alles, was je Rang und Namen hatte, stieg hier ab, von Salvador Dali bis Greta Garbo. Nizza ist ein Augenschmaus, wie etwa die Promenade du Paillon und ihre 128 sprühenden Fontänen.
… einen Roman, der an der Côte d’Azur spielt, etwa Klassiker wie „Zärtlich ist die Nacht“ von F. Scott Fitzgerald und „Bonjour Tristesse“ von Françoise Sagan, oder Neueres wie „Villa America“ von Liza Klaussmann und „Als Hemingway mich liebte“ von Naomi Wood.
… elegante Poloshirts, Leinenhemden und leichte Sommersakkos – gut, dass die Jetset-Mode der Sechzigerjahre ihr Comeback feiert.
… Sportschuhe für einen Lauf auf der Promenade des Anglais.
Und es ist eine Stadt für Genießer: Im La Merenda etwa dank Dominque Le Stanc. Der Sternekoch schmiss seinen Job im Negresco und kocht nun in einem winzigen Restaurant einfach das, worauf er Lust hat – authentische, regionale Küche. Derart gestärkt kann man dann auch die Ausflüge ins Umland angehen: Antibes, Monaco, Saint-Jean-Cap-Ferrat oder Villefranche-sur-Mer liegen nahe und sind mit Zug oder Auto bestens erreichbar. Bon voyage!
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