Kiten im Hochtal: Dieses Surfrevier liegt 1.800m über dem Meer

Silvaplanersee im Engadin: Das alpine Kitesurfzentrum
Silvaplana im Schweizer Engadin ist ein Ziel für Kitesurfer. Weil heuer das Meer so fern ist, kommen noch mehr auf 1.800 Meter.

Der Surflehrer bittet die Anfängergruppe um eine Vorstellungsrunde. Seine Locken drängen unter der Kappe hervor, sein Lächeln ist wie Zahnpastawerbung, man sieht sich selbst in der Spiegelbrille, die er am Band um den Kopf befestigt hat. Keiner kann widerstehen, Annatina aus Sankt Gallen ist am schnellsten. Ihre Freundin Ilona ist auch aus der Schweiz, Ilonas Freund René eigentlich aus Vorarlberg. Der Journalist kommt aus Wien, und selbst der von hier stammende Ronnie lebt jetzt an der Côte d’Azur, er nützt einen Familienbesuch zum Kitesurfkurs.

Kiten im Hochtal: Dieses Surfrevier liegt 1.800m über dem Meer

Ein Surferboy in den Alpen: Tomas bringt den Anfänger das Kitesurfen bei

Der Surflehrer heißt Tomas, und nachdem er es im slowakischen Skikader nicht in den Weltcup geschafft hatte, schlug er die Sunnyboykarriere ein: Skilehrer, Surflehrer, erst auf Fuerteventura, jetzt hier. Denn es gebe keinen besseren Wind als den Maloja. Und den gibt es eben nur im Schweizer Engadin auf 1.800 Metern.

Das Schweizer Engadin ist schön

Selbst besonders alpinnationalistische Österreicher müssen anerkennen, dass die Bergarchitektur dieses siebenundfünfzig Kilometer langen Hochtals außergewöhnlich ist. Zwar ist es von Bergen bis auf 4.000 Meter begrenzt, aber mit seinem saftigen, breiten Talboden ist es anders als enge Alpentäler. Diese Weite bringt viel mehr Sonne und eine offene Art der etwa 18.000 Engadiner mit sich. Das höchstgelegene bewohnte Hochtal Europas liegt im Kanton Graubünden und ist ein Zentrum der rätoromanischen Kultur, hier wird die vierte Schweizer Amtssprache noch in der Schule gelehrt, und vieles ist auf Rätoromanisch (auch „Bündnerromanisch“) angeschrieben. Engadin bedeutet im Romanischen Menschen, die am Inn wohnen. Weil En gleich Inn.

Der entspringt hier und durchfließt auf seinem jungen Weg die vier großen Seen des Engadin. Auch den Silvaplanersee, der die aufgeputzte Gemeinde Silvaplana vom urigen Ortsteil Surlej teilt, wo die typischen Steinhäuser noch ein bisschen älter wirken. Von Surlej führt die Seilbahn auf den Hausberg Corvatsch, sonst ist Silvaplana noch für Events von Sport bis Konzerten und Countryfest bekannt, Wintersport muss man im Engadin grundsätzlich nicht extra erwähnen.

Kitesurfen und Schlechtwetter

Das Surfen hingegen schon, das nächste Meer liegt immerhin über dreihundert Kilometer und fast zwei Höhenkilometer entfernt. Aber das Swiss-Kitesurf-Zentrum hier hat einen Ruf und Magnetwirkung auf die europäische Kitesurfer-Community. Obwohl der Drei-Quadratkilometer-See auch im Hochsommer keine fünfzehn Grad erreicht, aber eben von einem extrem stabilen und starken Wind gestreichelt wird. „Ein Kite will immer in der Softzone fliegen“, sagt Tomas zu seinen Novizen, er erklärt gerade Wind und Wetterregeln wie „bei Sturm und Regen runter vom Wasser, denn Blitz und Wasser, das ist Liebe“.

Kiten im Hochtal: Dieses Surfrevier liegt 1.800m über dem Meer

Der Silvaplanersee teilt die Gemeinde in mehrere Teile: Surlej (vorne) und Silvaplana selbst

Man sitzt auf Loungemöbeln, die Sonne bringt die Gruppe auf Beach-Temperatur, und nach den ersten Kenntnissen geht es auf die angrenzende Wiese. Neben der Theorie geht es beim Kitesurfen anfangs um das Beherrschen des Kites, eine Art Paragleiter mit Drachensteigfeeling. Weil der Schirm fix mit dem eigenen Körper verbunden ist, ist man dabei mit dem Malojawind recht bald per Du. Erst am zweiten Tag geht es in den Neoprenanzug und ins Wasser, über das man sich vom Kite ziehen lässt. Brett und Balance kommen erst am dritten Tag. Frühestens.

Von Sankt Moritz bis Abenteuer

Die beste Eigenschaft des Malojawindes ist seine Richtung. Er entsteht im Nachbartal Bergell, durch das warme Luft aus der italienischen Po-Ebene einströmt. Am Malojapass zischt er dann ins Engadin und zieht talabwärts, auch den Silvaplanersee als „Sideshore“-Wind entlang – der Lieblingswind jedes Kitesurfers. Die zusammengewürfelte Anfängergruppe lenkt unter Tomas’ Anleitung ihre Kites von der Power- in die Soft-Zone, von Position zwölf Uhr auf Position ein Uhr, zwei Uhr und wieder zurück. Drachensteigen mit Wumms.

Nicht alle kommen im Sommer wegen des Kitens ins Engadin. Gut, die meisten kommen ohnehin im Winter, aber der Sommer ist im Engadin bunter, als man es von einem Alpental erwarten würde. Hier mischt sich der üppige Schick der Talperle Sankt Moritz mit Heimatmuseumsflair. Noblesse trifft auf das Romanische, italienische Leidenschaftsküche auf Schweizer Kochkunst. Vor allem begegnen einander hier viel Kunstangebot und noch mehr Natur.

Kiten im Hochtal: Dieses Surfrevier liegt 1.800m über dem Meer

Im Engadin reihen sich einige Seen aneinander, vorne rechts ist die Perle "Sankt Moritz"

Den vielleicht besten Blick über dieses Vielfaltstal hat man vom Muottas Muragl auf 2.456 Meter Seehöhe. Nicht einmal hart gesottene Romanische können den Namen des Hausberges von Sankt Moritz wirklich übersetzen, aber hier wird einem viel klar: bei der geschäumten Weißweinsuppe etwa, dass das Engadin sich kulinarisch nicht nur über Kasnocken und Kaiserschmarrn definieren will. Und dass die Berge hier doch auch höher sind als daheim. Der Piz Bernina strahlt knallweiß über das Tal, er ist der östlichste Viertausender der Alpen, dahinter liegt Italien, auf der anderen Seite Österreich. Das Engadin hat neun Pass-Ausgänge, und nur drei davon führen in die Schweizer Heimat. Das merkt man den Engadinern an. Fünf Pässe führen nach Südtirol oder die Lombardei, nur einer nach Tirol, und über den fließt der Inn ab.

Kiten im Hochtal: Dieses Surfrevier liegt 1.800m über dem Meer

Erster Tag Kitesurfen: Theorie und Trockentraining mit dem Fluggerät

Nach zwei Tagen müssen Ronnie und der Wiener schon wieder weg. Die anderen drei bleiben dran. Jedem ist klar, dass es dauern wird, bis man wie Tomas im Maloja über den Silvaplanersee zieht. Aber sein Lächeln haben alle fünf schon gut drauf.

Info

Klimafreundliche Anreise Die Fahrt ins Engadin ist aufwendig (9–12 Std., 3–5 Umstiege), aber idyllisch, einen Teil fährt man ggf. mit der legendären Rhätischen Bahn. rhb.ch; oebb.at

Unterkünfte In Silvaplana (Surlej) z. B. das schlichte, aber schöne Hotel Chesa Surlej, Zimmer im Sommer ab ca. 230 € für 2 Pers. chesa-surlej.ch
– Das Hotel Castell in Zuoz ist voller Kunstobjekte, ebenfalls ab 230 €/Zi., hotelcastell.ch
 – Das legendäre Hotel Walther in Pontresina ist  ein 4-Sterne-Hotel mit 5-Sterne-Schick, Zimmer ab ca. 400 €, hotelwalther.ch

Kitesurfen Swiss Kitesurf in Silvaplana bietet Kurse inkl. Equipment um ca. 185 € für den ersten Tag und ca. 167 € für den zweiten Tag.  kitesailing.ch

Kontakt und Unterlagen Silvaplana-Tourismus: silvaplana.ch; Engadin/St. Moritz-Tourismus: engadin.ch

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