Der Sänger von „Reif für die Insel“ feiert 70. Geburtstag. Ein Bub aus schwierigen Verhältnissen, der John Lennon vergötterte. Und ein Individualist, der beinahe unter die Räder seiner Karriere geriet.
Unverwüstlich. Das Attribut, nach dem Peter Cornelius eines seiner Alben benannt hat, trifft auch auf den Sänger bestens zu. Viel hat der Wiener erlebt, im Laufe seines „Lebenstuns“, wie er es beschreibt – vom großen Erfolg bis zum Burn-out. Schon mit seinem ersten Hit „Die Wolk’n“ wurde klar, welch sensibler Singer-Songwriter hier auf den Plan tritt. Mit „Du entschuldige, i kenn di“, „Reif für die Insel“, „Der Kaffee ist fertig“, „Süchtig“, „Segel im Wind“ oder „Bevor i geh“ schuf er Lieder, die Klassiker geworden sind.
In Deutschland war er einer der erfolgreichsten Vertreter der heimischen Popmusik. Und an der Gitarre ist er ein Virtuose: für sein Saitenspiel auf einem Enigma-Album wurde Cornelius für den Grammy nominiert. Auf seinen 70. Geburtstag wird er zu Hause gemütlich anstoßen. Im Interview erzählt er zuvor über sein Leben.
freizeit: Ein runder Geburtstag, ein langer Weg liegt zurück. Werden Sie sich mit dem Gedanken, 70 zu sein, erst anfreunden müssen?
Peter Cornelius: Man muss sich damit abfinden. Das Gefühl, es gibt kein Zurück, ist stark. Immer wieder habe ich das Gefühl, es ist nicht von mir die Rede. Im Grunde ist 70 nur eine Zahl. Aber fraglos spielt man schon eine längere Zeit mit in dem zweifelhaften Stück, das hier gegeben wird.
Dabei fühlt man sich doch jünger.
Eigentlich schon. Als ich jung war, war einer, der 70 wurde, praktisch schon weg. Machte die Tür auf. Trug Hut und Mantel, und das war’s.
Wie war Ihre Jugend?
Einerseits schwierig, weil ich aus einem zerrütteten Elternhaus komme. Vor dieser Atmosphäre bin ich immer geflüchtet. Andere Schüler habe ich mit Schwermut um ihre scheinbar intakten, harmonischen Familien beneidet. Ich hatte damals nicht den Eindruck, dass es erstrebenswert ist, erwachsen zu werden. Mir kamen die Erwachsenen in ihrer zynischen, bitteren Art als kaputte Menschen vor. Ich hatte das Gefühl, ihnen ist entgangen, was mit ihnen passiert ist. Dass sie irgendwann andere Menschen waren, als jene, die sie nach vielen Jahren geworden sind.
Sind Sie auch irgendwann in diese Falle getappt? Oder konnten Sie das vermeiden?
Ich habe mir damals vorgenommen, ein guter Beobachter meiner selbst zu werden. Trotzdem bin auch ich schon abgerutscht, bin auch ich schon mit einem Fuß vor einer Art Abgrund gestanden. Weil man vergisst, die Zu- und Umstände im Auge zu behalten.
Sie haben das Showbusiness als große, gefräßige Maschine kennengelernt, die auch die eigenen Kinder verschlingt.
Ich war stets der Ansicht, dieses Metier verdient es nicht, ihm mein Leben zu opfern. Sich auf Gedeih und Verderb auszuliefern, um unbedingt Erfolg zu erzielen. Trotzdem fehlte mir eines Tages die Kraft. Ein Burn-out ist nix, worum man sich reißen sollte. Obwohl der Begriff so modisch klingt. Und man geradezu eines haben müsste, damit man dazu gehört. Nein, muss man nicht. Ich war erfüllt von Leere und einem Gefühl der Sinnlosigkeit.
Wie kam es so weit?
Ich war immer überzeugt, dass ich einer bin, der arbeitet, um zu leben. Und eines Tages erwischte ich mich dabei, jemand geworden zu sein, der lebt, um zu arbeiten. Auch angetrieben vom Umfeld. Die hätten mich gern umgebaut in eine Komponier-, Textier-, Interpretier-, Musizier- und Arrangier-Maschine. Die – solange man sie nur gut ölt – keinem Verschleiß ausgesetzt ist.
Wie sind Sie aus dem Burn-out wieder rausgekommen?
Indem ich Anfang der Neunziger alle Tätigkeiten stillgelegt habe. Geplant war für ein Jahr. Geworden sind es sieben. Ich wollte Abstand gewinnen von einem Jahrzehnt im ununterbrochenen Schnellschleudergang. Aber Abstand gibt es nur in einer Währung: Zeit. Bei mir hat sich herausgestellt, dass ich sehr viel Zeit brauche.
In Ihrem Hit „Reif für die Insel“ beschäftigen Sie sich schon früh mit dem Thema.
Ich bin damals vom Urlaub auf der griechischen Insel Naxos heimgekehrt. Das Postkastl meines Holzhäuschens war vollgestopft mit Briefen. Ich habe alles unbesehen in die Mülltonne geworfen, bin ins Studio und habe „Reif für die Insel“ geschrieben. Ich bin ein Freigeist. Zu Tode verwaltet werden, damit komme ich nicht klar. Fälschlicherweise wurde das Lied von vielen für einen Feriensong gehalten.
Tatsächlich aussteigen war nie eine Option?
Als hippiesker Aussteiger auf einer Insel? Dazu bin ich an zu vielem hier gehangen, das ich nicht mitnehmen konnte.
Sie gelten als Unangepasster. Woher kommt das?
Irgendwie muss es zu meinem Wesen dazugehören. Ich bin unbedingter Individualist, ohne je eine peinliche Zirkusnummer daraus gemacht zu haben. Ich habe mich nicht für alles einspannen lassen, auch wenn mir das Nachteile brachte. Immer wieder wurde mir gesagt, ich solle öfter in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten. Doch allein der Begriff „Gesellschaft“ war mir immer suspekt. Macht das Musik? Sind da Leute dabei, die gut Gitarre spielen? Oder malen können? Meine Sympathie gehört den Künstlern.
Wie war das mit „Du entschuldige, i kenn di“, einem weiteren Klassiker: Gab es das Mädchen tatsächlich – oder entsprang es Ihrer Fantasie?
Das Mädchen gab es. Aber ich habe nie verraten, wer sie ist und werde das auch nie tun. Das könnte für sie völlig unerwartete Probleme mit sich bringen. Der Text hat sich damals wie von selbst geschrieben, als hätte ich ihn diktiert, fast eingesagt gekriegt.
Viele Menschen fühlen sich von dem Text persönlich angesprochen.
Ich höre oft, das sei jemandes Lebensgeschichte, aber im Grunde habe ich das Lied absichtslos geschrieben. Bei „Der Kaffee ist fertig“ war es anders, da wollte ich lediglich wissen, ob ich imstande bin, eine Atmosphäre so festzuhalten mit Musik, dass jeder sie nachempfinden kann. Erst als ich eine bestimmte Akkordwendung auf der Gitarre gefunden habe, die das Lied stets unaufgelöst lässt, ist mir das gelungen. Das Lied, das bleibt und mich überlebt, wird allerdings „Reif für die Insel“ sein. Oft glauben die Leute, diese Redewendung hat es immer schon gegeben. Nein, die ist von mir. (lacht)
Ihre Texte sind Allgemeingut geworden, hätten Sie das einmal gedacht?
Ich konnte einst nicht ahnen, was ich im Leben einmal erreichen werde. Im Grunde war ich ein Fatalist: Ich mache Musik – und entweder setze ich mich durch oder ich gehe unter. Bei mindestens 90 Prozent meiner Lieder bin ich als Singer-Songwriter für Text wie Musik verantwortlich. Das war für mich immer das Wichtigste.
Warum?
Manche Künstler setzt man mit ihren Songs gleich, obwohl sie sie gar nicht geschrieben haben. Ich wollte immer ganz ich selbst sein, egal wie gut oder schlecht. Wie Bob Dylan, John Lennon oder Ray Davies von den Kinks.
Sind diese Vorbilder damals an die Stelle der Familie gerückt?
Mein Vater war ein einsamer Wolf. Und vom Krieg schwer geschädigt. Ich habe ihn oft gebeten, mir darüber zu berichten. Er wollte das nicht. Er wurde sehr jung als Flakhelfer eingezogen, zu den Leunawerken, die ein wichtiges Ziel der Alliierten waren. Dort stellten sie den synthetischen Treibstoff für die Luftwaffe her. Dreimal ging er aus schwerem Bombardement als einziger Überlebender hervor. Später verurteilten ihn die Nazis zum Tode, weil er nicht mehr für sie kämpfen wollte. Es gelang ihm, aus einer Baracke zu entkommen. Verarbeitet hat er all das alles nur schwer. Was auch der Ehe meiner Eltern nicht guttat.
Worunter Sie als Kind sehr gelitten haben.
Auch später. Trotz meines Erfolges konnte ich ihr Zerwürfnis nicht heilen. Es war nichts zu machen. Das war für mich schwer wegzustecken. Irgendwann habe ich es dann zur Kenntnis genommen.
Beim Sie-selbst-Sein hat Ihnen auch Ihre Großmutter geholfen.
Bis ich zehn Jahre alt war, bin ich bei ihr aufgewachsen. Aufgrund des Zerwürfnisses meiner Eltern war sie meine Bezugsperson. Ein Riesenglück. Sie war eine kluge Frau, hat mir Halt gegeben und Disziplin vermittelt. Abgesehen vom Elternhaus hatte ich eine wunderbare Kindheit, war viel in Wald und Wiesen unterwegs. Geholfen haben auch Skifahren und Eishockey.
Und die Musik der Sixties, die Vibes, die aus England kamen.
Man muss sich vorstellen, was Musik damals für eine Bedeutung hatte. Nachdem ich das Gitarrenriff von „I Feel Fine“ von den Beatles zum ersten Mal hörte, konnte ich eine Nacht lang nicht schlafen. Sie waren Genies, genauso wie die Rolling Stones. „I’m Not Like Everybody Else“ von den Kinks ist ein Satz fürs Leben für mich geworden. Genau wie „Time Is On My Side“ der Stones.
Hilft er, sich mit dem 70er auszusöhnen?
Ich habe eine erschütternde Beobachtung gemacht: Es ist noch kein einziger, und ich irre mich da nicht, im Laufe der Zeit jünger geworden! (lacht) Es dürfte sich um ein Prinzip handeln. Ich nehme das so zur Kenntnis. So wie’s am Abend finster wird.
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