Dirigentin: "Hier geht es schlimmer zu als in der Rockszene"
Es gibt sie sehr wohl und das schon lange: Dirigentinnen. In den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts etwa gab die Gustav-Mahler-Schülerin Lise Maria Mayer den Berliner Philharmonikern den Takt vor. Aber ihre Nachfolgerinnen sind spärlich gesät.
Mit Nazanin Aghakhani hat sich jetzt eine Frau und Wienerin das Ziel gesetzt, dies zu ändern. Und gleich die ganze Klassikbranche dazu. Denn deren Strukturen seien „wahnsinnig männerlastig“, klagt sie. Und konstatiert nüchtern: „Die Klassikszene war lange und über viele Jahrzehnte eine Branche, in der nur durch gewisse Beziehungen bestimmte Leute auf die Bühne durften.“
Freizeit: Frau Aghakhani, Sie sind ein echtes Multitalent. Sie singen, spielen Klavier, komponieren und dirigieren. Jetzt haben Sie ein Album aufgenommen, Sie nennen es Hybridalbum. Warum das?
Nazanin Aghakhani: Weil es nicht einzuordnen ist. Es ist weder ein Klassik- noch ein Chansonalbum, auch kein Pop- oder Jazzalbum. Sie hören darauf auch einen Blues und ein Ensemble-Sextett. Es ist eine Zusammenfassung meiner letzten elf Jahre und dem, was mir in der Pandemie neben dem Orchester Iunctus, das ich im Vorjahr gegründet habe, möglich war, zusammenzustellen.
Sie sind als Tochter iranischer Eltern in Wien geboren, erhielten ab dem achten Lebensjahr Klavierunterricht und sind die erste Frau, die im Iran ein Symphonieorchester dirigierte. Welche Grenzen wollen Sie demnächst überwinden?
Das war das Teheran Symphony Orchestra und ist schon elf Jahre her. Danach durfte ich meinen Horizont als Dirigentin der letzten Stunde (Einspringerin) europaweit immens erweitern.
Ich habe gehört, Ihr großer Traum ist es, das Neujahrskonzert zu dirigieren.
Ja, genau. Von Kindesbeinen an habe ich dieses Konzert wie eine Karotte vor der Nase. Wenn man in Wien groß wird, wächst man mit klassischer Musik auf. Das ist etwas Wunderschönes, das wird einem hier in die Wiege gelegt, meine Eltern waren auch sehr klassikaffin. Das Neujahrskonzert war zu Hause immer ein Muss. Das Lustige ist, dass ich von den Wiener Philharmonikern die Hälfte persönlich kenne.
Das ist ja meine Generation. Wir besuchten teilweise dieselbe Schule und haben die Jugend gemeinsam verbracht. Alleine der Gedanke, mit meinen Haberern das Neujahrskonzert zu bestreiten, nachdem man vielleicht eine lustige, durchzechte Nacht verbracht hat, stelle ich mir grandios vor.
Das würde auch nahtlos zu Ihrer Karriere als Grenzüberschreiterin passen.
Es würde mich freuen, die erste Wienerin der Geschichte zu sein, die das Neujahrskonzert dirigiert. Ich liebe den Musikverein. Ich liebe den Großen Saal. Für mich gibt es kaum einen schöneren.
Kann das Orchester dabei ein Wörtchen mitreden und Sie vorschlagen?
Selbstverständlich. Die Vorstände kennen mich.
Musiker konnten auch im Lockdown aktiv sein, indem sie für sich alleine auf ihrem Klavier oder auf einem Cello spielten. Als Dirigentin aber haben Sie hundert Menschen als Instrument. Und die seit Monaten nicht bei der Hand. Wird der Weg zurück gelingen?
Momentan empfinde ich es als zweischneidig. Es ist ein Gefühl der Freude, des Aufbruchs, aber zugleich ein Gefühl der Angst, weil ich mich etwas an mein Schneckenhaus gewöhnt habe. Daraus hervorzukriechen und auf Menschenmassen zu stoßen, ist etwas, das mich doch etwas beengt.
Weil Sie jetzt vieles wieder neu lernen müssen?
Ich denke, dass sich bei mir eine Art Soziophobie eingeschlichen hat. Ich sah kürzlich einen Film und erschrak bei einer Szene, in der sieben Menschen im Aufzug fuhren, weil ich das nicht mehr gewohnt bin. Umso gespannter bin ich, wieder auf ein Orchester zu treffen.
Musik ist eine Sprache, heißt es, aber warum ist diese so männlich besetzt in der Klassik?
Warum in Mitteleuropa sehr spät Frauen ins Orchester kamen, hat gesellschaftspolitische Ursachen. Daher rührt auch die lange geltende Meinung, dass ein Mann besser Klavier spiele als eine Frau ...
Das Cello war etwa ein Instrument, das für Damen lange als unsittlich galt. Um 1860 wurde der Stachel eingeführt, um das Instrument abzustützen. Aber auch lange danach durften Frauen Cello nur im Amazonensitz mit beiden Beinen auf einer Seite spielen.
Tatsächlich wollte ich es als Kind aus diesem Grund nicht lernen. Ich wurde von vielen dazu animiert, Cello zu lernen. Ich aber meinte: Nein, das kann ich mir als Dame nicht vorstellen. Da war ich sieben oder acht Jahre alt (lacht). Aber wenn wir dieses Thema ansprechen, dürften Männer auch nicht mehr Cello spielen – wegen des Manspreading (lacht noch mehr).
Die Kultur bemüht gerne das Image, dass sich die in ihr agierenden Menschen sehr kultiviert verhalten. In dem Roman „Die Dirigentin“ von Maria Peters, der vor Kurzem auch erfolgreich verfilmt wurde, und in dem es um den steinigen Weg einer Musikerin mit Ambitionen geht, heißt es: „Die Musikwelt ist sehr hinterhältig.“ Was ist Ihr Eindruck?
Nicht nur das. Ich sage immer, in der klassischen Musik geht’s schlimmer zu als in der Rockszene. Ich bin ein lebender Beweis dafür, dass nach wie vor sehr viele junge Menschen in dem System der großen Häuser verbrannt werden. Ich kann das bestätigen und bin trotzdem ein unverbesserlicher Optimist.
Geht’s in der Klassik wirklich schlimmer zu als bei Pop und Rock?
Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Ich mache mir jetzt mit dieser Aussage keine Freunde, aber es muss einmal besprochen werden. Die Klassikszene war lange und über viele Jahrzehnte eine Branche, in der nur durch gewisse Beziehungen bestimmte Leute auf die Bühne durften. Oder weil sie klein beigegeben haben und mit einer Person im Bett gelandet sind oder landen mussten, um die Karriere nicht zu opfern.
Bei mir war es nicht unähnlich. Ich habe bewusst „Nein“ gesagt, und es gibt für seinen Übergriff an jenem Tag auch Zeugen. Aber mir wurde von Anwälten und Agenturen gesagt, du hast keine Chance. Ich habe beschlossen, den Namen nicht zu nennen. Es war schwierig, Frieden zu schließen, nachdem ich auch erkannt habe, dass es tatsächlich schwarze Listen von SängerInnen gibt, die „Nein“ gesagt haben. Und die dann gewisse Bühnen nicht betreten dürfen. (Anmerkung der Redaktion: Der FREIZEIT sind Details des Vorfalls bekannt; aus medienrechtlichen Gründen werden sie nicht abgedruckt)
Im Film oder in der Literatur kommen Dirigenten nie gut weg. Von Fellinis „Orchesterprobe“ über Donna Leons Krimi „Venezianisches Finale“ bis zu dem Roman „Die Dirigentin“ wird das Verhalten der „Taktstocktyrannen“ ins Visier genommen. Können Sie diesem Image gegensteuern?
Mein erster Professor, den ich mit zwölf im Privatunterricht für Partitur, Harmonielehre und Komposition hatte – Thomas Christian David – sagte zu mir, und das ist 30 Jahre her, also, wenn du geliebt werden willst, musst du dir einen anderen Beruf suchen. Ja, da muss man durch, wenn man dieser Berufung, diesem Ruf, folgt. Glauben Sie mir, ich hätte oft gerne mit Volksschullehrerinnen tauschen wollen, weil ich merke, dass diese viel Anerkennung bekommen, die ich nach einer Probe nie kriegen würde. Der Lohn ist, den Saal mit diesen magischen Klängen zu erfüllen, und der macht all den Groll der Probenarbeit wett.
Sie dirigieren ohne Taktstock. Wie schaffen Sie es, sich durchzusetzen?
Die Arbeit von Dirigenten hat mit Magie zu tun, mit Telepathie, aber auch mit Tai Chi. Ich bewege Energie. Darüber reden die wenigsten. Ich rede offen darüber. Ich unterrichte auch so. Und um auf die Taktstockfrage zurückzukommen: Ich bin zu meinen StudentInnen da sehr streng. Erst wenn die Technik sitzt, möge man sich nach Belieben vom Taktstock lösen.
Frau Aghakhani, danke für das Gespräch und viel Glück bei der Erfüllung Ihres Traums.
Die 1980 geborene Wienerin mit persisch-russischen Wurzeln studierte in Wien, Stockholm und Helsinki Dirigieren für Oper und Symphonie sowie elektroakustische Komposition. Das aktuelle Album der glücklichen Mutter zweier Kinder, „Nana live @ Hotel Bristol Vienna“, ist u.a. via Spotify zu hören. https://www.nazaninaghakhani.com
„Die Arbeit von Dirigenten hat mit Magie zu tun, mit Telepathie, aber auch mit Tai Chi. Ich bewege Energie. Darüber reden die wenigsten. Ich rede offen darüber."
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