Sie hat zuletzt in den Büchern „Vati“ und „Die Bagage“ berührend autofiktional ihre Familiengeschichte erzählt. Beide wurden zu Bestsellern. Er veröffentlicht am 23. August sein fast 1.000 Seiten umfassendes Mammut-Werk „Matou“. Der Erzähler darin ist der Kater Matou, der Homer der Katzen, mit einem Sieben-Leben-Leben. Am 13. August erscheint außerdem „Gedankenspiele über das Gelingen“. Sie wohnen in Hohenems in Vorarlberg. Dort hat die Freizeit Monika Helfer und Michael Köhlmeier erreicht.
Freizeit: Herr Köhlmeier, warum haben Sie sich für einen Kater als Erzähler in Ihrem neuen Roman „Matou“ entschieden? Michael Köhlmeier: Ich habe ein Bild aus der Zeit der Französischen Revolution gesehen. Mir fiel auf, dass viele Hunde und Katzen unter der Guillotine waren. Die haben das Blut geleckt. Da dachte ich: Schreib über die! Es ist ja nicht das erste Buch, das in der Ich-Form eines Katers geschrieben wird. Das berühmteste Beispiel ist der Kater Murr von E.T.A. Hoffmann, der Hoffmann kommt übrigens in meinem Buch vor. Es ist überraschend, die Welt aus der Sicht eines Tieres zu sehen, das bietet viele Freiheiten beim Schreiben.
Katzen verschlafen viel, sind egoistisch. Hoffmanns Murr bringt viel durcheinander. Die Tiere könnten auch nicht zum Erzählen geeignet sein. Michael Köhlmeier: Mein Kater ist ein bildungshungriges Tier, das sein will wie ein Mensch, aber kein Mensch sein will. Im Gegensatz zu Franz Kafkas Affen, der ein Mensch sein möchte. Der tritt auch auf.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag als Autorenpaar aus? Schreiben Sie nebeneinander?
Helfer: Nein, auf keinen Fall. Köhlmeier: Um Gottes willen. Helfer: Jeder hat seinen Schreibplatz, jeder macht sein Zeug. Ich schreibe im oberen Stock, Michael im Parterre. Wenn ich eine Frage habe, schreibe ich ihm eine E-Mail. Er schickt es mir zurück.
Gibt es da auch Kritik? Wie nehmen Sie Kritik des jeweils anderen auf? Helfer: Schwierig, da ist man manchmal beleidigt. Köhlmeier: Es gibt ja auch gute Kritik. Dann liebt man sich. Helfer: Ja und selbst bei einer schlechten denkt man doch drüber nach und ändert vielleicht etwas. Es ist gut, kritisiert zu werden. Köhlmeier: Inzwischen ist viel Vertrauen zwischen uns. Wir wissen, wenn der andere etwas bemängelt, meint er das im besten Sinne. Wir lesen uns unsere Sachen immer als Erste vor. Ich nehme keine Kritik so ernst wie die von Monika. Helfer: Das ist umgekehrt auch so.
Herr Köhlmeier, haben Sie an „Bagage“ oder „Vati“, die große Erfolge sind, etwas kritisiert? Köhlmeier: Es geht immer von zwei Seiten zu zwei Seiten. Dann wird im Detail darüber geredet. Ich finde es großartig, wie „Vati“ und „Die Bagage“ jetzt dastehen. Ich habe zuletzt wieder den Anfang von „Die Bagage“ gehört. Es ist ein so idealer Romanbeginn, wie ich kaum einen kenne. Helfer: Danke!
Was ist für Sie ein idealer Romananfang? Helfer: Dass man hineingezogen wird. Nicht, dass man nach der ersten Seite zur letzten blättert und liest, wie es endet. Sondern dass man dranbleibt und denkt, da wird etwas aufgemacht.
Köhlmeier: Es geht auch um den Sound, der angeschlagen wird, um die Atmosphäre. Bei „Die Bagage“ ist es von Anfang eine zwingende. Die Erzählerin sagt: „Hier, nimm die Stifte, male ein kleines Haus“. Die Erzählerin gibt dem Leser oder der Leserin die Anleitung, wie sie oder er den Roman selber bauen soll.
Frau Helfer, wie war das für Sie, die eigene Familiengeschichte zu beschreiben? Helfer: Ich habe immer wieder kleinere Geschichten über meine Familie geschrieben. Michael hat gesagt: „Du musst über deine Familie schreiben. Einen Roman. Das ist wie bei Gabriel Garcia Márquez’ ‚Hundert Jahre Einsamkeit‘“. So eine bemerkenswerte Familiengeschichte. Ich habe immer wieder überlegt. Dann habe ich gedacht, ich warte lieber, bis niemand mehr von den wichtigen Menschen lebt, damit mich niemand verflucht. Als alle gestorben waren, habe ich angefangen.
Wie viel Prozent Ihrer Gespräche drehen sich bei Ihnen zu Hause um Literatur?
Helfer: Ich würde sagen 60 Prozent über Literatur, 30 Prozent über Politik, zehn Prozent privat. Köhlmeier: Wenn wir über Politik reden, dann hängt es meist ja auch mit der Familie zusammen. Weil wir auch mit unseren Kindern darüber reden. Die Familie ist in Literatur und Politik immer mit eingebunden. Monika und ich betreiben gewissenhaft Brutpflege. Immer noch. Und die Kinder Altenpflege.
Stichwort Politik. Herr Köhlmeier, Sie haben zuletzt in Reden die aktuelle Politik – besonders Bundeskanzler Kurz –angegriffen. Können Künstler politisch etwas bewirken, wenn sie sich öffentlich erklären? Köhlmeier: Wenn ich mich politisch äußere, dann nicht als Künstler, sondern als Bürger. Ein Schriftsteller hat ja nicht unbedingt einen schärferen Blick als ein anderer Bürger. Beim Schreiben denke ich nicht politisch. Da denke ich an die Figuren. Ein Schriftsteller ist privilegiert, weil er ein Podium bekommt. Wenn ich einen Artikel schreiben will, kann ich bei einem Medium nachfragen. Die werden vermutlich etwas von mir abdrucken. Aber man sollte das nicht über Gebühr beanspruchen. Nur wenn es wirklich unter den Nägeln brennt.
Frau Helfer, ist das auch etwas, was Sie wollen? Helfer: Wenn ich über Politik rede, dann ist es meist so, dass ich mich selber beruhigen muss. Dann rede ich mit Michael darüber. Dann lassen wir uns aus. Wir ärgern uns über den Kanzler, ärgern uns grün und blau. Dann gehen wir wieder an unsere Arbeit. Michael macht das öffentlich, ich habe mich da schon abreagiert.
Was ärgert Sie zur Zeit besonders? Helfer: Mich ärgert es, wenn man so in die Welt hineinredet und nichts dahinter ist. Ich erwarte mir mehr von einem Politiker. Ich erwarte mir, dass etwas Fundiertes kommt, nicht immer eine Ansage und in zwei Tagen vielleicht wieder eine Absage. Und alles nur an der Oberfläche. Nur auf unmittelbare Wirkung aus.
Gibt es etwas, wo Sie sagen würden, das kann Ihr Mann, das kann Ihre Frau besser beim Schreiben? Helfer: Wenn es um Dramaturgie geht, hat Michael das Heft in der Hand. Er weiß, wie es geht. Ich krampf da immer herum und denke mir, wo ist der Höhepunkt, wo geht es abwärts? Köhlmeier: Die Monika hat eine große Gabe, in Form von einer ganze kleinen Szene Atmosphäre einzufangen. Also ein Bild im Kopf des Leser entstehen zu lassen – mit sehr wenig Aufwand. Fast alle Kritiker von „Die Bagage“ und „Vati“ meinen, man hat das Gefühl, 500 Seiten gelesen zu haben, in Wirklichkeit sind es 160. Das Bild, das entsteht, ist nicht so, dass es Monika ausführlich hingeschrieben hätte. Sie gibt vielmehr den Anstoß, um es im Kopf des Lesers entstehen zu lassen.
Sie wirken harmonisch. Gibt es etwas, worüber Sie uneins sind? Köhlmeier: Nein (lacht), überhaupt nicht. Inzwischen nicht mehr. Helfer: Man marschiert nicht immer durch den Sonnenschein. Aber wir verstehen uns sehr gut. Wir sind 40 Jahre verheiratet, da kennt man sich ziemlich gut. Man hat aber trotzdem noch kleine Kammern, wo man nicht hineinschaut, nicht hineinschauen will. Oder wo man sich auch nicht hineinschauen lässt. Das hat Michael auf jeden Fall.
Frau Helfer, kommt nach „Vati“ noch ein Buch über Ihre Familiengeschichte? Helfer: Ich habe mir gedacht, dass ich drei Bücher schreibe, basta. Das dritte Buch kommt im Frühling heraus. Es ist die Geschichte über meinen Bruder. Und es wird „Löwenherz“ heißen. Und die ganze Bagage kommt darin wieder vor.
Dürfen Sie schon verraten: Was macht die Geschichte Ihres Bruder so erzählenswert?
Helfer: Er war ein erzählenswerter Mensch. Er war kauzig. Es wird auch ein sehr komisches Buch werden, hoffe ich.
Gibt es literarisch etwas, das Sie noch nicht gemacht haben und noch gerne machen würden? Köhlmeier: Klar, es gäbe jede Menge. Wenn, dann würde ich einmal Regie führen wollen beim Theater. Oder ich würde auch gerne einen Film machen, nicht nur Drehbuch schreiben, Regie führen. Aber ansonsten möchte ich die Freiheit haben, dass ich mich vor niemandem rechtfertigen muss, warum ich so schreibe, oder so schreibe. Das Schöne beim Schreiben ist, dass man plötzlich von einer Szene oder einer Person angestochen wird. Und dann ist es so, als würde man das erste Buch schreiben. Das ist das Allerschönste. Immer ein Anfang.
Wann war das zuletzt so? Köhlmeier: Ich wollte die alte Gedichtform des Sonetts wieder aufgreifen. Nachdem ich mit meiner lieben Frau schon so lange beisammen bin, habe ich mir gedacht, ich schreibe einen Gedichtband für Monika mit 23 Sonetten. Das war so, als hätte ich mich zum ersten Mal im Leben hingesetzt, um Poesie zu schreiben.
Ein Sonett ist wahnsinnig schwierig zu schreiben. Oder? Köhlmeier: Das ist es nicht einmal. Das kann man ja lernen. Viel schwerer ist, ein Sonett so zu schreiben, dass man denkt, es ist nicht schwierig, dass es so dahingleitet. Helfer: Das ist sehr elegant geworden. Da habe ich mich sehr gefreut.
Frau Helfer, gibt es etwas, das Sie noch gerne schreiben wollen? Helfer: Man schreibt ja immer, so gut man eben kann. Wenn man an etwas dran ist, tut man sein Bestes. Man wird ja im Alter immer klüger, hoffe ich zumindest. Wenn man im Alter Bücher schreibt, sollen die klüger sein als jene, die man mit 20 Jahren geschrieben hat. Man hat mehr Erfahrung, man weiß mehr über die Menschen. Und ich schreibe immer über Menschen, weil mich das am meisten interessiert.
Michael Köhlmeier liest am 19. August um 20 Uhr beim Literaturfestival O-Töne im Wiener Museumsquartier aus „Matou“. Am 16. September gastiert er im Burgtheater.
Monika Helfer wurde 1947 geboren. Sie wuchs in einem Kriegsversehrtenheim bei Bludenz auf, wo ihr Vater als Verwalter arbeitete. Sie hat 1999 am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb teilgenommen und Romane, Erzählungen und Kinderbücher veröffentlicht. Zuletzt „Vati“.
Michael Köhlmeier, Jahrgang 1949, hat Politik, Germanistik, Mathematik und Philosophie studiert. Er hat zahlreiche Prosawerke, Hörbücher und Hörspiele geschrieben. Bekannt ist er auch fürs Nacherzählen von Märchen und Mythen – in Buchform, auf der Bühne und im Fernsehen.
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