Das Luxusmodehaus Hermès betritt überraschendes Neuland: Wie kürzlich bekannt gegeben wurde, will das traditionsreiche Unternehmen seine anspruchsvollen Kundinnen schon bald mit Pilzen beglücken. Sie sollen freilich nicht verzehrt werden, sondern am Handgelenk baumeln. Die französische Maison hat sich mit der kalifornischen Firma MycoWorks zusammengetan, um eine Tasche aus Fine Mycelium, basierend auf den fadenförmigen Zellen von Pilzen, in die eigenen Stores zu bringen.
Hermès ist bei Weitem nicht die erste Modefirma, die sich an veganen Varianten ausprobiert. Sowohl Ananasblätter, Apfelreste als auch Weintrauben werden bereits zu Taschen und Schuhen verarbeitet, auch Pilze sind im Lederalternativen-Portfolio zahlreicher Labels, etwa bei Stella McCartney, zu finden. Als eigentlich auf feinstes tierisches Leder spezialisiertes, global agierendes Luxusunternehmen setzt Hermès jedoch ein Statement für die gesamte Branche.
Das will man auch bei Karl Lagerfeld tun. Die vom verstorbenen Designer unter eigenem Namen gegründete Modemarke bringt Anfang April ebenfalls Taschen auf Basis von Botanik heraus. Beim Material Desserto macht man sich den widerstandsfähigen Feigenkaktus zunutze. Ohne diesen extra bewässern zu müssen, werden alle sechs Monate lediglich die Blätter abgetrennt, anschließend getrocknet und zu einem lederähnlichen Material verarbeitet.
Langlebiger geht nicht
Der Markt für Lederalternativen wächst seit Jahren stetig. Auch weil die Kundschaft zunehmend danach fragt. Veganes Essen boomt, der Wunsch nach tierfreier Mode ist da nicht mehr weit.
Ist das Ende von herkömmlichem Leder somit vorprogrammiert? Für Sebastian Leitinger eine schwierig zu beantwortende Frage. Der Gründer des auf zeitlose Leder-Taschen und -Schuhe spezialisierten Wiener Labels Glein beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Mode.
„Wir stellen uns ständig die Frage nach den nachhaltigsten Materialien für unsere Produkte und ziehen dabei immer wieder Lederalternativen in Betracht. Bisher konnte aber keine vegane Alternative unsere Ansprüche besser erfüllen als ganzstufig in der EU gegerbtes Rindsleder.“ Das tierische Produkt sei in Sachen Haltbarkeit und Tragekomfort nach wie vor unangefochten die Nummer eins. Lederalternativen, auch wenn sie nicht aus Kunststoff, sondern auf Basis von Pilzen oder Ananas entstehen, pauschal als die nachhaltigere Alternative zu bezeichnen, findet Leitinger kurzsichtig. „Natürlich fällt der ethische Aspekt mit den Tieren komplett weg. Jedoch ist es nach wie vor so, dass das Rindsleder ein Nebenprodukt der Milchproduktion und Fleischherstellung ist. Tierhaltung nur für die Lederproduktion wäre überhaupt nicht rentabel, das Fleisch ist ein Vielfaches wert.“
Ominöse Beschichtung
Hinzu komme ein weiterer Aspekt: „Viele Firmen machen ein Geheimnis aus der Beschichtung ihrer Lederalternativen. Erst sie macht das Material widerstandsfähig.“ Die Beschichtung enthalte oft erst recht Kunststoffe.
Doch wie steht es ums Leder, das schließlich auch gegerbt werden muss?„Die Gerbung ist ganz klar der umweltschädlichste Schritt der Lederproduktion“, erklärt der Glein-Gründer. „Sie kann relativ schnell und einfach gemacht werden, oft ohne Rücksicht auf die Umwelt.“ Deshalb sei es wichtig, auf in der EU gegerbtes Leder zu achten. „Hier wird das Abwasser umweltgerecht aufbereitet und Chrom-VI ist schon lange kein Thema mehr.“
Nicht rumliegen lassen
Immer wieder gibt es Berichte über Lederprodukte, die Konzentrationen an Chromverbindungen aufweisen. Hierbei spricht man von Chrom-VI-basierten Stoffen, die während der Gerbung mit Chrom-III entstehen können und als allergen und krebserregend gelten. Dreiwertiges Chrom hingegen ist ein Spurenelement und gilt als gesundheitlich unbedenklich.
Leitinger: „Ich gehe davon aus, dass jene Firmen, die mit chromfrei gegerbtem Leder werben, einfach Chrom-VI ausschließen können oder eben nur pflanzlich bzw. synthetisch gerben.“ Pflanzliche Gerbung klingt gut, hat jedoch einen Nachteil: „Das Leder verhält sich hierbei anders, man braucht also viel länger – und somit deutlich mehr Ressourcen.“
Sebastian Leitinger hält trotz seiner Entscheidung für herkömmliches Leder weiterhin Ausschau nach Alternativen: „Es kommt mit Sicherheit irgendwann ein Material auf den Markt, das alle Ansprüche in puncto Nachhaltigkeit und Langlebigkeit erfüllen kann.
Generell gelte: „Das nachhaltigste Material ergibt nicht automatisch das nachhaltigste Produkt. Am wenigsten nachhaltig ist immer noch das, was nicht getragen wird – sondern nur im Schrank rumliegt.“
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