Es braucht nur wenige Sekunden, um einen gefälschten Geldschein zu entlarven: Kurz unters UV-Licht halten – und die Sache ist geklärt. Ob ein Kleidungsstück wirklich das ist, wofür es ausgegeben wird, ist hingegen deutlich komplizierter.
Mit letzterer Problematik beschäftigt sich Wissenschafter Paul Stenning. Vor einigen Jahren wurde der Experte für Fälschungssicherheit von der International Cotton Association, einem Handelsverband für Baumwolle, kontaktiert. „Man fragte mich, ob ich die Technologie von Geldscheinen auch auf Materialien übertragen könne“, sagt Stenning im KURIER-Interview. Das Ziel: Ein Authentifizierungssystem für die Bekleidungsbranche zu entwickeln, um Materialien bis zu ihrer Quelle zurückverfolgen zu können. So entstand die Firma Fibretrace.
Stenning schaffte es, bioluminiszierende Pigmente so mit den Fasern zu vermischen, dass diese während des gesamten Produktionsprozesses nicht mehr entfernbar sind und dabei die Qualität eines Kleidungsstücks in keiner Weise beeinflussen. Diese Pigmente können vorab stets nach einer Art individuellem Rezept zusammengemischt werden. Die so entstehenden Cellulose-Fasern können von Modefirmen für unterschiedlichste Materialien eingesetzt werden.
Blindes Vertrauen
Mit Fibretrace soll eines der größten Probleme der Branche gelöst werden: „Derzeit bestellen die meisten Marken ihr Material und müssen sich dann blind darauf verlassen, dass sie exakt dieses auch bekommen“, sagt Shannon Mercer, Geschäftsführer von Fibretrace. Tatsächlich habe man aber keine Ahnung, was im Zuge der Zwischenschritte wirklich mit der beispielsweise als Bio verkauften Baumwolle passiere. „Wenn von 500 Baumwollfeldern alles zu einer Anlage gebracht wird, wer kann am Ende noch sagen, ob das Kleidungsstück wirklich aus dem bestellten Material produziert wurde?“
Bislang konnten Kontrollen nur im Nachhinein im Labor stattfinden. Shannon Mercer und sein Team haben das Problem gleich an der Wurzel gepackt. Mittels Scannern, die einfach ans Material gehalten werden, wird so vom Baumwollfeld bis zur Lieferung in die Boutique jeder einzelne Schritt festgehalten. Die Informationen laufen in Echtzeit auf eine durch Blockchain gesicherte Plattform – und sind somit vor Datenfälschung geschützt.
Weltkarte für Kunden
Ein Konzept, das nicht nur um Nachhaltigkeit bemühten Modemarken nützt. Mercer: „Firmen können auf diese Weise auch den Konsumenten mehr Transparenz bieten. Sonst können Letztere ja nur blind darauf vertrauen, dass z. B. ein T-Shirt ausschließlich aus recycelten Plastikflaschen hergestellt wurde.“
Ein mittels Handy lesbarer QR-Code auf dem Waschzettel leitet den Kunden auf eine Website weiter, wo er sich die gesamte Entstehungsgeschichte seines Kleidungsstücks auf einer Weltkarte ansehen kann. Die US-Modemarke Reformation verkauft bereits Jeans, die mit der Fibretrace-Technik entstanden sind.
Dass das Thema Rückverfolgbarkeit in der Mode immer wichtiger wird, stellt auch Daniel Swarovski fest, Gründer des heimischen Modelabels Ready for Nature mit Fokus auf Nachhaltigkeit. „Die Entstehungsgeschichte eines Produkts interessiert die Menschen immer mehr“, weiß der Tiroler. „Wenn ihnen die Rückverfolgung eines Produkts ermöglicht wird, entsteht Vertrauen.“ Hierfür mit bioluminiszierenden Partikeln zu arbeiten, sei eine tolle Möglichkeit für mehr Transparenz.
Fibretrace-Geschäftsführer Shannon Mercer ist sich sicher, dass die Transparenz in der Modewelt bald einen ebenso hohen Stellenwert einnehmen wird, wie in der Lebensmittelindustrie: „Die Pandemie hat diesbezüglich das Interesse der Kundschaft verstärkt. Die Menschen wollen wissen, was für einen Einfluss das von ihnen gekaufte Produkt auf die Umwelt hat.“
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