Wie ein Friseurbesuch
Das Privileg der Schönen ist auch den Jungen bewusst: Auf Tiktok, dem bevorzugten Medium der Generation Z, wird derzeit viel über den Begriff „Pretty Privilege“ diskutiert. Bedeutet: Wer nach den gängigen Vorstellungen als hübsch gilt, hat bessere Startbedingungen – im Job, in der Liebe, auf Social Media.
Der steigende Druck führte dazu, dass die Nachfrage nach nicht-invasiven Behandlungen wie Evangelistas Kälte-Treatment sowie minimal-invasiven Eingriffen mit Botox und Hyaluronsäure explodiert ist – und diese auf Instagram immer offener thematisiert werden. Mit dem Effekt, dass jeder Eingriff ohne Skalpell zunehmend auf die leichte Schulter genommen wird, wie Expertinnen berichten.
„Vor allem sehr junge Frauen haben eine verherrlichende Vorstellung von der Art und Weise, wie sie aussehen möchten. Und sehen es als unkomplizierte Angelegenheit an, dieses Ziel zu erreichen“, sagt Anna-Maria Kiprov von der Privatklinik Kiprov. An die Verschönerung des eigenen Körpers beim Beauty-Doc werde zunehmend „mit einer rosaroten Brille“ herangegangen. Sie habe immer öfter Patientinnen (und so manchen Patienten), die auf die Aufzählung diverser Risiken bei Beauty-Behandlungen unzufrieden reagieren. „Aber über diese muss eben auch gesprochen werden.“
Wie groß der Schönheitsdruck vor allem auf Frauen lastet, beobachtet auch die Ästhetische Chirurgin Jennifer Kager in ihrer Ordination. „Die sozialen Medien haben dieses Idealbild kreiert, dem man zu entsprechen hat“, weiß die Ärztin. „Alle wollen jünger aussehen, es soll nur nicht künstlich wirken. Dementsprechend groß ist der Trend zu minimal-invasiven Eingriffen.“
„Instagram Face“ heißt das Schönheitsideal, das Influencerinnen und Social-Media-Stars wie Kylie Jenner über die Foto-App verbreiten. (Über-)volle Lippen, buschige Augenbrauen, eine definierte Kinnkontur. Durch spezielle Beauty-Filter kann sich jede Nutzerin ihr optimiertes Selbst zaubern – und mit der Foto-Vorlage den Chirurgen ihres Vertrauens aufsuchen.
Nicht nur mögliche Nebenwirkungen, auch die falsche Behandlung kann zu katastrophalen Folgen führen, weiß Kager nur zu gut (siehe unten). Sowohl sie als auch Anna-Maria Kiprov finden es gut, dass eine Prominente wie Linda Evangelista mit ihrer Komplikation an die Öffentlichkeit geht. Kiprov: „Es ist wichtig, auch aufzuzeigen, dass es dieses Restrisiko gibt.“ Zu den Aufgaben von Schönheitschirurgen zähle zunehmend, die Patientinnen zu disziplinieren. „Man muss daran erinnern, dass das Altern schlichtweg zum Leben dazugehört.“
"Alte Models"
Ein Faktum, das auch die Modebranche nicht mehr länger leugnen kann – und so schicken die großen Designer neuerdings gerne Supermodels aus der Generation Evangelista über den Laufsteg. In Paris modelten diese Woche Carla Bruni (53) und Milla Jovovich (45) für Balmain, zuvor war Kate Moss (47) Teil der gehypten „Fendace“-Show in Mailand. Vor vier Jahren gaben die Neunzigerjahre-Ikonen ein gefeiertes Comeback auf dem Versace-Catwalk – schön, straff und schlank wie vor 30 Jahren. Eine fehlte: Evangelista.
Die gefährlichen Schattenseiten der Glamour-Branche hat Anne-Sophie Monrad in ihrem Buch „Fashion Victim“ beschrieben. Für das frühere Model ist der Fall Evangelista wenig überraschend. „Für mich ist das eine Bestätigung, wie unwirklich diese Welt ist. Dass ein Supermodel glaubt, so etwas machen zu müssen, zeigt, dass der Druck nie aufhört und die Industrie immer mehr verlangt“, sagt die 30-jährige Deutsche.
Sie selbst litt während ihrer Modelzeit unter einer Essstörung, was sie jedoch lange nicht zugeben wollte.
Evangelistas Offenheit findet sie gut – aber was wäre geschehen, wenn der Eingriff wie geplant verlaufen wäre? „Dann würde sie jetzt, mit Mitte 50, aussehen wie 35, niemand hätte davon erfahren und das Zahnrad würde sich einfach weiterdrehen.“
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