Mitten ins Gesicht: Maori, Gangster, Rapper und ihre Tattoos
Die arme Mama. Nur um sie zu erzürnen, soll sich der Rapper Post Ma-lone Gesichtstätowierungen wie Stacheldraht, Schwert und Schriftzüge zugelegt haben. Das sagte er zumindest („Anything to piss off my mom“, um ganz genau zu sein). Mit den Verzierungen ist er nicht der einzige Künstler des Cloud-Raps.
Viele Genre-Vertreter haben in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass sich nicht nur sphärische Klänge, verzerrte Stimmen und Texte über berauschende Medikamente verbreiten, sondern auch Bilder zu Tätowierungen am Kopf. Man denke an den bunt und lustig aussehenden, aber ständig vor Gericht stehenden Tekashi 6ix9ine.
Post Malone ist übrigens mit Popstar Justin Bieber befreundet. Und auch er hat eines – wenn auch ein ganz kleines. „Grace“ steht über seiner Augenbraue. Die Peckerl sind draußen aus dem Untergrund. So hat sich Kourtney vom Kardashian-Clan zuletzt den Schlagzeuger Travis Barker als Gspusi zugelegt – auch er ist mit einem „Blessed“ auf der Wange gesegnet.
Ultrabösewicht verzichtet jetzt auf sein Tattoo
Und noch ein Zeichen dafür, dass Tattoos den Hauch des Verruchten etwas verloren haben: Sogar der Ultrabösewicht Joker soll im neuen Film „Justice League“ ohne diese für Chaos und Schrecken sorgen. Noch im Vorgängerstreifen „Suicide Squad“ hatte der von Jared Leto (für viele Kritiker inferior) verkörperte Schurke ein tränenförmiges J unterm Auge und einen „Damage“-Schriftzug auf der Stirn (über dem Hirn).
Post Malone wollte seine Mutter ärgern, sagte er zumindest.
Tekashi 6ix9ine steht oft vor Gericht und ist viel tätowiert.
Travis Barker (re.) ist im Gesicht tätowiert. Machine Gun Kelly (li.) noch nicht.
Einer, der das verstärkte Auftauchen der Gesichtstattoos kritisch betrachtet, ist Erich Mähnert. Er betreibt in der Wiener Brünner Straße ein Studio und ist Branchensprecher der Wirtschaftskammer: „Ich bin da Old School. Früher war so etwas nur brancheninternen Personen vorbehalten.“ Wenn sich jetzt junge Menschen dafür interessieren, liege das einerseits wohl an den Stars. Andererseits sorge man in Zeiten, in denen Tattoos normal sind und nur mehr selten arme Mütter erzürnen, noch für Aufsehen.
Der Urzweck der Tattoos an prominentester Stelle war aber nicht, den Blutdruck der Erziehungsberechtigten zu erhöhen. Im alten Rom wurden Sklaven damit markiert, die vor ihren Besitzern fliehen wollten. Bei einigen Naturvölkern, vor allem in Teilen Ozeaniens, waren sie lange verbreitet – aus dem Tahitianischen stammt auch das Wort „tatau“, das so viel heißt wie „Wunden schlagen“. Bei den Maori Neuseelands kam nach jedem abgeschlossenen Entwicklungsschritt in einem Ritual ein Muster dazu. Ta Moko heißt die Verzierung, und sie erzählt von der Abstammung und der persönlichen Geschichte der Träger. Die Farbe kam mit Schab- und Kratzwerkzeugen in die Haut, die dadurch eine narbenmäßige Struktur bildet. Christliche Missionare verboten die Muster, zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es kaum noch welche.
Nachdem die Ureinwohner in Neuseeland lange Zeit an den Rand gedrängt waren, setzte ab den 1970ern die Maori-Renaissance ein. Eine Protestbewegung forderte Landrechte, die Sprache wurde wiederbelebt. Und auch die Ta Mokos prangten spätestens ab den 1990ern wieder verstärkt auf den Gesichtern der Maori. Und das sogar im Parlament. Dort hatte zuletzt der Abgeordnete der Maori-Partei, Rawiri Waititi, für Aufsehen gesorgt. Aber nicht wegen seines prächtigen Musters. Er hatte sich geweigert, der Krawattenpflicht nachzukommen, weil der Dresscode der Kolonialzeit entstamme.
Nanaia Mahuta hat es aber tatsächlich wegen ihrer Tätowierung in die internationalen Schlagzeilen geschafft. Sie ist seit November nicht nur die erste Außenministerin Neuseelands und die erste Ureinwohnerin in diesem Amt. Sie trägt auch ein Ta Moko von der Unterlippe bis zum Kinn. „Das ist ein Zeichen von Identität, wie ein Pass“, erklärte sie einmal dem Guardian. „Das ist, was ich bin.“
Von Ureinwohnern inspiriert ist auch das Tribal-Peckerl von Box-Bad-Boy Mike Tyson. Es zeugt auch von einer Lebensphase, aber von einer düsteren. Es sei 2003 in einem Anflug von Selbstzerstörung entstanden. „Ich hasste meine Visage und wollte mir irgendwie ein neues Gesicht verschaffen.“
Generell waren es in der westlichen Welt eher schwere Burschen oder Außenseiter, die sich so etwas zulegten. Vertreter von Jugendkulturen aus der englischen Unterschicht und Arbeiterklasse – Skinheads und Punks – zeigten damit der Gesellschaft den ausgestreckten Mittelfinger. In den USA und Zentralamerika sind sie ein Zeichen wenig zimperlicher Gangmitglieder, allen voran von den berüchtigten Mara Salvatrucha, auch bekannt als MS-13. Sie wurde in den Achtzigerjahren in Los Angeles von jungen Einwanderern aus dem zentralamerikanischen Land El Salvador gegründet und soll in den USA etwa 10.000 Mitglieder haben.
Viele Männer wurden über die Jahre abgeschoben, und die entstandenen Gruppen breiteten sich in Zentralamerika aus. Sie sind unter anderem auf Drogenhandel, Erpressungen und Entführungen spezialisiert. Mit den Tätowierungen machten die Mitglieder klar, zu welcher Gruppe sie gehören. Und sie zeigten, dass es kein Zurück gibt.
Friedliebend, aber wegen seiner rigiden Einlasspolitik bei Nachtschwärmern aus aller Welt gefürchtet, war Sven Marquardt, der gestrenge Zerberus des Berliner Berghain in Vor-Corona-Zeiten. Der Stacheldraht über der linken Gesichtshälfte des Türstehers trägt wohl auch zum Mythos bei, der den Techno-Club noch immer umweht. Er selbst durfte übrigens einmal selbst nicht in einen Club in Sydney. Wegen seines Tattoos.
Tätowierer muss mitspielen
Auch wenn es Personen aus der Kunst- und Kulturwelt vorexerzieren, das Phänomen ist hierzulande aus Sicht des Experten noch kein allzu großes Thema: „Es ist nicht so, dass wer kommt und sagt, ich möchte das Gesicht voll haben. Wenn etwas gefordert wird, dann eher dezente Sachen wie ein Anker über der Schläfe“, erklärt Tätowierer Mähnert.
Und wenn wer eines will, muss erst einmal auch der Künstler mitspielen: „Ein Tätowierer hat eine Verantwortung gegenüber seinen Kunden.“ Wer nicht volljährig ist und nicht schon bis in die Fingerspitzen verziert ist, stößt bei ihm ohnehin auf taube Ohren. Und bei den Bis-18-Jährigen tätowiere er überhaupt keine exponierten Stellen wie Hals oder Handrücken. Vom Gesicht gar nicht zu reden.
Damit sich die Mama und das spätere Selbst – etwa beim Jobsuchen – nicht ärgern müssen. „Als junger Mensch weiß man ja auch nicht, wohin später einmal der Weg geht.“
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