MICHAEL SCHOTTENBERG: Ich war mein Leben lang Geschichtenerzähler. Als Regisseur von Ibsen und Shakespeare bis Nestroy habe ich von Menschen erzählt. Das war es, was mich interessiert. In welcher Konstellation leben sie, wo verbergen sich Konflikte, wie äußert sich ihr Begehren, woran erkenne ich das? Die Reisen, die ich unternommen habe, waren Reisen zu Menschen. Das ist meine Geschichte.
Reisen gelten auch als Möglichkeit, mehr über sich selbst zu erfahren.
Jedes künstlerische Statement ist immer auch ein Bericht über sich selbst. Mein Ich ist als Reporter immer dabei.
Erfährt man mehr über sich, wenn man mit der Fremde konfrontiert ist?
Jede Reise ist eine Reise zu sich selbst. Das stimmt. Schreiben und Reisen sind Verwandte: Man träumt, man schreibt – und findet sich plötzlich woanders wieder.
Das vergangene Jahr war ein ganz besonderes. Gerade erst hatten wir Sie als Tänzer und Weltreisenden kennengelernt und auf einmal haben alle Tanzsalons zu und die Flughäfen sind verwaist. Wie kamen Sie damit zurecht?
Überraschend gut. Ein Reisender fährt ja nicht nur nach Indien, der kann auch ins Tröpferlbad nach Ottakring fahren, um dort etwas zu entdecken. Etwa über einen Menschen, der an der Kassa sitzt und mit dem man sonst nicht ins Gespräch käme. Bei meinen Reisen von Vietnam bis nach Indien bin ich auf der Suche nach Interessantem ziemlich viel herumgelaufen. In Wien schaut das anders aus, das kenne ich. Was den Besuch des Tröpferlbades letztlich so merkwürdig machte, war, dass man dort nur mit eigenem Handtuch und eigener Seife reinkommt. Das wusste ich nicht. Bezahlen muss man nämlich nur fürs Tröpfeln.
... und dann nahm die Pointe ihren Lauf.
Ja, aber die will ich hier nicht verraten. Das muss man lesen.
Bestsellerautorin Isabel Allende erwähnte bei einer Tagung von Reiseschriftstellern, Reisen strenge eigentlich über die Gebühr an, und zwar besonders, wenn es dort, wo sie hinfahre, keinen Zimmerservice gäbe.
Also, ich kann mich auch mit einer Kajüte statt einem Zimmer arrangieren. Oder mit einem fensterlosen Zimmer in einem Minus-Drei-Stern-Hotel.
Auch als gut informierter Österreicher hat man den Eindruck, zwei Drittel der Orte, über die Sie berichten, sind völliges Neuland. Man spürt, auch im eigenen Land gibt es genug zu entdecken.
Und ob! Ich habe über jedes Bundesland sechzehn Geschichten geschrieben, nur jeweils fünf davon haben es ins Buch geschafft. Ich habe also noch viel in der Hinterhand. Es entstehen neun weitere Bücher, über jedes Bundesland eines. „Schotti to go: Burgenland für Entdecker“ ist das nächste.
Kam dieser Erfolg als Reiseschriftsteller überraschend oder war das geplant?
Es hat sich ergeben. Zwei Mal sogar. Der Amalthea Verlag hatte vor Jahren wegen einer Biografie bei mir angefragt. Entstanden ist dann mein Erstlingswerk „Von der Bühne in die Welt – Unterwegs in Vietnam“. Dann begann ich für die ORF-Sendung "Studio 2" über meine Reisen zu erzählen. Und dann kam Corona. Ich spürte, dass mir der Stoff bald ausgeht und meinte, was is’ wenn ich Österreich entdecke ...
Wenn man Menschen zuhört, ist Reisen das, was sie jetzt neben einem Gasthausbesuch am nötigsten brauchen.
Nachvollziehbar. Aber wenn man gewillt ist, die Augen aufzumachen, beginnt eine Reise bereits, indem man die Türe öffnet und vors Haus tritt. Oder ins Mühlviertel fährt.
Welche Begegnung in welchem Ort überraschte Sie am meisten?
Die mit einem Maultrommler in Molln. Er erzählte mir, dass Marco Polo dieses Instrument vor vielen Jahren über die Seidenstraße zur oberösterreichischen Eisenstraße brachte. Früher verkauften die Mollner davon acht Millionen Stück im Jahr in die ganze Welt. Der Seniorchef der Maultrommlerei ist überzeugt davon, dass alle Töne, die in Molln ihren Ausgang nehmen, auf der ganzen Welt gleich empfunden werden. Daher lud er Maultrommler aus 22 Nationen ein, um miteinander zu musizieren. Das zeigt die weltumspannende Verbindung zwischen Menschen und Gefühlen. Und hilft vielleicht, Landschaften anders zu sehen.
Reiseerzählungen lesen hilft zwar über Monate des Nichtreisens hinweg. Aber ist nicht schon alles erzählt?
Nein, nichts ist zu Ende erzählt. Es gibt noch Hunderte Geschichten. Auch in Wien. Von einer Barfrau, Cutterin von Fellini und Pasolini, erzähle ich im übernächsten Buch. Diese Dame lebte drei Jahre in der Cinecittà und hat „La Strada“ mitgeschnitten.
Da bin ich schon gespannt. Vielen Dank für das Gespräch.
Danke auch. Und liebe Grüße an Conny Kreuter, meine Tanzpartnerin von Schau-TV.
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