Wienerisch oder steirisch: Nacktmulle sprechen Dialekt

Wienerisch oder steirisch: Nacktmulle sprechen Dialekt
Nacktmulle sind äußerst kommunikative Wesen: Fremde Nacktmulle sind im Staat übrigens wenig willkommen.

Steht man vor ihrem Bau, hört man die kleinen Nager fast ununterbrochen leise zwitschern, piepsen, zirpen oder grunzen.

"Mit unserer Studie wollten wir herausfinden, ob die Laute eine soziale Bedeutung haben", sagt Professor Gary Lewin vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC).

Das Team um Lewin analysierte das leise Zwitschern, mit dem sich Nacktmulle untereinander begrüßen, genauer: Dabei stellten sie fest, dass jede Kolonie ihren eigenen Dialekt hat. Offenbar stärkt die Ausbildung einer speziellen Mundart das Zugehörigkeitsempfinden und den Zusammenhalt im Nacktmull-Staat.

Fremde Nacktmulle sind in einem bereits bestehenden Staat nicht willkommen: "Man könnte sogar sagen, dass die Tiere ausgesprochen fremdenfeindlich sind", sagt Lewin, der die Nacktmulle seit zwanzig Jahren erforscht.

"Vermutlich geht dieses Verhalten auf die permanente Nahrungsknappheit in den trockenen Steppen ihrer ostafrikanischen Heimat zurück." Innerhalb des eigenen Staates verhalten sich die Nager jedoch sehr kooperativ: Jedes Tier kennt seinen Rang sowie die damit verbundenen Aufgaben – und geht diesen in aller Regel sehr zuverlässig nach.

Jeder Nacktmull hat unverwechselbare Stimme

Die Wissenschafter nahmen über einen Zeitraum von zwei Jahren hinweg insgesamt 36.190 leise Zwitscher von 166 Tieren aus sieben im Labor gehaltenen Kolonien in Berlin und Pretoria auf. Dabei erkannten sie, dass jeder Nacktmull seine eigene Stimme hat. Offen blieb aber, ob sich die Tiere anhand der Stimme auch untereinander unterscheiden konnten.

Das Computerprogramm stellte auch Gemeinsamkeiten der Laute innerhalb einer Kolonie fest: Es konnte sogar nur aufgrund des Dialekts erkennen, aus welcher Kolonie das Tier stammt. Jetzt wollten die Forscher wissen, ob diese Unterschiede auch die Tiere hörten. Es folgten Experimente mit zwei Kamern, in der einen war es still, in der anderen waren leise Laute zu hören: Die Tiere suchten stets die Kammer mit den eingespielten Lauten auf.

Kamen die Laute von einem Tier aus der eigenen Kolonie, antwortete der Nacktmull sofort. Stammten sie von einem Tier aus einer fremden Kolonie, blieb der Nager hingegen still.

Um sicher zu gehen, dass es die Mundart war und nicht die Stimme eines einzelnen Tiers, wurden kunstliche Laute vorgespielt. Diese beinhalteten spezifische Merkmale des jeweiligen Dialekts, ähnelten aber nicht der Stimme eines einzelnen Tieres. Auch auf diese am Computer entwickelten Stimmen antworteten die Nacktmulle mit ihrem leisen Zwitschern.

Das Experiment funktionierte selbst dann, wenn in der Kammer mit der vertrauten Mundart der Duft einer fremden Kolonie verströmt wurde: "Damit hatten wir den Nachweis erbracht, dass die Tiere spezifisch den eigenen Dialekt erkennen und positiv auf ihn reagieren", sagt Lewin.

Adoptierte Nacktmull-Welpen nahmen den neuen Dialekt an

In weiteren Experimenten setzte das Team drei verwaiste Nacktmull-Welpen in eine fremde Kolonie, in der die Königin – die als Einzige im Nacktmull-Staat Nachwuchs bekommen darf – ebenfalls gerade geworfen hatte.

Somit war gewährleistet, dass die Neuankömmlinge nicht angegriffen wurden. Sechs Monate später hatten die Pflegekinder den Dialekt der Gast-Kolonie angenommen.

Dass die Königin im Nacktmull-Staat nicht nur für den Nachwuchs sorgt, sondern eine ganz entscheidende Rolle bei der Pflege der Mundart spielt, entdeckte das Team eher zufällig. Weil eine der Kolonien im Laufe der Studie nacheinander zwei Königinnen verlor, stellte das Team fest, dass sich die Laute der anderen Nacktmulle viel mehr als sonst voneinander unterschieden.

Das habe sich erst wieder geändert, nachdem sich ein paar Monate später ein anderes, ranghohes Nacktmull-Weibchen als neue Königin etabliert habe.

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