Wienerin erzählt, was im ersten Care-Paket vor 75 Jahren steckte
Der süßliche Geschmack von Milch aus Pulver – sie genießt ihn heute noch. Erzählt Gerti Zupanich. "Auch Corned Beef aus der Dose oder eine Tasse Kakao erinnern mich an den Sommer vor 75 Jahren."
Am 19. Juli 1946 trafen die ersten 3.200 CARE-Pakete auf dem Wiener Franz-Josefs-Bahnhof ein. Der damalige Bundespräsident Karl Renner nahm sie dankbar entgegen. Sie kamen direkt aus den USA, dort hatten sich bald nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 22 Wohlfahrtsverbände zusammengetan, um möglichst rasch zu helfen.
Schule war zur Hälfte ausgebombt
Die achtjährige Wienerin Gerti Zupanich wohnte seit Kriegsende mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester Marianne im sechsten Bezirk, in einem Gründerzeit-Haus an der Gumpendorfer Straße: "Vorne haben die Besitzenden logiert, in das hintere Haus zu uns ist man über einen Hof gegangen." Sie besuchte die zweite Klasse der Volksschule in der Kopernikusgasse. "Die war zur Hälfte ausgebombt."
Homeschooling war noch nicht erfunden, erläutert Frau Zupanich mit einem Lächeln. Deshalb gab es zum Teil auch am Nachmittag Unterricht. Im ersten Winter nach dem Krieg hatten alle Kinder ihre Mäntel im Klassenraum an. Doch bald bemerkte sie, dass „alles langsam besser“ wurde.
"Eines Tages stand dann so ein CARE-Paket auf dem Küchentisch", erinnert sich die Zeitzeugin. Sehr sorgsam wurde es geöffnet. Die Dosen gaben Rätsel auf – auch den Erwachsenen: "Niemand in der Familie konnte Englisch."
Fleisch und Milchpulver aus der Dose bleiben unvergesslich
Corned Beef! Sie hat den Geschmack des Rindfleischs heute noch auf der Zunge. Verständlich: "Zuvor gab es bei uns nur dann Fleisch, wenn die Oma in Weidling ein Huhn gerupft oder einen Hasen geschlachtet hat."
Noch besser kann sie sich an das Milchpulver erinnern: "In Wien gab es damals kaum Milch. Für meine jüngere Schwester waren daher die Flascherln mit der Milch aus dem Pulver eine echte Wohltat. Ich hab’ ihr beim Nuckeln zugeschaut und dabei immer gehofft, dass sie mir am Ende ein Schluckerl überlässt."
Alles in allem verteilten die CARE-Mitarbeiter eine Million Hilfspakete an die nach dem Krieg notleidende Bevölkerung in Österreich. Bei aller Dankbarkeit ist für die 1938 geborene und erst in der Pension zur Historikerin berufene Wienerin der Hinweis wichtig, dass es auch von Schweizern, Schweden und vor allem von den anderen drei Besatzungsmächten humanitäre Hilfe gab.
Ihren beiden Töchtern, ihren beiden Enkerln und drei Urenkerln hat Gerti Zupanich nie gesagt, dass früher alles besser oder alles schlimmer war als heute.
Ihre Botschaft ist eine andere und sollte vor allem Menschen, die unter der Bedrohung durch Corona leiden, Mut machen: "Die besorgten Gesichter der Eltern während des Krieges und unmittelbar danach habe ich als Kind wohl gesehen. Es war auch so, dass viele von uns Kindern keine guten Schuhe hatten, um in die Schule zu gehen. Aber man darf auch in schlechten Zeiten niemals die Hoffnung verlieren, denn man kommt immer irgendwie wieder raus. Es gibt immer ein Aufwärtsstreben. Das hat die Geschichte oft bewiesen."
Als Kind hätte sie sich nie träumen lassen, "dass ich einmal in einem Wohlfahrtsstaat leben werde", sagt jene 83-jährige Wienerin, die noch heute „liebend gerne einen Kakao trinkt“ und sich dabei auch einen gesunden Schuss Selbstironie beibehalten hat.
Wann immer die Leute von CARE anfragen, ob sie wieder an eine Schule gehen und erzählen mag, ist Gerti Zupanich zur Stelle. "Es ist wichtig", erklärt sie, "dass gewisse Erfahrungen nicht in Vergessenheit geraten, wichtig für unsere Demokratie".
Kommentare