Woran sich die Gastarbeiter erinnern
Die Schreibmaschine. Erinnert sich Niko Mijatović. Die erste Schreibmaschine war eine unglaubliche Erleichterung für all die Anträge, die damals im Büro des Vereins Jedinstvo (deutsch: Einheit) gestellt wurden. Damit seine Landsleute aus dem damaligen Jugoslawien in Österreich weiter arbeiten, wohnen und leben konnten.
Sonderzeichen – extra
Herr Mijatović hat die alte Maschine vor Kurzem mit dem Wien Museum geteilt. Und das Museum zeigt sein Geschenk jetzt mit vielen anderen Erinnerungsobjekten in der neuen Ausstellung "Geteilte Geschichte".
Man möchte damit auf ein bisher wenig beachtetes Kapitel der österreichischen Zeitgeschichte aufmerksam machen, erklären die beiden Kuratoren Vida Bakondy und Gerhard Milchram: "Es geht uns um die Geschichte der Gastarbeiter, die in den 1960er- und 1970er-Jahren von der Republik Österreich angeworben wurden und die mit ihrer Arbeit einen nicht unbeträchtlichen Teil zu unserem heutigen Wohlstand beigetragen haben."
Berührend: Die Schreibmaschinentasten für die Sonderzeichen ć, č, š und ž wurden nachträglich von einem fingerfertigen Mechaniker eingebaut. Niko Mijatović erzählt dazu, dass das jugoslawische Konsulat mit den Anträgen nicht nachgekommen ist: "Daher haben wir von Vereinsseite her ausgeholfen. Es gab Tage, da standen bis zu 200 Menschen in der Salmgasse und warteten darauf, dass wir sie drannahmen."
Schnell den Job erledigen und dann rasch zurück in die Heimat. Das war der Plan der Anwerbe-Abkommen mit Jugoslawien und der Türkei. Doch es gab während der Wirtschaftsaufschwung-Jahre viel zu tun, und so wie die österreichischen Auswanderer etwa in Amerika oder in Australien, so begannen viele Gastarbeiter, in Österreich ansässig zu werden.
Nicht willkommen
Dabei wurden sie von der neuen Heimat – ganz vorsichtig formuliert – nicht unbedingt unterstützt. Der aus der kleinen bosnischen Stadt Brčko stammende Vereinsmitarbeiter erinnert sich, dass sich die Hiesigen öfters und auch sehr gerne über die Warteschlangen vor dem Büro in der Wiener Salmgasse echauffiert haben.
Seine Landsfrau Slobodanka Kudlaček-Ritopečki hat dem Museum wiederum Fotos ihres Vaters, eines professionellen Pressefotografen, überlassen. Auf einem seiner zigtausend Aufnahmen ist die Eingangstür eines Wiener Fleischhauers zu sehen. Der hatte über einem Werbepickerl mit Aufschrift Junghühner aus Dänemark ein Plakat affichiert – darauf stand in kyrillischer und in deutscher Sprache unmissverständlich geschrieben: Für jugoslawische Gastarbeiter ist der Eintritt ab 29. XI. 1970 verboten!
Hochgeklappte Gehsteige
Wien empfand sie in den ersten Jahren als "schrecklich, grau, finster". Anders als in Belgrad klappten nach 18 Uhr die Gehsteige hoch, und am Samstagnachmittag hatte "nichts mehr offen".
"Scharfe Wiesen"
Kollege Mijatović wiederum vermisste die schönen Rasen-Fußballplätze seiner Heimat. In Wien kickte er in erster Linie auf "scharfen Wiesen", also auf holprigen Sand- und Steinwüsten.
Dass die Sprache der zentrale Schlüssel zur Integration ist, dieser Erkenntnis stimmen beide Zuwanderer mit Überzeugung zu. Allerdings mit dem wichtigen Hinweis, dass die Republik Österreich sehr lange keine Sprachkurse finanzieren wollte.
Nähere Infos zur Ausstellung
Die privaten Erinnerungsstücke wurden im Zuge des Projekts „Migration Sammeln“ 2015 und 2016 für das Wien Museum gesammelt. Sie werden noch bis 11. 2. 2018 in der Ausstellung „Geteilte Geschichte. Viyana – Beč – Wien“ gezeigt. Mehr Infos finden Sie hier: www.wienmuseum.at
Das Wien Museum unterstreicht mit der Ausstellung nicht nur die Bedeutung der Zuwanderung, sondern würdigt nun auch jene Personen, die bereit waren, dem Museum Objekte zu schenken und damit einen Aspekt ihrer privaten Geschichte zu teilen.
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