Warum Manager von der Business-Welt in den Bildungsbereich wechseln
Mit Quereinstiegen kennen sie sich aus: Sowohl der scheidende als auch der neue Geschäftsführer von Teach for Austria sind in vielen Welten zu Hause. Der „alte“ Chef, Gebhard Ottacher, studierte Geschichte, wechselte in die Privatwirtschaft und wurde Unternehmensberater, bevor er zur Bildungs-NGO wechselte, deren Ziel es ist, Absolventen verschiedener Studienrichtungen an Schulen zu vermitteln, deren Kinder nicht gerade auf die Butterseite des Lebens gefallen sind.
Ottacher übergab Anfang Juli das Zepter an Severin Broucek – auch ein Allrounder: Nach dem Politik- und Philosophiestudium besuchte er die Diplomatische Akademie, wurde Manager bei einer großen Bank, wo er berufsbegleitend den MBA in London machte.
Die Idee
1990 wurde Teach for America gegründet: Top-Absolventen aller Studienrichtungen gehen für zwei Jahre in Schulen in strukturschwachen Gegenden. Die Idee machte in 60 Ländern Schule, 2011 startete Teach for Austria.
112 Quereinsteiger
gab es 2020/21 in 62 Schulen in Wien, NÖ und OÖ sowie 116 Alumni, die nach zwei Jahren weiterhin in den Schulen bleiben. In Wien sind Quereinsteiger auch in Kindergärten aktiv.
Warum Broucek den Banker-Job aufgegeben hat? „Ich war in drei Bereichen in vier Rollen für bis zu 14 Länder zuständig. Wenn man dann eine neue Herausforderung will, ist es eine gute Idee, sich außerhalb etwas zu suchen. Schaut man sich dann noch die derzeitige Bildungssituation an, weiß man: Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, hier etwas zu tun – nach dem Motto: Machen statt reden.“
Für alle schlecht
Besonders stört Broucek, dass Bildungschancen in Österreich immer noch vererbt werden: „Das ist nicht nur den Kindern gegenüber unfair – es ist für alle schlecht, wenn Ungleichheiten in einer Gesellschaft zu groß werden.“ Teach for Austria setzt sich deshalb für die Schwächsten ein: Die Fellows – so werden Quereinsteiger in den Schulen genannt – kommen aus unterschiedlichen Bereichen und bringen ein großes Netzwerk mit. Dadurch haben sie einen anderen Blick und können Potenziale der Kinder entdecken, die sonst vielleicht verborgen geblieben wären.
Wie solche Netzwerke das Leben einzelner junger Menschen verändern können, macht Vorgänger Ottacher mit dieser Geschichte deutlich: „Eine unserer Fellows unterrichtete eine 2. Klasse NMS, in der ein 15-jähriger Schüler unter lauter Elfjährigen saß. Damals traf es sich gut, dass wir immer wieder Menschen aus der Wirtschaft in die Klassen einladen – damals war das Gitti Ederer von den ÖBB. Der Bub nahm bei dem Besuch all seinen Mut zusammen und fragte Ederer nach einer Lehrstelle. Er erhielt sie und schloss später mit Auszeichnung ab – obwohl er der Einzige in der Familie war, der morgens um sechs Uhr aufstand. Heute ist der junge Mann verheiratet und stellvertretender Teamleiter bei der ÖBB.“
Es sind diese Geschichten, die Broucek beflügeln und die den Unterschied zu seinem früheren Job ausmachen: „Was bei der Bank sehr finanziell begründet ist, ist hier viel breiter und mit einem sozialen Engagement verbunden. Unsere Mitarbeiter sind ganz anders motiviert.“
Neben allen Unterschieden gebe es beim neuen und alten Job auch Gemeinsamkeiten, meint Broucek: „Ich kann hier vieles anwenden, was ich über Führung und Management gelernt habe – nur die Ziele und die Partner, mit denen ich arbeite, sind andere.“ Seine neuen Ziele formuliert er so: „Wir wollen weiter wachsen und die Gemeinschaft unserer ehemaligen Fellows stärken. Viele sind nämlich der Schule treu geblieben und haben Sozial-Start-ups gegründet, mit denen sie mehr Bildungsgerechtigkeit erreichen wollen.“
Neue Ideen
Ein gutes Dutzend solcher Initiativen ging daraus hervor. Jüngstes Beispiel ist die Vienna Hobby Lobby: In einem leer stehenden Haus erhalten Kinder am Nachmittag Gratiskurse wie Englisch und Streetdance. „Wir sehen es als unsere Aufgaben, solche sozialen Innovationen zu unterstützen“, sagt Ottacher. Teach for Austria wurde somit eine Art Thinktank für Bildungsinnovationen, die nicht aus dem Schulsystem selber kommen.
Nach sieben Jahren an der Spitze der NGO hat der scheidende Chef einen Wunsch: „Wir brauchen dringen eine nationale Diskussion darüber, was unser Bildungssystem – das ja auch einiges kostet – leisten soll und welche Ziel es verfolgen soll. Weil uns das fehlt, gehen die Reformen in verschiedene Richtungen. Würde man sich auf ein Ziel einigen, könnte die Schule idealerweise Ergebnisse produzieren, die diesem Ziel auch gerecht werden.“
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