Warum Gewalt an Frauen nicht erst beim Morden beginnt

Warum Gewalt an Frauen nicht erst beim Morden beginnt
Vor Femiziden stehen häufig digitale Drohungen und Hasskommentare, wissen Politologen. Eine Analyse.

Drei Jahre, bevor der Täter seine Ex-Partnerin mutmaßlich ermordete, gingen von seinem Account Chatnachrichten an die Politikerin Sigi Maurer, die von Frauenhass,  toxischer Männlichkeit und der Androhung sexualisierter Gewalt zeugten.

Der aktuelle Fall zeigt, dass physische Gewalt oft im Netz beginnt. Auch Maurer betonte am Freitag, dass es sich um ein strukturelles Problem, keinen Einzelfall handle: „Wir kennen die Mechanismen hinter der Gewalt“, twitterte sie. „Frauenverachtung, Unfähigkeit, Konflikte gewaltfrei zu lösen, die Wahrnehmung, Männer wären Frauen übergeordnet.“ Es sei die Verantwortung von Gesellschaft und Politik, diese „gefährlichen Männlichkeitsbilder“ so früh wie möglich zu brechen.

"Kleines Problem am Rande"

Viel zu oft werde Frauenhass im Netz als „kleines Problem am Rande“ abgetan, sagt die Netzaktivistin und Politologin Anne Roth. „Wir müssen begreifen, dass es sich um ein riesengroßes Problem handelt, auf das wir als Gesellschaft im Moment keine geeigneten Antworten haben.“ Zwar gebe es keine Statistiken, doch der Zusammenhang zwischen digitaler und physischer Gewalt sei offensichtlich: „Bei digitaler und analoger Gewalt handelt es sich oft um dieselben Täter. Beratungsstellen für Gewalt gegen Frauen und Anwälte bestätigen das.“

Digiale Aspekte

Auch Fälle von häuslicher Gewalt hätten inzwischen fast immer digitale Aspekte. Bevor Frauen von ihrem (Ex-)Partner physische Gewalt angetan wird, werden sie oft über soziale Netzwerke überwacht, manipuliert, terrorisiert. Dazu zählt das Öffentlichmachen von intimem Bildmaterial, das während der Beziehung im Einvernehmen geteilt oder aufgenommen wurde. „Oft heißt es, ‘Ja, hätte sie ihm halt nicht solche Bilder geschickt‘. Das ist Victimblaming“, sagt Roth und appelliert: „Digitale Gewalt muss ernst genommen werden.“

Witze als Nährboden

Wo ist die Wurzel der Gewalt? „Wir wissen aus Studien, dass Gewalt nicht erst beim Morden beginnt. Gerade in Beziehungen gibt es meist eine Vorlaufzeit mit Besitzdenken und Kontrollausübung“, sagt die Feminismus-Expertin Beatrice Frasl. Der aktuelle Femizid mache sichtbar, dass Gewalt nicht aus einem Vakuum heraus passiert. „Hass im Netz und Gewalt sind nicht dasselbe, aber sie sind Ausdruck desselben Problems.“

Nach dem Femizid verbreitete sich auf Twitter das Bild einer Pyramide, das die verschiedenen Dimensionen von Frauenhass veranschaulichen soll: An der Spitze steht Mord, ganz unten sexistische Witze und misogyne Sprache. Sie bilden den Nährboden für ein patriarchales System, das Frauen systematisch benachteiligt.

Teil des Problems

Die Objektifizierung von Frauenkörpern in der Werbung sei Teil des Problems, sagt Frasl. „Wenn Frauen als Objekte dargestellt werden, sind wir nicht weit davon entfernt, dass sie auch als Objekte behandelt werden.“ 

Expertinnen sind einig: Neben Aufklärung und dem Ausbau von Gewaltschutzzentren müsse man im Kindergarten ansetzen und Buben ein anderes Bild von Männlichkeit vermitteln. Das veranschaulichte auch der Satz, der nach dem jüngsten Frauenmord in London viral ging: Schütze nicht deine Tochter, bilde deinen Sohn.

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