Frauenhass im Netz – genug ist genug
Eine neue Nachricht im Posteingang. Der Absender, ein unbekannter Name. “Du Nut**, geh’ sterben. Du gehörst vergewaltigt. Eine wie du sollte keine Kinder bekommen.” Die Bandbreite an Beschimpfungen und Gewaltfantasien kennt kaum Grenzen, wenn extrem hasserfüllte Menschen ihre Aversionen und Aggressionen in die Tastatur des Computers ballern.
Das Spektrum der Grausamkeiten gegen Frauen in der On- wie Offlinewelt ist generell groß. Hetze im Netz soll vor allem exponierte und meinungsstarke Frauen mundtot machen. Sie werden gestalkt, bedroht oder bloßgestellt. In Partnerschaften werden Männer gegen Frauen handgreiflich und kontrollieren sie, digitale und analoge Gewalt gehören nicht selten zusammen. Natürlich sind auch Frauen fähig, zu stalken oder Hass-Nachrichten zu verschicken. Sie sind allerdings in weit größerem Ausmaß die Empfängerinnen solcher.
Auch Martina Salomon, Chefredakteurin des KURIER, hatte kürzlich einen Leserbrief im Posteingang, den wir hier nicht wiedergeben wollen, ihn aber als äußerst bedrohlich, obszön und widerwärtig beschreiben. Der Inhalt ist zutiefst sexistisch, einzig allein gegen ihre Weiblichkeit gerichtet, erfüllt von nichts anderem als Hass. Und Unsicherheit.
Denn in unserer Kultur haben sich Frauen öffentlich auf die Füße gestellt, Unterdrückung publik gemacht, sich nicht mehr alles gefallen lassen. Das führt bei so einigen auf der anderen Seite zu einer unglaublichen Verunsicherung. “Ein Mann mit einem gesunden Selbstwert kommt dadurch freilich nicht ins Schwanken - weder durch Meinungsartikel von Journalistinnen, noch durch Aktivistinnen, die sich für ihre Anliegen stark machen”, sagt die Psychiaterin Sigrun Roßmanith. “Aber jemand, der mit seiner scheinbaren Macht, eigentlich eine Schwäche und Pseudo-Macht, versucht dagegen aufzustehen, ist nicht selbstbewusst. Solche Menschen kämpfen dann mit allen Mitteln, da eignet sich besonders der Sexismus”, erklärt Roßmanith weiter.
Was fehlt diesen Männern? “Einfach ein gehöriges Selbstvertrauen”, so die Psychiaterin. Hier werde die Sexualität zur Machtdemonstration funktionalisiert. Eine Vergewaltigung androhen, heiße nichts anderes, als dass der Mann die Sexualität in den Dienst seines Aggressionstriebes stellt, sie als Werkzeug benützt und die Frau niedermacht und sozusagen auslöscht, damit ihre Meinung verschwindet. So hebe er seinen Selbstwert. “Das ist zudem eine sehr urtümliche Vorstellung, eine Frau auszulöschen, in dem man sie mit der eigenen Potenz vernichtet. Das passiert heute aber ständig”, so Roßmanith.
Die Psychiaterin beobachtet auch, dass Frauen vermehrt ungefragt Penisbilder zugeschickt bekommen. “Dass ein Mann einer Frau ein Dickpic schickt bedeutet nicht nur, dass er sie verunglimpfen will, hier wird mit dem scheinbar besten Stück des Mannes wie mit einem Schwert agiert. Die Frau wird als penislose Variante, als Minusvariante eigentlich, die alles überkompensieren muss, weil sie mit diesem guten Stück nicht ausgestattet ist, denunziert”, sagt Roßmanith.
Natürlich habe all das auch mit Narzissmus zu tun. Frauen brauchen heute keine Männer mehr. Sie kommen sehr gut alleine zurecht. “Die Frau verfügt letztlich über die größte Potenz: In ihrem Körper entsteht neues Leben. Punkt. Was ist dagegen schon ein Dickpic?”, schmunzelt Roßmanith.
In die Offensive
Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, trifft der Hass des Netzes hart. Sie sind heute oft Mütter und zugleich beruflich erfolgreich, somit sind sie krisenfähiger. Das sehen diese Männer und verbreiten folglich ihre Grausamkeiten, versteckt hinter einem Account und einem Bildschirm. Der Guardian hat im Jahr 2016 eine Untersuchung veröffentlicht: Von 2006 bis 2016 wurden demnach 1,4 Millionen Kommentare vor der Veröffentlichung geblockt. Eine Analyse zeigte, dass vor allem die Artikel von Autorinnen mit Hass und Häme überschüttet wurden. Schrieben sie über Feminismus, Frauenrechte oder Vergewaltigung, explodierte die Rate der Hasskommentare.
Martina Salomon ging in die Offensive und veröffentlichte das Mail auf Facebook, um publik zu machen, mit welch unglaublichen Untergriffen exponierte Frauen zu tun haben. Facebook löschte allerdings nach wenigen Stunden das Posting und drohte Salomon sogar mit Löschung ihres gesamten Accounts, weil sie die (Fake-)Mailadresse des Absenders öffentlich gemacht hatte. (Das ist nicht erlaubt, solche Daten müssen geschwärzt werden)
Es entstand folglich eine Solidaritätswelle – etliche User veröffentlichten auf Twitter und Facebook den Screenshot ihres Postings. Schon davor hatten sich Betroffene bei Salomon gemeldet, die selbst von diesem Account sexistische Mails bekommen hatten, unter anderem die stellvertretende ÖVP-Klubobfrau Gabriele Schwarz. Salomon will sich und andere Frauen keinesfalls in die Opferrolle drängen lassen, weist aber darauf hin, dass solche Nachrichten nur die Spitze des Eisbergs seien. Ihrer Beobachtung nach äußern etliche andere Chefredakteure bei öffentlichen Auftritten oder in Leitartikeln sehr oft ähnliche Meinungen wie sie.
Doch speziell auf Twitter werde speziell sie - oft sogar von Berufskollegen – polemisch verunglimpft. Auf eine Frau dresche man leichter hin, weil es ein vermeintlich weiches Ziel sei, sagt sie – was wiederum pathologische Persönlichkeiten ermutige, auch noch eins draufzusetzen. Salomon: “Sexismus gibt es von allen Seiten, von Rechten wie von Linken. Und selbst wenn manche allen Ernstes glauben, auf der moralisch richtigen, liberaleren Seite zu sein: Er ist immer widerwärtig.”
Der Gruppeneffekt
Die Psychologin Beate Wimmer-Puchinger, Jahrgang 1948, bezeichnet sich selbst als Feministin der ersten Stunde. “Meine Generation war oft versteckter, wir waren nicht in Führungspositionen. Als ich mich habilitiert habe, gab es keine Professorinnen. Wir haben die Männer noch nicht so herausgefordert. Das waren die Anfänge, wir waren noch wenig Bedrohung.” Mit den Jahren wurden die Frauen immer erfolgreicher, der Hass gewisser Männer größer. Nicht zuletzt durch die unendlichen, anonymen Weiten des Internets, wo sich immer auch andere Männer finden, die unterstützend nachlegen. Der Gruppeneffekt.
Im Netz bündelt sich die Frauenfeindlichkeit in der sogenannten Manosphere, jener Szene, in der sich misogyne Männer austauschen, vernetzen und anstacheln. “Der Frauenhass ist definitiv brutaler, offensiver, aggressiver und respektloser geworden”, sagt Wimmer-Puchinger. Es gehe um Machtverteilung und da zeige sich männliche Kränkung in unterschiedlichen Facetten.
Frauen zu respektieren und auf Augenhöhe zu behandeln müsse ein gesamtgesellschaftlicher von allen anerkannter Wert sein. “Ich vermisse hier Handlungen der Politik. Ich möchte eine Zivilgesellschaft, in der es selbstverständlich ist, dass Männer und Frauen gleichberechtigt zu sehen sind. Ich vermisse zudem eine gesamtgesellschaftliche Allianz gegen Gewalt. Raus aus dem Frauenthema. Das geht uns alle an”, sagt Wimmer-Puchinger.
Das erste Mal
Wer Zahlen zu Hass im Netz sucht, wird kaum fündig - die Täter wähnen sich oft und gerne in der Sicherheit des World Wide Web. Eine Anfrage zu Anzeigen und Verurteilungen wird im Justizministerium damit beantwortet, dass zu viele Deliktgruppen in den Bereich hineinfallen. Die Polizei erhebt bei Anzeigen erst seit November vorigen Jahres, welches Geschlecht das Opfer hat, welche Hautfarbe oder Herkunft. Im Sommer dieses Jahres soll es dann überhaupt zum ersten Mal eine Statistik über Hasskriminalität in Österreich geben.
“Fix ist, dass das Phänomen seit einigen Jahren ansteigt”, erklärt Tobias Körtner von der Opferhilfe des Weissen Rings. “Wir verfolgen, dass sowohl die Anfragen beim Opfer-Notruf steigen, als auch die Anzeigen.” Doch die einzige Untersuchung zum Thema Gewalt im Netz gegen Frauen ist drei Jahre alt und ergab schon damals beunruhigende Zahlen: Jede dritte Befragte hat im Internet schon eine Gewalterfahrung gemacht. Fast genauso viele haben sich daraufhin aus den sozialen Medien zurückgezogen oder haben ihr Online-Profil komplett gelöscht.
Zu einem ähnlichen Schluss kommt eine von Amnesty International durchgeführte, internationale Studie - darin gaben zwei von drei Betroffenen an, dass sie ihr Nutzungsverhalten in den sozialen Medien nach einer Gewalterfahrung geändert hätten.
Genau das wollen Täter erreichen: “Das ist dieser sogenannte Silencing-Effekt (Verstummungs-Effekt, Anm.). Die Beleidigungen zielen auf das Aussehen oder die Sexualität ab und greifen die Intimsphäre an, wo das Reden darüber schambehaftet und unangenehm ist. Damit will man nicht gerne zur Polizei gehen”, erklärt Caroline Kerschbaumer, Geschäftsführerin von ZARA - der derzeit einzigen offiziellen Anlaufstelle für Opfer von Hass im Netz.
Allerdings ist die Organisation hauptsächlich für ihre Antirassismusarbeit bekannt und bekommt vorwiegend solche Fälle gemeldet - im letzten Jahresbericht wurden gerade einmal 131 Meldungen mit Hass aufgrund des Geschlechts erfasst. Das spiegelt bei weitem nicht die Realität wider: “Wir suchen auch nicht aktiv nach Hass im Netz, sondern reagieren auf das, was uns gemeldet wird. Man kann sich bei uns juristische Beratung holen, es kann aber auch ein psychosoziales Gespräch sein.”
Gewalt ist Gewalt
Körtner vom Weissen Ring befürchtet, dass viele Opfer das Verbrechen gar nicht anzeigen, weil sie glauben, dass ohnehin nichts dagegen gemacht wird. Große Hoffnung wird daher in den neuen “Hass im Netz-Paragraphen” gelegt, der Anfang des Jahres in Kraft getreten ist. Damit soll es leichter werden, Anzeige zu erstatten und auch der Druck auf die Plattformen ist höher, schneller zu reagieren und Hasspostings zu löschen. “Eine eigene Schnittstelle für Opfer von Hass im Netz - abseits von Anti-Rassismusarbeit - wäre wohl zu befürworten.”
Die Auswirkungen von Onlinehetze sind vergleichbar mit Gewalt im echten Leben, da sind sich die Experten und Expertinnen einig. “Das Problem, das bei Online-Gewalt hinzu kommt: das Gefühl, die ganze Welt sieht dabei zu, jeder kann einen Screenshot machen und für immer speichern. Diese Ohnmacht hat eine unglaubliche Wirkung im negativen Sinn”, erklärt Kerschbaumer.
Der Umgang mit Hasspostings sei in erster Linie Typsache. “Die meisten blockieren einfach den Angreifer. In vielen Fällen hilft ZARA auch dabei, die Löschung von Beiträgen zu erwirken. Jeder User kann Beiträge in sozialen Medien melden, aber manchmal ist man nicht erfolgreich damit. Da können wir oft helfen, weil wir sogenannte trusted flagger sind - dadurch erzielen wir höhere Löschquoten, wenn wir etwas anzeigen oder melden.”
Psychiaterin Roßmanith hat eine ganz klare Meinung zum Umgang mit diesen Nachrichten. “Sie dürfen nicht verschwiegen werden. Diese Inhalte gehören veröffentlicht. Nach der Devise: Schaut her, wie mit uns Frauen umgegangen wird in der Gesellschaft. Denn es ist auch eure Gesellschaft.” Es sei jedoch eine Kunst, die Inhalte nicht persönlich zu nehmen, sondern sich selbst lediglich als Abbild der Funktion in der Gesellschaft zu sehen, die man vertritt.
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