Ein kleines Gerücht hier, ein bisschen üble Nachrede da – und manchmal sogar ein handfester Skandal: Jeder tut es, dennoch hat das Klatschen nicht den besten Ruf. Als Diskussionsstoff „des kleinen Geistes“ beschrieb die ehemalige First Lady der USA, Eleanor Roosevelt, den Klatsch einst. Weniger dramatische Töne schlug der deutsche Soziologe Jörg Bergmann in einem seiner Bücher an: In dem Standardwerk beschrieb der Forscher den täglichen Klatsch 1987 als „Sozialform der diskreten Indiskretion“. Seither hat sich das Klatschen jedenfalls verändert. Weniger in seiner Intention, vielmehr in seiner Vermittlung.
Was früher am Stammtisch, über den Gartenzaun, beim Greißler oder Frühshoppen stattfand, wird heute meist in digitalen Sphären ausgetauscht. "Wir klatschen und tratschen vermehrt medial vermittelt", erklärt Sprachwissenschafterin Susanne Günthner von der Universität Münster. "Von telefonischen Klatschgesprächen bis hin zu WhatsApp-Klatsch haben sich viele Formen des Austauschs entwickelt, die es früher nicht gab. Was man aber weiß, ist, dass Klatsch und Tratsch in allen Gemeinschaften existiert und eine seit Jahrhunderten verbreitete Spielart der Alltagskommunikation darstellt. Daran haben moderne Technologien nichts Grundlegendes geändert."
Überlebensgarant
Anthropologen vertreten die Ansicht, dass Gossip, wie der gesellschaftliche Flurfunk im englischsprachigen Raum genannt wird, unseren frühen Vorfahren das Überleben sicherte. "Das ist sinnvoll", sagt Kommunikationspsychologin Petra Peinemann. "Wir tratschen gerne mit Gleichgesinnten, weil es uns ein Gefühl von Zusammengehörigkeit verschafft. Das ist wiederum etwas, was für uns Menschen evolutionär gesehen überlebenswichtig war. Immerhin konnte der Ausschluss aus einer Gruppe einst den Tod bedeuten." Und heute?
Auch dieser Tage verbringen Menschen viel Zeit damit, über andere zu sprechen. Sehr viel Zeit sogar, wie eine aktuelle Studie vor Augen führt: Psychologen der University of California fanden in einer großen Meta-Analyse heraus, dass wir im Schnitt 52 Minuten täglich klatschen. Klar ist: Tratschen ist heute keinesfalls mehr überlebenswichtig. Dennoch erfüllt es gesellschaftliche Funktionen. "Klatsch ist eine schillernde Spielart der Kommunikation mit widersprüchlichem Charakter", sagt Günthner, "und dass sie so lange tradiert wurde, legt nahe, dass sie wichtig ist". Etwa die soziale Kontrolle, die ausgeübt werde, indem das Verhalten anderer als inadäquat und moralisch verwerflich eingestuft wird. "Wir verständigen uns bei Klatschgesprächen über soziale Normen und Werte, die keine legalen, aber soziale Konsequenzen haben", erklärt die Sprachforscherin.
Das bestätigt Kommunikationspsychologin Peinemann: "Es verbindet uns mit Menschen und gibt uns das Gefühl der Zugehörigkeit. Wenn Tratsch darin besteht, Schlechtes über andere Menschen zu berichten, kann das ein gemeinschaftsstärkendes Gefühl der Überlegenheit hervorrufen." Ethnologen beobachten immer wieder, wie schwierig es ist, in fremden Gemeinschaften Zugang zur Klatschkommunikation zu bekommen. "Das verdeutlicht, dass Klatsch eine wichtige Rolle in Bezug auf Zugehörigkeit und Abgrenzung zu bzw. von einer Gruppe spielt", sagt Günthner.
Die meisten assoziieren Negatives mit den Begriffen Klatsch, Tratsch und Gossip. Die Wissenschaft weiß zu differenzieren: "Der englische Begriff Gossip ist weiter gefasst als das Klatschen im deutschsprachigen Raum", weiß Germanistin Günthner.
Klatschen bedeute das abwertende Reden über abweichendes oder tadelnswertes Verhalten Abwesender. Vom oft neutralen Tratschen unterscheide das Klatschen, das bei letzterem Neuigkeiten vermittelt werden.
Bei Klatsch und Tratsch redet man über jemanden, den beide Gesprächspartner kennen. Beim Promi-Klatsch, einer Sonderform, werden Berühmtheiten wie Bekannte behandelt.
Entscheidende Absicht
Tratsch kann laut Peinemann auch dazu dienen, Beziehungen zu knüpfen oder enger zu gestalten. Grübelt man über Klatsch, der emotional bewegt oder sogar ärgert, kann es aus psychologischer Sicht gesund sein, durch Tratschen gewissermaßen Dampf abzulassen. "Indem wir den Tratsch mit anderen teilen, kann sich unser Stresssystem nach unten regulieren und wir beruhigen uns", sagt Peinemann.
Hat das Lästern nur noch das Ziel, einer anderen Person zu schaden, wird die Grenze zum Mobbing überschritten. "Gefährlich wird es aus meiner Sicht, wenn unwahrer oder ehrverletzender Tratsch Dimensionen annimmt, die derjenige, über den getratscht wird, nicht mehr beherrschen kann", sagt Peinemann. Besonders schlimm sei dies, wenn es sich hierbei um Kinder oder Jugendliche handelt. "Wenn schwerst beleidigende Unwahrheiten als Klatsch verbreitet werden, beispielsweise über soziale Medien, kann das lang anhaltende psychische Probleme verursachen. Heranwachsende sind in dieser Hinsicht sehr sensibel und dazu noch unsicher in ihrem Selbstwert."
Ein Lichtblick: Die Psychologen der University of California durchleuchteten in ihrer Studie auch den Inhalt des Klatsches. Es zeigte sich: Nur 15 Prozent der analysierten Gespräche waren abwertender Natur. Die meisten "Lästerer" haben außerdem nicht Rufschädigung oder Verrat im Sinn. Laut niederländischen Forschungen geht es dabei hauptsächlich um Informationsaustausch und darum, seine Meinungen mit anderen abzugleichen. "Klatsch und Tratsch stellen in diesem Sinn in vielerlei Hinsicht eine Art soziales Schmiermittel dar", erklärt Peinemann – und fügt hinzu: "Vielleicht ist Klatsch als gesellschaftlich verbindendes Element in Zeiten der Digitalisierung wichtiger denn je."
Das Beziehungsleben der Kollegen, der Garten der Nachbarin, der Kleidungsstil des Chefs: Menschen lieben es, hinter dem Rücken anderer zu plaudern. Was dabei im Gehirn passiert, haben Neurowissenschafter erforscht. In ihrer Studie beschrieben Experten der chinesischen Shenzhen Universität und des US-amerikanischen Bridgewater College 2015 im Fachblatt Social Neuroscience, dass Gossip die Großhirnrinde anregt.
Interessante Einblicke
Für die Erhebung analysierten sie mit bildgebenden Verfahren die Gehirnaktivität männlicher und weiblicher Probanden – während diese positivem und negativem Gossip über sich selbst, enge Freunde und prominente Persönlichkeiten lauschten. Bei Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die (wohlwollenden wie abwertenden) Klatsch über sich selbst sowie allgemein unschönen Gossip hörten, zeigte sich eine verstärkte Aktivität im präfrontalen Cortex. Ohne funktionierenden präfrontalen Cortex ist der Mensch nicht der, der er ist: Er ist maßgeblich an der Steuerung unseres Verhaltens beteiligt – etwa, wie wir uns in Gesellschaft richtig benehmen, uns sozial adäquat verhalten und organisieren. Die Forscher interpretierten die Aktivität in dieser Hirnregion dahingehend, dass die Probandinnen und Probanden ihr Verhalten am Klatsch orientieren. Den Autoren zufolge könnte dies mit dem menschlichen Bestreben zusammenhängen, von anderen positiv gesehen zu werden und sozial angepasst zu agieren. Unabhängig davon, ob dies widerspiegelt, was wir tatsächlich fühlen.
Neben dem Hirn interessierte die Forscher auch die Gefühlswelt der Teilnehmer. Wenig überraschend gaben diese in einer Befragung an, erfreut über positives Geschwätz über ihre Person zu sein – und verärgert, wenn sie Negatives über sich selbst hörten. Spannendes zeigte sich in puncto Promi-Klatsch: Vor allem klassische Celebrity-Skandale ließen Dopamin ins Belohnungszentrum schießen – die Männer und Frauen empfanden den Gossip als befriedigend und beglückend.
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