Zu späterer Stunde hatten sich viele um die „Feuerstelle“ Twitter versammelt, um im Kurznachrichtendienst ihre Erfahrungen auszutauschen und über die Situation zu witzeln. „Dieses #InstagramDown war sehr befreiend. Ernsthaft“, schrieb der Moderator Jan Köppen gestern Früh, als alles wieder beim Alten war. Die Autorin Alison Hammond twitterte: „Hat es noch jemand genossen, keine sozialen Medien zu haben?“ Die Reaktionen auf ihre Frage waren eindeutig.
War das erzwungene „Digital Detox“ nach langem, pandemiebedingtem Smartphone-Wahnsinn ein Geschenk des Himmels? Die Klinische und Gesundheitspsychologin Christina Beran hat ihre Social-Media-Nutzung schon lange eingeschränkt, „weil die sozialen Medien mit ihrer Reizüberflutung aus Sicht des Gehirns Energiefresser sind“, wie sie sagt. Vom fast siebenstündigen Blackout hat sie daher zuerst nichts mitbekommen.
„Dann habe ich auf Twitter gesehen, dass viele Menschen erleichtert waren. Es wurde ein Raum frei, in dem einmal kollektiv durchgeatmet wurde. Andererseits hatte das Ganze eine gewisse ,Entzugsanmutung’.“ Dazu gehöre, dass man häufig mit innerer Unruhe zum Handy greift und kontrolliert, ob es wieder funktioniert, sowie Unwohlsein und ein Gefühl von Leere.
Seit Jahren ist bekannt, mit welchen Tricks die Social-Media-Giganten arbeiten, um Suchtpotenzial aufzubauen und ihre Nutzer einem Belohnungsmechanismus auszusetzen. Um Dopamin auszuschütten, braucht es immer neue Reize, weshalb man stundenlang in den Kanälen hängt. „Erst, wenn der Kopf frei ist – und das war gestern der Fall –, kann ich mein Bedürfnis nach Ruhe erkennen“, sagt Beran.
Ob die Welt ohne Facebook eine bessere wäre, wird nicht erst seit der Corona-Pandemie intensiv debattiert. Auch am Montag dauerte es nicht lange, bis ein möglicher demokratiepolitischer Effekt des Ausfalls zur Sprache kam: Nun, da keine Verschwörungsmärchen mehr die Runde machen könnten, würde die Impfquote in die Höhe schnellen, scherzten Twitter-User. Schon beim letzten, kürzeren Facebook-Blackout zeigte sich, dass die Menschen sofort wieder klassische News-Portale aufsuchen, wenn die sozialen Medien wegfallen.
Die Was-Wäre-Wenn-Frage ist müßig, denn weder Facebook noch Instagram – und nicht einmal Whatsapp, das zuletzt mit Datenschutzproblemen in Verruf geriet – werden so schnell (dauerhaft) aus dem Kommunikationsalltag verschwinden. Bleibt die Frage: Wenn vielen Menschen eine abendliche Social-Media-Auszeit so guttut – warum machen sie es dann nicht auf eigene Faust, unabhängig von der Server-Leistung im Silicon Valley?
„Es fällt uns leichter, wenn nicht wir diese Entscheidung treffen müssen, sondern die Strukturen dafür vorhanden sind. Dann müssen wir uns nicht rechtfertigen“, erklärt Beran, die auch Arbeitspsychologin ist. Ähnlich wie beim ersten Lockdown hat man nicht das Gefühl, etwas zu verpassen, weil der Kontext für alle gleich ist. „Darum macht es auch Sinn, wenn der Arbeitgeber vorgibt, dass ab einer bestimmten Uhrzeit keine eMails mehr geschickt werden dürfen.“
Im privaten Rahmen könnte das funktionieren, indem sich eine Gruppe von Freunden (oder Eltern ...) darauf einigt, abends keine Nachrichten zu verschicken. „Es wäre fein, wenn dieser Raum für das Bedürfnis nach mehr Ruhe, die wir zur Verarbeitung der vielen Reize benötigen, offen bliebe“, resümiert die Psychologin.
Wie schnell man trotz guter Vorsätze in alte Routinen kippt, wurde am Dienstagmorgen rasch sichtbar: Kaum waren die Netzwerke repariert, drehte sich das digitale Hamsterrad wieder weiter. Die Whatsapp-Gruppen glühten, auf Facebook und Instagram wurde wieder geliked und gepostet.
Mark Zuckerberg wird nun alles daran setzen, dass so schnell keine globale „himmlische Ruhe“ mehr aufkommt. Für diese sind wir schon ganz alleine verantwortlich.
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