Facebook-Pioniere warnen vor Social Media

Gebannt
Ex-Präsident von Facebook Sean Parker: "Soziale Netzwerke nutzen Schwächen der menschlichen Psyche" -

Kein Mensch weiß, was Facebook mit den Gehirnen unserer Kinder macht. Soziale Medien sind darauf angelegt, die Schwächen der menschlichen Psyche auszunutzen. Der Urheber dieser Zeilen weiß, wovon er spricht: Sean Parker war Präsident von Facebook, dem größten sozialen Netzwerk (siehe mehr unten).

Die Erfinder hätten alles darauf angelegt, damit die Nutzer möglichst viel Zeit auf den Seiten verbringen. "Es ändert euren Umgang mit der Gesellschaft und untereinander", so Parker. Belohnt würden die Mitglieder durch Reaktionen anderer User – ein Kreislauf der sozialen Bestätigung.

Das Suchtpotenzial kennt Kurosch Yazdi, Psychiater an der Kepler-Uni Linz. "Die Jugendlichen haben das Gefühl, da draußen interessiert sich jemand für sie. Besonders Menschen, die Schwierigkeiten haben, hoffen so, ihrer Einsamkeit zu entkommen. Jeder Klick ist eine Selbstbestätigung – so werden sie süchtig nach virtueller Anerkennung."

Im Dopaminrausch

Für den täglichen Dopamin-Kick – der Botenstoff wird ausgeschüttet, wenn wir Vorfreude empfinden – färbte Facebook die Anzahl der Benachrichtigungen in leuchtendes Rot. Twitter hat Gerüchten zufolge die Zeitspanne, in der die Seite neu geladen wird, künstlich verlängert, um die Spannung noch weiter zu steigern.

Doch Yazdi warnt: Virtuelle Anerkennung ersetzt keine Freundschaft. Im Gegenteil, wie ein Beispiel zeigt: "Als eine Schülerin zwei Wochen lang im Spital lag und kein Internet hatte, hatten sich 95 Prozent ihrer Facebook-Freunde verabschiedet, weil sie auf Anfragen nicht reagiert hatte."

Um Freunde zu gewinnen, seien Fertigkeiten wie Teamfähigkeit gefragt, die man im Netz nicht lernt. Auch analytisches Denken, Selbstmotivation oder die Fähigkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, seien Voraussetzung für privaten und beruflichen Erfolg. Soziale Medien würden hingegen Oberflächlichkeit, Radikalisierung oder Narzissmus fördern, meint Yazdi, Autor des Buches „Junkies wie wir“.

Asoziale Wesen

Müssen wir also um die Zukunft fürchten, weil nur noch unkonzentrierte, unsoziale Menschen aufwachsen? Und werden wir wirklich alle süchtig nach Anerkennung in den sozialen Medien? Thomas Elbert, Verhaltensneurowissenschaftler an der Uni Konstanz, sieht keinen Anlass zur Sorge: "Mit dem Internet und den sozialen Medien schaffen wir uns eine neue Umwelt. Das Gehirn ist enorm plastisch und kann sich auch an völlig neue Umgebungen anpassen – zumal, wenn sie von uns selbst geschaffen worden sind." Konkret heißt das: Die nächste Generation wird zwar manches weniger gut können, weil diese Fähigkeiten nicht mehr gefragt sein werden, anderes beherrscht sie dann dafür umso besser.

So ist es für Jugendliche z. B. ein Leichtes, sich physisch an einem Ort aufzuhalten und gleichzeitig in der Vorstellung bei Freunden zu sein. "Das Internet bringt eine Flut an Informationen, die das Hirn ,scannen’– also aussortieren – und damit zumindest oberflächlich verarbeiten muss. Das hat Folgen: Diese Spezialisierung führt zu einer Änderung im Gehirn, wo sich in bestimmten Arealen stärkere Vernetzungen bilden, während andere nicht entwickelt werden."

Dass soziale Medien süchtig machen, sieht er nur bedingt: "Es braucht immer wieder neue Reize, damit Dopamin ausgeschüttet wird. Erhalten Sie die erste Banane , freuen Sie sich riesig, später sind Sie vielleicht davon genervt. Bei sozialen Medien ist das nicht anders. Die können auch langweilig werden."

Mutmaßungen

Die nächste Generation wird eine Welt ohne soziale Medien nicht mehr kennen. Über die Auswirkungen können Wissenschaftler wie Philipp Ikrath (Institut für Jugendkulturforschung) nur mutmaßen. Eine Folge: Viele können die Aufmerksamkeit nicht mehr auf eine Sache richten. Sie holen sich zwar viele Informationen, gehen dabei aber nicht in die Tiefe und werden schnell unkonzentriert.

Ikrath glaubt, dass eine Gegenbewegung eintreten wird: "Kinder wachsen heute mit den Schattenseiten auf. Sie spüren, wenn die Eltern nur am Handy hängen." Dies könnte dazu führen, dass sie ein distanzierteres Verhältnis zu Smartphones entwickeln. Anders ist das bei den heute 15- bis 30-Jährigen, die im Glauben aufwuchsen, dass durchs Internet alles besser wird. "Sie träumen geradezu von digitalen Diäten, weil sie abhängig sind. Doch man muss sie zu ihrem Glück zwingen, von alleine schaffen es die wenigsten."

In den Himmel

Auch Julia Fodor, 27, wuchs das permanente Online-Sein über den Kopf – sie verordnete sich eine mehrwöchige Auszeit. Nicht einfach, zumal sie beruflich im Netz unterwegs ist. "Der erste Griff in der Früh war immer nach dem Handy. Dabei sind die sozialen Medien nicht produktiv – man beschäftigt sich permanent mit dem Leben anderer." Die ersten Tage seien hart gewesen, wie ein Entzug. Dann, schön langsam, kamen positive Seiten zum Vorschein: "Es gibt jetzt wieder Momente, in denen ich einfach nur dasitze und in den Himmel schaue."

Es sind überraschend (selbst-) kritische Worte, die Sean Parker, Erfinder der Musik-Tauschbörse Napster und früher Investor von Facebook, bei einer Veranstaltung in Philadelphia an die Öffentlichkeit richtete. Doch Parker ist nicht der einzige Internet-Insider, der sich kürzlich gegen jenes Business aussprach, das ihn schwerreich gemacht hat.
Justin Rosenstein, Erfinder des berühmt gewordenen „Like“-Button, erklärte dem britischen Guardian, warum er seine Idee heute bereut. Der „Daumen nach oben“ sei ursprünglich dafür gedacht gewesen, mit einem Klick etwas positive Energie zu verbreiten. Stattdessen habe er eine „Wirtschaft der Aufmerksamkeit“ erschaffen und sei mitverantwortlich, dass sich User nicht mehr auf eine Sache konzentrieren können: „Jeder ist abgelenkt, die ganze Zeit.“

Manipuliert

Auch Tristan Harris, einstiger Produktmanager bei Google, kritisiert die Praktiken im Silicon Valley. Eine Handvoll Menschen in einer Handvoll Unternehmen würden demnach beeinflussen, was Milliarden Menschen weltweit denken. „Unsere Entscheidungen sind nicht so frei, wie wir glauben.“
Einer der Gründe, warum Social-Media-Apps abhängig machen, ist der sogenannte „Pull-to-refresh“-Mechanismus – also das Herunterziehen, damit die Seite aktualisiert wird. „Das macht süchtig, und das ist nicht gut“, sagt der Erfinder Loren Brichter heute über seine technische Innovation, für die er in der Branche viel Bewunderung bekommen hat. Er habe viele Stunden nachgedacht, ob das, was er erfunden hat, irgendwelche positiven Auswirkungen auf die Gesellschaft habe. „Damals war ich nicht reif genug, um über die Schattenseiten nachzudenken“, sagt Brichter.
Mittlerweile habe er zwei Kinder und bereue jede Minute, in der er ihnen zu wenig Aufmerksamkeit schenke, weil ihn das Smartphone zu sehr in Beschlag nehme.

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