Ein Blick in den Spiegel: Da ist er, dieser Mensch, an den man sich gewöhnt hat. Die Frau, der Mann – ein sexuelles Wesen. Aber ist dieses Wesen auch tatsächlich so, wie es wirklich gemeint war? Hinschauen: Da steht er, dieser Typ in engen Jeans, elastisch in der Lende, Linksträger, enges Shirt, heftige Muskelgruppen. Ein Toyboy wie aus dem Herrenkatalog, einer, der nie weinen würde, mit einem Präzisionswerkzeug in der Hose. Was ist dahinter, darunter? Und da – die dramatisch geschminkte Mittdreißigerin, die ihr Wangenrot mit Concealer zukleistert, wie unsereins Flecken an der Wohnzimmerwand. Die den Bauch einzieht, sich leider keine Brustvergrößerung leisten kann und auch ja zu Sex sagt, wenn sie in sich ein Nein spürt. Wer ist sie, wonach sehnt sie sich, was braucht sie?
Viel zu oft folgen Menschen irgendwelchen Ideen von sich selbst – zusammengeschustert aus Glaubenssätzen, Normen, unter dem Druck der Sozialisierung. Irgendwann, eines Tages, die niederschmetternde Erkenntnis: Das war niemals ich! Stattdessen immer nur das, was man dachte, sein zu müssen. Da ist etwas Nicht-Erfassbares in dieser Person. Und eine Leere, die mit einem sexuellen Skript kompensiert wird, das überhaupt nicht zu diesem Menschen passt. An diesem Punkt ist es Zeit, sich selbst eine Frage zu stellen: Wovon träume ich? Was will ich? Was tut mir gut? Nach welchen Sternen will ich noch greifen? Vor allem aber: Welcher Sex passt zu mir? Und, damit verbunden: Welcher Mensch? Eine Reise beginnt. Und ja – richtig: So manche Antwort darauf mag auf den ersten Blick befremdlich oder womöglich erschreckend ausfallen – vorausgesetzt, der Träumer ist ehrlich zu sich selbst.
Was Sex sein darf - und was nicht
Denn auf einmal verwandelt sich der coole Typ in einen Mann, der sich in sexuell aufgeladenen Visionen mit einem anderen Mann wiederfindet, obwohl er im Freundeskreis als Hengst der Nation gilt. Sich vorzustellen, diesem verinnerlichten Bild nicht mehr entsprechen zu können, zerreißt ihm sein Ego und Herz. Heimlich wird weiter geträumt, mit schlechtem Gewissen, sich selbst verurteilend und unglücklich. Und da ist sie ebenfalls, diese Frau, die sich in ihren Fantasien vorstellt, wie ein Mann ihr die Stiefel leckt, wie sie ihn demütigt und ihm Schmerz zufügt und dabei Lust empfindet. Niemals würde sie auch nur eine Sekunde darüber mit jemandem reden – besser der Norm entsprechen und dabei weniger lebendig bleiben. Warum nur? Weil wir in Grenzen denken, die uns gesetzt werden und die wir uns selbst gesetzt haben. Die Idee dessen, was Sex sein darf (und was nicht), unterliegt nach wie vor rigiden Vorstellungen und Normen. Die meisten Menschen haben deshalb eine verinnerlichte To-do-Liste, wie Begehren stattfinden kann und wie nicht. Ein Konstrukt, das uns eines Tages aufwachen, an unserer Lust und der eigenen Wahrheit zweifeln lässt. Lebendig sind immer nur die anderen. Nun ist der Moment gekommen, um endlich die Grenzen auszuloten und zu entdecken, was gesehen und gelebt werden möchte. Um sich in einen Bereich zu träumen und dem wahren sexuellen Ich nicht mehr im Weg zu stehen. Das individuelle Begehrensprofil von Frauen und Männern ist so einmalig wie ein Fingerabdruck. Je mehr jemand darüber weiß, seine Sehnsüchte erkundet und seinen Fantasien traut, desto mehr Konturen bekommt dieses sexuelle Profil. Der Mensch ist endlich wie er ist und kann alles tun, um Eros zu entfalten: die Lebenskraft. Das wiederum ist die beste Voraussetzung für wunderbaren Sex mit wunderbaren Partnerinnen und Partnern – jenseits von „richtig“ oder „falsch“.
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