Paarweise Premiere
Starthilfe bekommt der 25-Jährige in der neu auf Netflix erschienenen Doku-Serie "Love on the Spectrum" ("Liebe im Spektrum"; Anspielung auf diagnostischen Begriff Autismus-Spektrum-Störung). Zusammen mit anderen autistischen Männern und Frauen stellt er sich darin der unberechenbaren Datingwelt. Wie Michael erzählen auch die übrigen Teilnehmer von unerfüllten Liebeshoffnungen.
"Manche Menschen möchten sich nicht mit jemandem verabreden, der eine Behinderung hat", sagt Kevin, der sich das Verliebtsein "wie ein Märchen" vorstellt. "Ich bin eine Weile mit einem Typ ausgegangen. Als ich ihm sagte, dass ich Autistin bin, hat er mich verlasse", erinnert sich Chloe, die auf beide Geschlechter steht.
Was bei den Geschichten der Liebessuchenden auffällt: Sie handeln von Enttäuschung, Zurückweisungen und Kränkungen – aber auch von Zuversicht, Enthusiasmus und formvollendeten Vorstellungen von Liebe. "Autistisches Erleben ist enorm vielfältig", sagt Clemens Engelhardt, Pädagogischer Leiter des Autistenzentrums Arche Noah. "Autisten eint, dass sie Schwierigkeiten haben, sich durch zwischenmenschliche Interaktionen zu navigieren. Das bedeutet nicht, dass sie nicht empathisch sein können, obwohl ihnen das oft abgesprochen wird. Es fällt ihnen bloß schwerer, sich auf ein Gegenüber einzustellen."
Grenze zum Voyeurismus
Autisten können soziale Regeln und nonverbale Kommunikation weniger gut deuten. Überraschungen und unvorhersehbare Situationen verursachen enormen Stress, der über das übliche Maß hinausgeht, weshalb man beim Date mit einer autistischen Person besonders darauf achten sollte, Dinge direkt anzusprechen, schildert Marlies Hübner. Die 36-Jährige, die mit 27 die Diagnose Autismus erhielt und darüber den Roman "Verstörungstheorien" geschrieben hat, sieht die Show kritisch. Auf ihrem Blog robotinabox.de hat sie einen Beitrag dazu verfasst.
"Im Sinne der Inklusion wäre es ratsamer, autistische Menschen und Menschen mit anderen Behinderungen gleichberechtigt neben Nichtbehinderten zu zeigen", sagt sie. "Autismus hat noch immer einen geringen Anteil in popkulturellen Medien und es ist schwer abzuschätzen, ob sich Menschen 'Liebe im Spektrum' aus ehrlichem Interesse oder Voyeurismus heraus ansehen. Im Idealfall kann die Serie dazu beitragen, über Autismus aufzuklären." Mit einem autistischen Menschen erlebe man „eine intensivere Kommunikation. Man plant detailreicher, informiert sich umfassender über alles, was man vorhat, findet Alternativen und Kompromisse“.
"Es ist perfekt"
Dass Zweisamkeit für Autisten kein unerreichbares Ideal sein muss, zeigt die Geschichte von Sharnae und Jimmy. Das in der Serie porträtierte Paar lernte sich vor drei Jahren kennen und lieben. Jimmy wusste damals nicht, dass er Autist ist. "Ich wusste nur, dass ich anders bin – und dass Sharnae mir ähnlich ist." Vor Kurzem sind die beiden zusammen in ein kleines Haus gezogen. "Es ist perfekt", schwärmt Sharnae, "wir sind füreinander gemacht". Sich auf jemanden einzulassen, der ähnlich tickt, ist für Autisten oft einfacher, schildert Engelhardt.
Doch auch Beziehungen zwischen Autisten und Nicht-Autisten können glücken: "Da braucht es dann noch eine Portion mehr Einfühlungsvermögen."
Michael ist zuversichtlich: "Autismus ist nur eine neurologische Behinderung. Wir lernen Dinge anders als andere Menschen. Für mich ist es eigentlich ein Geschenk." Ein Geschenk, das ihn "zu einem Premium-Partner" macht.
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