Wenn der Sohn Autismus hat
An jedem zweiten Sonntag bekommt sie Besuch – von ihrem Sohn. Am Nachmittag trinkt sie mit ihm Kaffee, dazu gibt es immer Süßes. Fix ist auch der Spaziergang, außer es schüttet draußen. Dann spielen Mutter und Sohn gemeinsam Domino.
So weit, so gut, so friedlich. Die in Vorarlberg lebende Autorin Monika Karner gibt aber auch ganz offen zu, dass sie an diesen Sonntagnachmittagen ständig unter Strom steht. Bevor sie etwa kurz auf die Toilette geht, versperrt sie sicherheitshalber ihre Türen. Wohlweislich: "Damit er nicht wieder eine Seifenlösung trinkt oder zur Nachbarin geht und dort die ganzen Süßigkeiten und dazu den Sekt vernichtet."
Die ehemalige ORF-Journalistin hat ihre Lebenserfahrungen in einem berührenden Roman verarbeitet, der vor Kurzem erschienen ist.
Seit 31 Jahren wohnt ihr autistischer Sohn in einer nahe gelegenen Einrichtung der Vorarlberger Lebenshilfe. Und er arbeitet auch in einer Einrichtung der Lebenshilfe. Quasi in einem geschlossenen Kreislauf. Die tägliche Routine hat auch ihr Gutes: "Sie gibt ihm Sicherheit", weiß Monika Karner.
Alleine zu zweit
Nicht nur aus ihrem Buch lässt sich herauslesen, dass sie ihren Sohn über alles liebt. Seit seiner Geburt vor 51 Jahren kämpft Karner für sein Wohlergehen. Ruhelos, pausenlos, aber auch sehr oft auf verlorenem Posten.
Den Vater ihres Sohnes musste sie früh verlassen: "Weil er mit der Beeinträchtigung der Familie nicht fertig wurde." Die Ärzte ihres Sohnes haben ihn bis zu dessen 40. Lebensjahr als geistig behindert eingestuft. "Erst vor wenigen Jahren wurde sein Status richtig diagnostiziert."
Doch die auf sich allein gestellte Mutter will niemandem Vorwürfe machen. Anderes tut ihr weh: "Was für mich so bitter ist: Hätte ich ihn später geboren, hätte er viel mehr Chancen gehabt."
Jahrelang sei sie mit ihrem Sohn in die Schweiz und nach Deutschland gefahren, weil es in Österreich keine Einrichtungen zur Förderung von geistig beeinträchtigten Kindern gab. In ihrer Erinnerung klingt das so: "Es konnte mir damals niemand sagen, wie ich mit meinem Sohn umgehen soll."
Dass ihr Bub in einem Heim in der Schweiz auch missbraucht wurde, wie sehr muss das eine Frau schmerzen, die seit fünf Jahrzehnten ihr Leben bedingungslos den Bedürfnissen ihres Kindes unterordnet? Die Mutter tut sich leichter, das Erlebte auf Papier zu bringen als darüber zu reden. Nach einigem Ringen sagt sie: "Es gab viele Katastrophen in seinem Leben, diese war die größte."
Der Blick zurück bereitet wenig Freude. Zum Einwand, dass sie vieles im Leben nach besten Wissen und Gewissen geschafft hat, dass sie auch als ehrenamtliche Mitstreiterin des Vereins Autistenhilfe Vorarlberg viel persönliche Zeit investiert hat, dass sich aber gesellschaftliche Rahmenbedingungen nur schwer verändern lassen, meint sie: "Ich kann im Rückblick nur sagen: Wir Mütter bestehen in erster Linie aus Vorwürfen." Ihr Buch kann somit auch als Plädoyer für andere aufopfernd lebende Frauen gelesen werden.
Immerhin haben Monika Karner und andere Mütter erwirkt, dass die Mitarbeiter der Vorarlberger Lebenshilfe heute eine spezielle Schulung für den Umgang mit autistischen Klienten bekommen. Und dass eine spezielle Form der Kommunikation mithilfe von Symbol-Karten eingeführt wurde.
In ihrem Buch beschreibt Monika Karner auch, dass Mütter von autistischen Kindern oft auf sich allein gestellt sind. Die Väter ihrer Kinder haben sich verabschiedet, und die Suche nach einem verständnisvollen Partner ist oft frustrierend. Die Autorin hatte Glück. Sie lebt seit vielen Jahren mit einem ehemaligen Kollegen zusammen, in getrennten Haushalten, was sich durchaus bewährt hat. "Auch meine Tochter hilft mir, wann immer sie kann."
Für immer verbunden
Das Leben hat sie all die Jahre gut zusammengeschweißt. Im Buch, das sie ihrem Sohn gewidmet hat, schreibt Monika Karner: "Seit seinem ersten Schrei bin ich untrennbar mit ihm verbunden. Ist er bei mir, steht die Welt still. Niemand, kein Gott, kein Mann kann die Nabelschnur durchtrennen. Das Problem ist die Liebe."
Im Interview fügt sie noch hinzu: "Ich bin die einzige Konstante in seinem Leben."
Die Autorin
Monika Karner, 1943 in Tulln an der Donau geboren, ist Mutter zweier Kinder. Sie hat bis 2003 als Redakteurin gearbeitet.
Um den Kontakt zu ihrem Sohn aufrechtzuerhalten, ist sie jahrelang zwischen ihren beiden Arbeitsplätzen in Wien und Vorarlberg gependelt.
Das Buch
Der Roman „Nur zu zweit“ (im Verlag Braumüller erschienen, 272 Seiten, 18 Euro) trägt zum Teil autobiografische Züge: Eine Frau verlässt ihren Mann, weil dieser seinen Frust über die Beeinträchtigung seines Sohnes mit Alkohol bekämpft. Harter Lesestoff, leicht zu lesen.
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