Kinder, Küche und Corona: Das neue alte Mutterbild
Es war in der zweiten oder dritten Corona-Woche, als Jakob einen Englisch-Aufsatz schreiben musste: Wie läuft der neue Alltag, was tut sich zu Hause? "Papa arbeitet", notierte der Zwölfjährige wahrheitsgemäß, "und Mama macht Yoga". Als seine Mutter einen Blick auf die Aufgabe warf, wusste sie nicht, ob sie weinen oder lachen sollte: Yoga? Alles, was sie seit Wochen tat, war unterrichten, Kinder bespaßen, kochen, wegräumen, wäschewaschen, maskennähen und (Schwieger-) Eltern versorgen. An besagte Yoga-Einheit konnte sie sich nicht einmal mehr erinnern.
Am Muttertag ist in diesem Jahr vieles anders: Selbst emanzipierte Paare kippen im Ausnahmezustand schneller in alte Rollen, als sie "Covid" sagen können. "Ich fühle mich wie eine Fünfzigerjahre-Hausfrau", klagt die Mutter einer Vierjährigen. Oma und Opa fallen aus, in ihrem Heimatort gelte "als Exot", wer das Kind in den Kindergarten gibt. "Am Anfang haben mein Mann und ich heftig gestritten, wer am Vormittag ,in Ruhe’ Homeoffice machen darf. Er muss Gehälter zahlen, da war rasch klar, wessen Arbeit wichtiger ist. Natürlich spielt er mit der Kleinen, werkt mit ihr im Garten. Aber der Haushalt bleibt an mir hängen."
Zufriedenheit sinkt
Dass die Arbeit von zu Hause bei heterosexuellen Paaren wenig an der Zuständigkeit für Kinderbetreuung ändert, legte diese Woche eine Studie des SORA-Instituts unter Eltern nahe: 64 Prozent der Väter, die parallel zum Homeoffice die Kinder betreuen, stehen 75 Prozent der Mütter gegenüber. Insgesamt, also mit oder ohne Homeoffice, tragen nur 23 Prozent der Männer die Hauptverantwortung für den Nachwuchs. Die Mehrfachbelastung bewirkt, dass die Zufriedenheit der Frauen stärker sinkt als die der Männer, wie das "Corona-Panel" der Universität Wien Ende April zeigte. Am drastischsten formulierte es die britische Journalistin Helen Lewis im Atlantic: Die Corona-Krise sei "ein Desaster für den Feminismus".
Dass die Hausarbeit gerecht verteilt sein soll, darüber herrscht mittlerweile Konsens. In der Praxis ist das Modell "Vater Vollzeit, Mutter Teilzeit" (47 Prozent der Frauen und 10 Prozent der Männer waren 2019 teilzeitbeschäftigt), bei dem die Frau den Großteil der unbezahlten Arbeit übernimmt, nach wie vor Standard. "Dieses Muster verschärft sich, da Entlastungsmöglichkeiten bezüglich der unbezahlten Arbeit – Kinderbetreuung, Haushaltshilfe, Kantine – wegfallen", analysiert Sabine Buchebner-Ferstl vom Institut für Familienforschung (ÖIF). In Krisen streben Menschen nach Vereinfachung und orientieren sich an Bewährtem. "Die Situation an sich ist schon Herausforderung genug, da erscheint nichts nahe liegender, als dass die Person, ,die das besser kann’, die Waschmaschine bedient und das Essen zubereitet."
Systemerhalterinnen
Auch im Homeoffice werkt nicht jede(r) gleich, zeigen Studien: Frauen würden die gewonnene Zeit eher in den Nachwuchs investieren, während sie Männer für karrieredienliche Mehrarbeit nutzen. "Der typische Homeofficler sperrt sich im Arbeitszimmer ein und setzt sich zu Mittag an den gedeckten Tisch, während die typische Homeoffice-Mutter zwischen Arbeit, Haushalt und Kinderbetreuung im Quadrat hüpft", skizziert die Psychologin.
Anders gestaltet sich die Situation dort, wo die Mutter als ,Systemerhalterin’ – im Einzelhandel, in der Pflege oder im Spital – weiterhin außer Haus und der Mann im Homeoffice arbeitet. Hier tut sich ein anderes Problem auf – diese überwiegend weiblichen, gesellschaftsrelevanten Berufsgruppen werden zwar seit Wochen beklatscht, sind aber tendenziell unterbezahlt.
"Auf Familien vergessen"
Corona hätte gezeigt, wie konservativ und anti-emanzipatorisch Gesellschaften sind, ereifert sich die Philosophin Lisz Hirn, deren Streitschrift "Geht’s noch! Warum die konservative Wende für Frauen gefährlich ist" vor einem Jahr erschienen ist. "Nicht nur sind es Frauen, die das System am Laufen halten, Gesellschaft und Politik erachten es auch noch als selbstverständlich, dass Frauen Aufgaben wie Homeschooling hauptverantwortlich übernehmen. Das offizielle Krisenmanagement übernehmen freilich andere: hauptsächlich Männer." Auch in der ,neuen Normalität’ baue das System auf weibliche Opferbereitschaft: "Wer, wenn nicht sie, arbeitet gratis rund um die Uhr als Fürsorgearbeiterin und lässt sich auch noch als Ersatzlehrkraft verpflichten?"
Das Corona-Resümee der eingangs erwähnten Mädchen-Mutter fällt ernüchternd aus: "Ich habe das Gefühl, man hat auf die Familien vergessen." Alleine ist sie mit diesem Vorwurf nicht: Unter dem Hashtag #Coronaeltern haben in den vergangenen Wochen Tausende Mütter und Väter ihrer Überforderung auf Twitter Luft gemacht. Die Elternrevolte erhöhte den Druck auf die Politik, Kindergärten und Schulen bald wieder zu öffnen.
Ohne Teilzeit-Erwerbstätigkeit für beide Elternteile werde es auch post Corona keine Gleichverteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit geben, betont Buchebner-Ferstl. Wenn es aber stimmt, dass diese Krise auch eine Chance ist und Probleme sichtbar macht – dann gehören die Fünfzigerjahre vielleicht schon bald der Vergangenheit an.
Die "Wiveys" von Instagram: Freiwillig zurück an den Herd
Im Paralleluniversum Instagram ist die Kurzbeschreibung im Profil, im Fachjargon "Bio" genannt, so etwas wie die virtuelle Visitenkarte. Was dort steht, definiert, wen oder was man im Social-Media-Kosmos darstellen möchte – Vielreisender? Fitnessjunkie? Künstlerin?
Immer mehr junge Frauen – 159 Millionen der 25- bis 34-jährigen Insta-Nutzer sind weiblich – bezeichnen sich ebendort stolz als "Wifey" (eine kecke Abwandlung vom englischen wife – Ehefrau) oder "Mum to be" (werdende Mama). Auf ihren Fotos schieben sie zuckerfreie Hafercookies ins Rohr, posieren mit den Kindern in farblich harmonischen Outfits und schreiben Liebeserklärungen an den starken Mann an ihrer Seite. Sie sehen sich nicht als Anti-Feministinnen, sondern finden Erfüllung im selbst gewählten Vollzeitjob als Mutter und Hausfrau.
In den USA hat man für den Trend bereits einen Namen gefunden: Tradwives, eine Mischung aus traditional (traditionell) und wives (Ehefrauen), zelebrieren die Rückbesinnung auf alte Werte und garnieren ihre sorgsam inszenierten Heile-Welt-Bilder mit Sprüchen à la "A woman’s place is at home". Als Vorreiterin gilt die 34-jährige Bloggerin Alena Kate Pettitt, die Anfang des Jahres im britischen Frühstücksfernsehen erklärte, wie gern sie ihren Mann in bester Fünfzigerjahremanier verwöhne. Hinter der Idylle verbirgt sich eine politische Botschaft, warnen Feministinnen: Die Tradwife-Bewegung sei ein Instrument der Neuen Rechten in den USA, um jungen Frauen ein patriarchales Weltbild schmackhaft zu machen, war jüngst in der New York Times zu lesen.
Auch fern von politischen Einflüssen dominiert im Social Web seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen häusliche Idylle in Form von Sauerteigbrot und Selfmade-Masken. Aus historischer Sicht verständlich, erläutert die Psychologin Sabine Buchebner-Ferstl: "Die Romantisierung des Häuslichen ist eine typische Krisenreaktion, wenn auch historisch gesehen eher im Rückblick. Das Biedermeier entwickelte sich, als sich Europa von dem Schrecken erholte, den Napoleon über den Kontinent gebracht hatte. Auf den Zweiten Weltkrieg folgten die in frauenpolitischer Hinsicht berüchtigten 50er-Jahre."
Es mache in so einer Phase natürlich Sinn, Tätigkeiten wie Brotbacken wieder zu entdecken und zu praktizieren. "Als fragwürdig ist aber die geschlechtsspezifische Komponente zu betrachten, die meist mittransportiert wird – wenn also die Mutter als hauptsächliche oder alleinige Repräsentantin dieser unbezahlten häuslichen Tätigkeiten fungiert, deren Wert nun wieder entdeckt wird."
Zum Teil handle es sich um eine Abwandlung des altbekannten Ideals der Mutter, die problemlos und stets gut gelaunt alle ihr zugedachten Rollen meistert, sagt die Psychologin. Ein Bild, das für den Großteil der Frauen derzeit völlig realitätsfern sei. In den sozialen Medien fordern und zeigen daher immer mehr Mamas #MehrRealitätaufInstagram – eine Gegenbewegung zum Tradwife-Trend.
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