Trinken für die Forschung
Um den Effekt der Substanz zu testen, wurden 19 gesunde männliche Probanden rekrutiert – Erfahrungen mit Katersymptomen waren Teilnahmevoraussetzung, die Studie wurde vorab von einer Ethikkommission geprüft – und in zwei Gruppen geteilt: Die eine erhielt ein mit L-Cystein versetztes Vitaminpräparat, die andere schluckte eine wirkungslose Placebo-Pille.
Auf die Tabletteneinnahme folgte der testweise Alkoholkonsum: Dabei wurde Flüssigkeit gereicht, die jeweils einen Alkoholgehalt von 1,5 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht hatte und binnen drei Stunden getrunken werden sollte. Man ließ den Alkohol seine Wirkung tun, morgens zeigte sich: L-Cystein konnte Katerbeschwerden wie Übelkeit, Kopfschmerzen oder Angstgefühle abschwächen oder gar verhindern.
Doch was ist L-Cystein überhaupt – und welche Funktion erfüllt es im Körper? "Es handelt sich dabei um eine semi-essenzielle Aminosäure", erklärt Jürgen König, Leiter des Departments für Ernährungswissenschaften der Universität Wien, "was bedeutet, dass sie nur bedingt lebensnotwendig ist und in der Regel in ausreichender Menge aus anderen Aminosäuren im Organismus gebildet werden kann". Ohne Aminosäuren können im menschlichen Körper fast keine Prozesse ablaufen. Sie sind etwa an Bildung sämtlicher Zellen beteiligt, auch Antikörper, viele Hormone und Enzyme bestehen daraus.
L-Cystein ist in rohem Lachs, Kuhmilch, Hühnereiern, Walnüssen oder Sonnenblumenkernen enthalten. "Grundsätzlich kommt ein Aminosäure-Mangel selten vor", sagt König. In bestimmten Situationen können semi-essenzielle Aminosäuren unzureichend im Körper hergestellt werden, bei Cystein kann das im Säuglingsalter der Fall sein. Dann muss es verstärkt über Nahrung oder unter Gabe von Ergänzungsmitteln zugeführt werden.
Biochemisch lässt sich die Zuschreibung der finnischen Forscher an L-Cystein durchaus nachvollziehen: "Cystein ist zum Beispiel eine wichtige Vorstufe von Glutathion, das eine wichtige Rolle beim Alkoholabbau spielt."
Leber-Boost
Durch übermäßigen Alkoholkonsum fällt der Glutathion-Spiegel ab, die Leber ist dann nicht mehr voll leistungsfähig und hinterlässt giftige Substanzen im Körper, die unangenehme Nebenwirkungen provozieren – den Kater. "Ziel war offenbar, den Glutathion-Gehalt zu erhöhen, um den Beschwerden damit vorzubeugen", vermutet König.
Er zieht die Aussagekraft dennoch in Zweifel: "Die Stichprobe ist klein und ausschließlich männlich. Daraus auf größere Zusammenhänge zu schließen, halte ich für leichtfertig." Die erhobenen Unterschiede zwischen den Teilnehmern, die das Nahrungsergänzungsmittel verabreicht bekamen, und der Placebo-Gruppe seien zudem nicht gravierend. "Die Effektstärke ist, wenn überhaupt, minimal." Kritisch bewertet er, dass im untersuchten Mittel neben besagter Aminosäure eine Reihe von Vitaminen enthalten war. "Es lässt sich nicht bestimmen, wodurch die Wirkung genau verursacht wurde."
Dass die Vitamine das Zünglein an der Waage gewesen sein könnten, hält er aber ebenfalls für wenig plausibel. "Es gibt alle möglichen Gerüchte, was gegen den Kater helfen soll. Tatsache ist, dass Alkohol eine schädliche Substanz ist, die primär den Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt aus dem Gleichgewicht bringt", sagt König. Ratsam sei, während des Konsums ausreichend alkoholfreie Flüssigkeit zuzuführen – auch tags darauf sollten Flüssigkeitsverluste ausgeglichen werden.
Ein Patentrezept gegen den Kater scheinen die finnischen Forscher nicht entdeckt zu haben. Sie sind auch nicht die Ersten, die sich daran versuchen. So wurden schon Mittel aus Mineral- oder Heilerde oder wasserlösliche Pulver bestehend aus Vitamin C, Zink, Magnesium, Kalium, Grüntee-, Mungbohne- und Brokkoliextrakten entwickelt – ein durchschlagender Erfolg war keines der Mittel.
Eine berauschende Nacht ohne Folgen bleibt eben doch zu schön, um wahr zu sein.
Kommentare