Du hast die Haare schön: Endlich wieder Friseur
Wissen Sie, was Rod Stewart und die Queen gemeinsam haben? Beide haben in den letzten 50 Jahren ihre Frisur fast unverändert beibehalten. Im Fall Ihrer Majestät geht’s um Waschen und Legen, im Falle Stewart um struppige Stacheln. Beides sehr aufwendig, aber wenn man einmal etwas gefunden hat, das zu einem passt, behält man’s eben gerne bei.
Rod Stewart widmet dem Thema Haare in seiner Autobiografie ein ganzes, ausführliches Kapitel. Nachvollziehbar, denn was wir auf dem Kopf tragen, ist Teil unserer Persönlichkeit. Nicht umsonst spricht man von einem "Bad -Hair-Day", wenn es einem insgesamt nicht gut geht. Sitzt die Frisur, sitzt auch der Rest. Das gilt für alle.
Der italienische Präsident Sergio Mattarella zog sich im ersten Lockdown die Sympathie seiner Landsleute zu, als sein Berater ihm vor einem Auftritt zuraunte, er möge eine rebellische Haarsträhne glätten. Der Präsident erklärte: "Eh Giovanni, auch ich gehe nicht mehr zum Friseur." Vor dem Friseur – und vor allem ohne Friseur – sind eben alle gleich.
Verbotene Besuche
Die Erleichterung, als auch die "körpernahe Dienstleistung" Friseur als Teil der Lockdown-Lockerungen angekündigt wurde, war groß. Auch wenn sich möglicherweise nicht alle an das Corona-Friseur-Verbot gehalten haben. Im Lockdown blüht die Schwarzarbeit. "Sehr wahrscheinlich waren viele Leute verbotenerweise beim Friseur. Ich habe selbst einige solche Anfragen bekommen, aber ich habe dafür kein Verständnis. Klar ist die Frisur extrem wichtig für das Wohlbefinden. Aber ich mache so etwas nicht," sagt etwa der Wiener Innenstadt-Friseur Markus Haunschmid. Und rät, etwa bei grauem Haaransatz zu Färbespray aus dem Drogeriemarkt zur Überbrückung bis zum nächsten Friseurbesuch.
Klatsch in Babylon
Haare färben ist eine uralte Geschichte. Schon im alten Ägypten und bei den Mesopotamiern hat man mittels Henna und Indigo seine Haarfarbe verändert.
Aber ein Friseurbesuch ist mehr als Färben, Waschen, Legen, Föhnen. Der Friseur ist Ansprache, Austausch, Tratsch und Klatsch – mit oder ohne entsprechender bunter Zeitschriften. Schon in Babylon soll es "Klatsch" in Friseurläden gegeben haben, schreiben Hans G. Bauer und Fritz Böhle in ihrem Buch "Haarige Kunst". Und schon immer, heißt es ebendort, sei der Mensch mit dem, was er auf dem Kopf trug, nicht ganz zufrieden gewesen: Zu lang, zu kraus, zu wenig glänzend.
Es soll Menschen geben, die ihrem Friseur treuer sind als ihrem Lebenspartner. Natascha M. gehört zu jenen Friseurinnen, die sehr viel über ihre Kunden wissen. Sie betreibt einen kleinen Friseur-Salon in Wien-Hietzing, ihre Kundinnen sind zum Großteil Seniorinnen aus den umliegenden Wohnhäusern. "Ich weiß, wann Frau Huber ihre Tabletten nehmen muss, ich kenne alle Krankheiten von Frau Tureceks Hund, und ich war zur Hochzeit von Frau Krals Tochter eingeladen."
Ausschließlich um die Haare ging’s beim Friseurbesuch eigentlich nie. In seinem Buch "Salon Psychology" stellte Lewis Losconcy, Psychologe und Mitbegründer der Haarpflegemarke Matrix, die These auf, dass ein Großteil der Menschen relevante Lebensfragen erst mit der Friseurin oder dem Friseur bespricht. Und laut einer Befragung unter US-Haarstylisten, erschienen im Journal of Applied Gerontology, betrachten insbesondere ältere Menschen ihren Coiffeur als nahe stehende Person.
Eine weitere Studie von L’Oréal in Großbritannien untersuchte, bei welchen Berufsgruppen Kunden am ehesten Persönliches preisgeben. Die Friseure landeten nach Ärzten, Arbeitskollegen und Krankenschwestern auf Platz vier. Priester fanden sich erst auf den hinteren Rängen wieder.
Freud, Jung und Adler
Friseure und Friseurinnen schlüpfen also auch immer ein bisschen in die Rolle von Psychologen. Immerhin legen wir bei ihnen unseren Kopf in fremde Hände. Eine intime Geste. Experten meinen, dass diese Berührung am Kopf auch die Seele anspricht. In Fachvorträgen für Friseure erklärt Loscony, beruhend auf Thesen von Freud, Jung und Adler, wie Haarstylisten mit dem Vertrauensvorschuss ihrer Kunden umgehen sollen. "Erst zuhören, dann schneiden." Das zahle sich auf lange Sicht aus: Ein Friseur, der einmal das Vertrauen der Kunden gewonnen hat, werde kaum gewechselt.
Ist der Friseur mehr als "körpernaher Dienstleister", so ist das, was wir auf dem Kopf tragen, mehr als Mode oder Ausdruck individueller Schönheit. Haare waren immer schon Politikum. Etwa Merkmal einer privilegierten Situation oder Zeichen von Rebellion. Doch zu ernst sollte man Cäsarenschnitt, Hippiemähne oder Irokese nicht nehmen. Schließlich lässt sich auch mit adrettem Gretchenzopf ordentlich umrühren, wie die ukrainische Politikerin Julia Timoschenko einst vorzeigte und damit einen Trend auslöste.
Falls irgendwann der nächste Lockdown kommt, sollten wir uns keine grauen Haare wachsen lassen, und wenn doch: Es wird sich jemand finden, der das wieder zum Trend erklärt.
Wir haben drei unterschiedliche Friseure besucht.
Wohlfühlfaktor in der Wiener Innenstadt
Seit Markus Haunschmid denken kann, ist Friseur sein Traumberuf. Schon in der ersten Klasse Volksschule hat er seiner Lehrerin versprochen, ihr die Haare zu schneiden. Auch später, als die Berufswahl bei den Jugendlichen Thema wurde, war Friseur die einzige Option für ihn. "Es hat mich immer fasziniert, wie man mit einer Frisur Menschen glücklich machen kann." Es geht ja um viel mehr als einen Haarschnitt. Es geht um ein Lebensgefühl. Wenn die Haare passen, dann passt alles. Nicht umsonst spricht man von einem Bad-Hair-Day, wenn man schlecht drauf ist. "Wobei ich glaube, dass man, wenn der Schnitt stimmt, eigentlich gar keinen Bad-Hair-Day haben kann." Und: "Haarschnitt ist nicht gleich Haarschnitt, man kann nicht einfach einen Trend verfolgen und ihn allen überstülpen. Ein Haarschnitt muss maßgeschneidert sein. Darin zeigt sich das wahre Können eines gutes Friseurs."
Momentan scheint der Friseurbesuch das Highlight für die Menschen zu sein, bis vor Kurzem war er selbstverständlich. "Die Wahrnehmung der Wertigkeit des Friseurs hat sich jetzt stark verändert. Die Menschen sehnen sich nach uns."
Und wie ist das mit der Geschichte vom Friseur als Lebensberater? "Es kommt auf die Kunden an. Manche wollen einfach nur ein, zwei Stunden entspannen. Mit anderen quatscht man die ganze Zeit. Und man kann ja nicht mit allen Kunden gleich gut."
Wenn die Haare passen, dann passt alles."
Ob ihm schon einmal ein Kunde untreu geworden ist? "Klar. Das verstehe ich auch. Manchmal braucht man eben Abwechslung. Denn oft ist es schwierig, wenn man als Kunde, aber auch als Friseur etwas Neues ausprobieren will." Wobei die Konkurrenz in Wien nicht so groß ist wie in Paris oder London, wo es an jeder Straßenecke einen tollen Friseur gibt.
Oft werden Kunden aus terminlichen Gründen "untreu". Und fast immer kommen sie wieder zurück. "Wir sind ein Wohlfühlfaktor."
"Magic Hands" in Wien-Ottakring
Auf den goldenen Sessel ist er besonders stolz. Er ist das Schmuckstück seines Friseursalons "Magic Hands", der mitten in Ottakring, in der Friedmanngasse nahe dem Yppenplatz, liegt. Senol Kocer ist 30 Jahre alt, lebt seit 12 Jahren in Wien. Die Lehre hat er in Istanbul abgeschlossen, dem Mekka der Friseure. "Ich war 12 Jahre alt, als ich zu meinen Eltern sagte, ich will Friseur werden. Das war immer mein Traumjob", erzählt der quirlige Mann. Als Teenager, er war gerade einmal 14 Jahre alt, schnitt er bereits der ganzen Familie die Haare. "Natürlich nicht perfekt, aber mein Vater hat mich ermutigt, weiterzumachen. Er sagte immer, Junge, du musst lernen, lernen, lernen."
Ich war 12 Jahre alt, als ich zu meinen Eltern sagte, ich will Friseur werden"
Und das tat der heutige Friseurmeister, der übrigens glühender Fußballfan ist und stolz darauf, dass bekannte Sportler extra nach Ottakring kommen, damit Senol Kocer die Lieblingsfrisur zaubert. Zu seinen Stammkunden zählen etwa der ehemalige Teamstürmer Stefan Maierhofer oder Rapids Torjäger Ercan Kara. Maierhofer möchte nie wieder auf Kocers "Magic Hands" verzichten. "Seit 2009 lasse ich mir die Haare von Senol schneiden. Er bringt immer wieder neue Ideen ein und entwickelt sich weiter. Senol nimmt sich viel Zeit für seine Kunden. Ich fühle mich bei ihm richtig wohl. Nicht umsonst habe ich ihn schon vielen Leuten empfohlen. Noch dazu ist er ein super lustiger Typ", sagt Maierhofer.
Ohne Musik kann sich Senol Kocer nicht konzentrieren, im Salon ist es nie ruhig. Was aus den Lautsprechern dröhnt, dürfen sich die Kunden selbst aussuchen. "Das Jahr 2020 war aufgrund der Pandemie natürlich sehr schwierig für mich. Ich habe aber jeden Tag zehn Anrufe bekommen und wurde gefragt, wann ich endlich wieder aufmache. Das hat mich zwar sehr gefreut, aber ich habe enorm viel Geld verloren in diesem Jahr." Senol Kocer kann es kaum erwarten, den Salon wieder aufzusperren. Auf seinem Instagram Account, wo ihm fast 17.000 Menschen folgen, kündigte er die frohen Nachrichten bereits an. Nun läuft das Telefon heiß.
Treue Kundinnen und Friseurinnen in der Wiener Vorstadt
Dass die Haare schöner sind, wenn man den Salon von Iris Bolart und Denisa Schmalzova auf der Linzer Straße verlässt, ist das eine. Das andere ist, die Kundinnen haben getratscht, ihre Sorgen und Wünsche erzählt. Manche kommen einmal in der Woche zu den zwei Friseurinnen im Wiener Bezirk Penzing. Einige konnten gar nicht glauben, dass im Lockdown auch der Friseur geschlossen war. Immer wieder klopften sie an die Türe, wenn die Chefinnen Büroarbeit erledigten. Aber jetzt, jetzt geht es wieder los. Die beiden rufen ihre Stammkundinnen an. Das Terminbuch von "I & D Meisterbetrieb" füllt sich.
"Wir haben auch im Lockdown immer wieder mit einigen telefoniert, weil wir gewusst haben, sie sind alleine", sagt Bolart. Die Kunden und die Zwei – es sei ein gegenseitiges Vermissen, erklärt Schmalzova. Nun ist der Salon darauf angewiesen, dass die Menschen kommen, und zwar getestet. Für die Älteren werde das teilweise organisatorisch nicht so leicht sein. Aber auch hier sucht das Duo Lösungen. Mit der Apotheke gegenüber hat es schon Gespräche geführt, damit Tests möglich sein werden. An die Masken haben sich alle schon gewöhnt. Vielleicht werde das mit dem Testen auch so sein.
Die Hoffnung der beiden ist, dass kein Lockdown mehr kommt. Denn die Rechnungen müssen bezahlt werden, auch wenn die Hilfsgelder noch nicht auf dem Konto eingelangt sind. Bis jetzt habe man alles geschafft. "Wir sind stolz darauf", sagt Bolart. Sie ließ und lässt sich ihre gute Laune so und so nicht nehmen. "Durch das Coronavirus hat man bemerkt, wie wichtig der Friseur ist."
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