Die Utopie der frauengerechten Stadt
Es ist helllichter Tag und unwirklich still in der Seestadt Aspern. Ein Lieferwagen fährt langsam durch die Häuserschlucht. Am Spielplatz turnt ein Vater mit seinem Sohn. Der neue Stadtteil auf einem ehemaligen Flugfeld in Wien-Donaustadt hat den Flair einer Filmkulisse aus der Zukunft.
Der türkise See neben der U-Bahn, der fahrerlose Bus und die Baukräne im Hintergrund geben Außenstehenden ein surreales Gefühl. Doch die Seestadt ist Vorzeigeprojekt. Und zwar in puncto frauengerechte Stadtplanung.
Die Gehwege sind nachts hell beleuchtet, es gibt mehrere Hochgaragen, und die Wege zu den Einkaufsmöglichkeiten sind kurz. Laut einer Analyse des Verkehrsclub Österreich (VCÖ) (s. Grafik) bewegen sich Frauen im öffentlichen Raum nämlich anders als Männer. Sie gehen mehr zu Fuß und nutzen öfter die öffentlichen Verkehrsmittel, während Männer eher aufs Auto und Fahrrad setzen. Dementsprechend kommen kurze Wege eher Frauen zugute.
Angsträume vermeiden
Geschlechtersensibles Planen und Bauen ist ein recht neues Thema. In Wien jedoch hat es eine lange Tradition. Es geht darum, die Bedürfnisse von Frauen ebenso zu berücksichtigen wie jene von Männern, die diesbezüglich seit jeher den Ton angeben. Man denke an uneinsehbare Hauseingänge, verwinkelte Tiefgaragen und hohe Straßenbahnen, die das Einsteigen mit Kinderwagen zur Herausforderung machen. Auch wenn sich in den vergangenen Jahren viel getan hat, ist die Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen bis heute zumeist Frauensache.
„Es gab zynische Anfragen, ob wir auch die Perspektiven von Hunden und Kanarienvögeln einbeziehen“
Bereits in den 1980er-Jahren waren viele Frauen in der Stadtentwicklung engagiert. 1991 dann wurde das Thema mit der Ausstellung „Wem gehört der öffentliche Raum – Frauenalltag in der Stadt“ erstmals an die Öffentlichkeit herangetragen. Eine der Initiatorinnen war Eva Kail, heute Gender Planungsexpertin in der Baudirektion der Stadt Wien. Sie erinnert sich noch an die damaligen Anfeindungen: „Es gab im Vorfeld zynische Anfragen, ob wir jetzt die Gehwege pink streichen oder auch die Perspektiven von Hunden und Kanarienvögeln in die Stadtplanung einbeziehen wollen“, erzählt sie.
Einer der ersten Ansatzpunkte nach der Ausstellung war damals die Parkgestaltung. In einer Studie für das Frauenbüro wurde 1997 festgestellt, dass Mädchen zurückhaltender bezüglich Raumaneignung sind und sich ab dem zehnten Lebensjahr oft aus Parks und öffentlichen Spielanlagen zurückziehen. In der Folge wurden anhand von Pilotprojekten Lösungsansätze erarbeitet. So wurden die hermetischen Zäune der Ballspielkäfige, die vorwiegend von Burschen benutzt wurden, geöffnet und Spielflächen um Markierungen für Volleyball und Badminton ergänzt. Planungsgrundsätze für geschlechtssensible Park- und Spielplatzgestaltung bilden seither die Grundlage für jede Neu- oder Umgestaltung in Wien.
Das gilt auch für die Umgestaltung des Reumannplatzes im 10. Wiener Gemeindebezirk. Mit der Verlängerung der U1 wurde die Straßenbahnlinie 67, die zuvor mitten durch den Platz fuhr, ab hier eingestellt. So entstand Raum für Neues. Und der wird für geschlechtssensible Gestaltung genutzt. Breite Wege sollen genügend Möglichkeit zum Ausweichen geben. Hohe Büsche, die die Sicht versperrten und so Unsicherheit erzeugten, wurden entfernt. Um den Spielplatz gibt es einen Zaun, durch den man durchblicken kann. So können Begleitpersonen auch außerhalb sitzen und sind nicht abgeschottet.
„Reumädchenplatz“
Ein spezieller Bereich ist der „Reumädchenplatz“. Das Projekt startete bereits 2015, Mädchen aus der Umgebung haben das Areal selbst gestaltet, Bänke und Tische bunt bemalt. Nun wird hier eine Bühne errichtet. Das haben sich die Mädchen beim Beteiligungsprojekt im Vorhinein gewünscht und die Bühne selbst mitdesignt. „Mädchen nutzen den Raum meist anders als Burschen, durch geschlechtssensibles Vorgehen werden sie in ihrer Raumaneignung unterstützt“, sagt Susanne Staller. Die Landschaftsplanerin und ihr Büro tilia haben den Beteiligungsprozess durchgeführt. Dieser fand direkt am Platz statt, „weil es eine große Hürde bedeutet, in einen Veranstaltungsraum zu gehen“. Die ersten Vorschläge konnten mit einem Punktesystem bewertet werden, damit auch jene mitmachen können, die wenig Zeit haben oder sich nicht so gut artikulieren können. Frauen war hier unter anderem die Sauberkeit wichtig. „Sie fühlen sich dann sicherer, weil es ihnen das Gefühl gibt, jemand kümmert sich“, erklärt Staller. Auch Sportgeräte standen auf der Wunschliste. Weil Frauen dabei weniger beobachtet werden wollen, werden zwei Bereiche geschaffen: einer direkt neben dem Gehweg und einer versteckt in der Mitte des Platzes.
Susanne Staller hat bereits im Auftrag der Stadt Beteiligungsprozesse für die Umgestaltung des Karl-Farkas-Parks, des Siebenstern-Parks und Sozialraumanalysen der Mariahilfer Straße gemacht.
Internationale Vorbilder
Neben Wien gelten vor allem skandinavische Großstädte als Vorbilder in Bezug auf Gender-Mainstreaming. „Wobei man auch sagen muss: Die südlichen Städte haben sich vielleicht später mit Themen wie Geschlechtergerechtigkeit und Verkehrsberuhigung auseinandergesetzt. Sie sind aber schneller in der Umsetzung“, erklärt die Landschaftsplanerin. So sei Barcelona noch in den 90er-Jahren eine Autofahrerstadt gewesen. Mittlerweile gilt die Metropole als Vorbild für eine konsequente Verkehrswende.
Apropos Vorbild: Gender-Mainstreaming-Pilotbezirk in Wien war Mariahilf. Eine eigene Frauenkommission der Bezirksvertretung ging schon vor 15 Jahren die Straßen ab, um die Beleuchtung zu begutachten und gezielt zu verbessern. Da er der Bezirk mit dem größten Höhenunterschied ist, war die Barrierefreiheit besonders wichtig. „Das lag auch an der sehr engagierten damaligen Bezirksvorsteherin“, sagt Planerin Eva Kail. Dabei ging es auch um kleine Verbesserungen, etwa den verwinkelten öffentliche Durchgang in der Sonnenuhrgasse mit zwei versetzten Verkehrsspiegeln auszustatten. So kann „ums Eck“ geschaut werden.
Ob Barbara Prammer oder Janis Joplin: In der Seestadt Aspern sind übrigens alle personenbezogenen Straßennamen Frauen gewidmet. „Es ist schwierig, von Best Practice zu reden, weil es immer noch wenig Practice gibt, aber Wien gilt international als führend, auch im Mainstreaming“, sagt Eva Kail. Die Seestadt kommt der Utopie einer frauengerechten Stadt wohl am nächsten. Und das kommt auch den Männern zugute.
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