Als Sprachprofiler lüften sie die Identität jener, die aus dem Verborgenen heraus andere denunzieren, verfolgen oder beschuldigen: Leo Martin ist Kriminalwissenschaftler und Ex-Geheimdienstagent, Patrick Rottler Kommunikationswissenschaftler und Datenanalyst. Geschriebene Texte sind ihr Metier und allein anhand der Eigeneigenheiten der Verfasser klären sie knifflige Fälle. „Schriftliche Kommunikation ist viel anspruchsvoller als der persönliche Kontakten“, sagt Martin. Da bietet es sich an, das Doppel-Interview schriftlich zu führen.
KURIER: Muss man bei Kontakt mit Ihnen immer vorsichtig sein?
Patrick Rottler: Als Sprachprofiler machen wir uns nicht überall beliebt. Mit jedem geklärten Fall gibt es irgendwo einen Täter, der schlechte Laune wegen uns hat.
Leo Martin: Aber solange Sie keine anonymen Briefe schreiben oder Testamente fälschen, müssen Sie auch nicht vorsichtig sein mit uns.
Können Sie mir mit wenigen Worten beschreiben, was ein Sprachprofiler macht?
Leo Martin: Wir kommen immer dann zum Einsatz, wenn Unternehmen oder private Personen anonym angegriffen, bedroht oder erpresst werden. Und zwar immer dann, wenn der Täter dabei schriftlich vorgeht. Das heißt, unser Tatort ist immer der Text.
Patrick Rottler: Unser Auftrag ist es, anonyme Schreiber anhand ihrer Sprachmuster zu überführen. Also nicht durch Fingerabdrücke, nicht durch DNA- oder Faserspuren, nicht durch seine Handschrift, sondern durch seine Sprache.
Warum braucht man dieses spezielle Fach? Warum kennt man es nicht in der Öffentlichkeit besser?
Leo Martin: Wenn alle klassischen Ermittlungsmethoden nicht zum Ziel führen, ist das Sprachprofiling eine gute Möglichkeit, dem Täter doch noch auf die Spur zu kommen. Es gibt sehr wenige Experten in diesem Bereich. Deshalb ist diese Disziplin noch nicht so bekannt, wie andere.
Patrick Rottler: Die forensische Linguistik gibt es im deutschen Sprachraum seit etwa 40 Jahren. Wie man eine Fingerspur sichert und in der Datenbank abgleicht, lernt man im Zweifelsfall an einem halben Tag. Bis man als Sprachprofiler einen komplexen Fall zutreffend bewerten kann, braucht es ein oder zwei Jahre Praxis an der Seite eines Profis. Ein Studium, beispielsweise der Kommunikationswissenschaften, Linguistik oder Germanistik vorausgesetzt.
Warum haben Sie Ihr Buch geschrieben? Sie verraten darin ja viele Werkzeuge und Kommunikationstechniken.
Patrick Rottler: Auf unserem sprachwissenschaftlichen Seziertisch landen jeden Tag neue, spannende Fälle. Verdorben, verrückt, verbrecherisch. Das Spektrum ist riesig. Unsere Auftraggeber genießen absolute Vertraulichkeit. Aber einige haben uns erlaubt, ihren Fall vorzustellen.
Leo Martin: Unser Buch ist ein Mix aus Krimi und Kommunikationsratgeber. Es erlaubt Ihnen einen Blick hinter die Kulissen der Sprachprofiler. Gemeinsam mit uns ermitteln Sie gegen anonyme Täter und überführen die Schreiber anonymer Briefe. Unterwegs lernen Sie jede Menge psychologische Tricks und kommunikative Kniffe, die Ihre Kommunikation noch besser machen. Also True-Crime-Spannung mit sofort umsetzbaren Tricks & Tipps.
Sprachprofiling - das klingt sehr spannend, sehr gefährlich, ein wenig nach (Cyber-)Kriminalität. Arbeiten Sie im Verborgenen?
Leo Martin: Wir arbeiten für Auftraggeber, die stille Ermittlungen, ohne Polizei noch Staatsanwaltschaft wünschen. Zu 80 Prozent arbeiten wir für Unternehmen, zu 10 Prozent für private Personen und zu 10 Prozent für Sicherheitsbehörden. Unser Job ist es in erster Linie Klarheit zu schaffen. Und das tun wir tatsächlich sehr diskret. Fast aus dem Verborgenen. Bis der Täter bemerkt, dass wir ihn haben, liegt unser Gutachten schon fertig auf dem Tisch.
Was ist möglich für einen Sprachprofiler? Wo sind die Grenzen?
Patrick Rottler: Wir erstellen Täterprofile und betreiben Autorenbestimmung. Bei der Erstellung eines Autorenprofils bestimmen wir anhand sprachlicher Merkmale, wie der Schreiber hinter dem anonymen Brief aussehen könnte. Alter, Geschlecht, Textfertigkeit, Bildungsgrad, regionale Herkunft und sein sprachpsychologisches Profil.
Leo Martin: Meistens haben unsere Auftraggeber aber bereits einen ganz bestimmten Verdacht, wer hinter dem anonymen Angriff stecken könnte. Zum Beispiel, weil im Erpresserbrief Informationen auftauchen, die nur ganz bestimmte Personen wissen können. Oder wenn nur wenige Menschen ein nachvollziehbares Motiv haben. Dann vergleichen wir das anonyme Schreiben mit Vergleichstexten von möglichen Verdächtigen. Wenn die Muster aus dem anonymen Brief auch in einem der Vergleichstexte auftauchen, dann haben wir unseren Täter.
Sind Sie ein wenig „Sprachpolizisten“? Ich frage, weil das Wort manchmal, zumindest in Österreich, negativ besetzt ist. Zum Beispiel, wen man andere ausbessert bzw. eine diskriminierende Formulierung anspricht.
Leo Martin: Im Gegenteil. Für uns Sprachprofiler ist Sprache in erster Linie Identität. Egal ob geschrieben oder gesprochen. Sie ist ein wichtiger Teil von uns. Und egal wie wir uns ausdrücken, ob einfach oder gehoben, gestochen oder gebrochen, gespickt von Fehlern oder fast frei davon, es ist ok. Es geht uns nicht um Perfektion. Ehrlich gesagt freut sich ein Sprachprofiler über jeden Fehler, den er findet. Denn er kann helfen dem anonymen Täter auf die Spur zu kommen.
Patrick Rottler: Und gerade weil sich unser Buch an Jedermann und jede Frau richtet, verzichten wir auf Fachlatein. Sie müssen erst recht kein großer Fan von Grammatik, Rechtschreibung oder Zeichensetzung sein. Auch wenn Sie sagen: „Von Grammatik habe ich schon mal irgendwann, irgendwo, irgendetwas gehört, meine Rechtschreibung stimmt sicher so im Groben und Kommas setze ich rein nach Gefühl ...“, werden Sie Spaß an diesem Buch haben. Vielleicht sogar noch ein bisschen mehr.
Gibt es allgemeingültige, typische psychologische Fallen? Oder kommt das auf die genutzte Kommunikationsform an (eMail, WhatsApp, Telefon, Brief…)
Patrick Rottler: Ein interessanter Aspekt ist, dass sich unsere schriftliche Ausdrucksweise von Medium zu Medium verändern kann. Während wir in E-Mails an Kunden manchmal noch so förmlich schreiben, wie früher im Geschäftsbrief, gleicht unsere Sprache bei WhatsApp oft eher schon dem gesprochenem Wort. Das müssen wir bei unseren Analysen berücksichtigen.
Leo Martin: Schriftliche Kommunikation ist anspruchsvoller als der persönliche Kontakt. Weil einen Text jeder nur aus seinem eigenen Blickwinkel betrachtet. Selbst Sachverhalte, die für uns eindeutig scheinen, müssen das für den anderen nicht sein. Missverständnisse sind vorprogrammiert. Auch, weil wir uns der Reaktion des anderen nicht so bewusst sind, wie bei der persönlichen Kommunikation.
Gibt es so etwas wie „Kavaliersdelikte“ in Ihrer Arbeit? Wo ordnen Sie den Hassbriefschreiber an den Oberbürgermeister ein, der dann doch noch mit einem letzten Brief die Notbremse zieht, ein?
Leo Martin: Da sprechen Sie einen Fall an, den wir im Buch beschreiben. Hinweisgeber, die zu Recht Missstände anprangern, fallen nicht in unseren Tätigkeitsbereich. Auch nicht, wenn sie das anonym tun. Viele Unternehmen haben aus gutem Grund genau dafür sogenannte Whistle-Blower-Systeme. Wenn wir angefragt werden, dann bewegt sich der Täter meistens im strafrechtlich relevanten Bereich. Wenn ein anonymer Schreiber dann noch rechtzeitig die Notbremse zieht, weiß der Auftraggeber das in der Regel zu würdigen.
Sie stellen im Buch fest, dass Hass und Hetze zunehmen. Warum ist das Ihrer Meinung nach so? Verschafft Ihnen das mehr Aufträge
Patrick Rottler: Das sind die Auswüchse des Internets. Anonyme Angriffe waren nie leichter als heute. Wenn Hass und Hetze irgendwo, z. B. aus dem rechten oder linken Spektrum kommen, dann ist das nur ein Fall für uns, wenn der Täterkreis irgendwie eingrenzbar ist. Wenn am Ende ganz Österreich, Deutschland und die Schweiz als Täter in Frage kommen, würden wir bis zum Sankt-Nimmerleinstag analysieren.
Was erleben Sie am häufigsten? Stalker im Privaten, Denunziationen im Arbeitsumfeld oder „offizielle“ Drohungen?
Martin: Die meisten Fälle, die wir bearbeiten haben einen Bezug zu Wirtschaft. Üble Nachrede, Bedrohung, Verleumdung, Erpressung – es ist alles dabei.
Verhaltensmuster schlagen auf die Sprache durch – haben Sie ein Beispiel, das für Sie offensichtlich ist, von Laien häufig nicht erkannt wird?Rottler: Interessant ist zum Beispiel, wenn jemand, der immer von „ich“, „du“ und „wir“ spricht, plötzlich beginnt mit „man“ zu formulieren. „Man hat mir gesagt ...“, „Man hat das in den Sand gesetzt ...“, „Wenn man das so und so macht ...“. Man-Formulierungen bauen Distanz zum Gesagten auf. Hier werde ich immer achtsam und hinterfrage genauer.
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