Kostümdirektor Jan Meier führt hinter die Kulissen der Festspiele
Auf, zu, auf, zu, geradeaus, auf zu, links, auf zu – gezählte 33 Türen muss Jan Meier durchschreiten, wenn er aus seinem Büro zu den Kostümwerkstätten herüberkommt. Der Kostümdirektor hatte sich in dem Labyrinth aus Treppen, Türen und Gängen anfangs noch selbst verirrt. Unkundige wie wir hätten besser den roten Faden der Ariadne ausgelegt, um im Reich der Kostüme den Weg hinauszufinden. Es ist ein verstecktes Reich, das von draußen unbemerkt, zwischen Zuseherraum, Bühne und Entree des Großen Festspielhauses in Salzburg verortet ist.
Direkt hinter der Fassade verbergen sich unzählige Stockwerke mit Werkstätten, Garderoben, Kostümmagazinen, Stofflagern, Kostümmalereien und Modistereien.
Seit 2015 leitet der gelernte Kürschner und Designer Jan Meier die Kostüm- und Maskenabteilung, sein Debüt feierte er bei den Salzburger Festspielen als Kostüm- und Bühnenbildner 2013 mit Shakespeares Sommernachtstraum. Seitdem sammelt Meier nicht nur Stoffe aus aller Welt, sondern auch jede Menge Erfahrung mit sich ständig ändernden Produktionsplänen, wie etwa im letzten Jahr.
Und das erfordert eine flexible Planung der Größe seines Mitarbeiterteams. „Für eine normale Produktion haben wir insgesamt 4.000 Stunden Arbeitszeit für Kostüm und Maske zur Verfügung. Die Werkstattkapazität zwischen Oktober und Juni hat insgesamt „nur“ 30.000 Stunden“, erzählt Jan Meier. Das ist für die Festspiele zu wenig. Wenn Stücke wie Elektra, Tosca oder Cosi fan tutte wieder neu aufgenommen werden und zusätzlich Neuproduktionen auf dem Programm stehen, ächzen aber zum Glück nur die Bretter der Probebühne.
Denn Meier hat für die Kostümwerkstatt in der Saison zusätzlich 35 Mitarbeiter, vier Modisten, drei Kostümmaler, drei Weißnäher, sechs Schuhmacher und zusätzliche Damen- und Herrenschneider eingestellt. Dazu kommen weiters 90 Garderobiers und 65 Maskenbildner, damit alles zur richtigen Zeit fertig wird.
So können fallweise auch 13.000 Arbeitsstunden ausschließlich für eine Produktion anfallen, wie es bei der Zauberflöte 2018 der Fall war. Selten, aber doch ist ein Kostüm auch schneller fertig. „Einmal hat es nur 24 Stunden gedauert, bis wir für Cecilia Bartoli ein neues Tanzkleid für die Westside Story angefertigt haben“, lacht Jan Meier.
Die aufwendigsten Kostüme
Angekommen im x-ten Gang öffnet er eine blaue Türe mit der Nummer 606, den Arbeitsraum einer Kostümmalerin. Noch liegt nichts auf ihrem Arbeitstisch, sie hat gerade den ersten Arbeitstag und bereitet das Zubehör für die kommenden Produktionen vor.
Dabei ist künstlerisches Talent gefordert, wenn so aufwendige Kostüme wie für die Pique Dame, ein Onesuit für Faust, der komplett mit Swarovski-Kristallen bestickt war, oder Kostüme für Orphée von Jacques Offenbach angefertigt werden. „Orphée war ein riesiges Feuerwerk an Kostümen, Perücken und Glitter – Theater as its best.“ Nicht ganz so glamourös, dafür aber ebenso aufwendig war die Produktion für Lady Macbeth von Mzensk 2017. „Da haben wir 700 Meter Stoff, dicke Baumwolle für Arbeitskleidung, erst zum Waschen geschickt. Dann mussten wir ihn im großen Ballettsaal auslegen, wo der Stoff von der Färberei bemalt und fixiert wurde, bevor er wieder zurück in die Wäscherei ging.
Dann kam er wieder zu uns, und wir verschickten ihn zu Nähern in die Steiermark, wo daraus etwa 100 Gefangenenoveralls geschneidert wurden.“ Zusätzlicher Skill: die Onesuits mussten in zehn Sekunden angezogen werden können, da die Musik von Schostakowitsch nicht mehr Zeit zum Umziehen zuließ.
Auch im zweiten Stock der Kostümwerkstätten reiht sich Tür an Tür, und die Weißnäherin gibt den Blick auf Unterwäsche frei, die hier für die Darsteller von Jedermann und Don Giovanni genäht wird. 800 Kostüme sind für dieses Stück nötig, allein die 150 Statisten müssen sich dreimal umziehen. Ein Trubel, in dem es doch zu Pannen kommen kann? Doch der Kostümdirektor winkt ab. So viel passiert zum Glück nicht, aber kleine Hoppalas während der Aufführung können schon manchmal vorkommen. Gefragt ist dann Improvisation, von Schauspielern wie Garderobiers.
Haute Couture für die Bühne
Denn wenn einem Lysander im Sommernachtstraum beim Kofferaufheben hinten die Hosennaht aufplatzt und die bunte Unterhose zum Vorschein kommt, sorgt das für ungewollte Heiterkeit im Publikum. Schuld war damals ein Anzug von der Stange. „Heute geht der Trend, Kostüme von der Stange zu kaufen zurück, die Kostümbildner kreieren lieber wieder selbst. Und wenn ein Kostüm, etwa das für Anna Netrebkos Tosca, für die Buhlschaft und den Jedermann von Hand gefertigt wird, ist das echte Haute Couture.“ Die Anproben gehen dafür flotter als gedacht.
Wenn Schauspieler und Kostümbildner tagsüber proben, bleibt wenig Zeit übrig. Ganze 41 Minuten ihrer kostbaren Freizeit musste Operndiva Anna Netrebko opfern, um die drei Tosca-Kleider, kreiert von Renate Martin, zu probieren. Heute werden Kostümentwürfe vor dem Probenbeginn besprochen und anhand von Probenkostümen überprüft. Das war in den 1950er-Jahren noch anders. Damals wogen die Kleider bis zu 20 Kilogramm, die Schauspieler konnten sich damit nicht so auf der Bühne bewegen, wie es heute üblich ist. Dank innovativer leichter Stoffe bewähren sich die Bühnenkostüme heute auch bei wildem Spiel. „Ich freue mich schon sehr auf Das Bergwerk zu Falun, weil es ein anderer Hofmannsthal ist als der Jedermann. Die Kostüme sind zwischen Fantasie, Hexenwelt und den 1920er-Jahren angesiedelt und müssen sehr robust sein.“
Auswahl für passende Stoffe hat Meier genug. Im Stofflager verbringt der Kostümdirektor viel Zeit. „Unser Stofflager ist die linke Herzkammer, die Werkstätten sind die rechte, ohne die passiert gar nix.“ Neben Stoffen wird aber auch etwas anderes in Mengen bestellt. Nämlich Wodka. Kanisterweise. „Den brauchen wir, um die Kostüme nach den Aufführungen auszusprühen, damit werden sie quasi gereinigt und Gerüche neutralisiert. Da wundert sich schon manchmal unsere Rechnungsabteilung.“
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