Ex-Jedermann Peter Simonischek über Veronica Ferres und Lars Eidinger
Acht Jahre lang war ich der Jedermann bei den Salzburger Festspielen, doch dass nach drei Jahren nicht Schluss war, lag an meiner Frau. Nach drei Jahren habe ich mich mit ihr beraten. Schau, habe ich gesagt, die meisten ziehen dann wieder weiter. Ich muss sagen, ich habe damit gerechnet, sie werde antworten: Wir waren jetzt lange genug in Salzburg. Lass uns im Sommer wieder Urlaub machen. Doch es kam anders.
"Hast du mit dieser Rolle schon alles erlebt, was man erleben kann?", hat sie mich gefragt. Das fand ich sehr professionell auf der einen Seite, von Schauspielerin zu Schauspieler. Und sehr human auf der anderen, von Ehefrau zu Ehemann. Und so bin ich in Salzburg geblieben.
Eine wunderbare Zeit. Ich war glücklich. Jeden Morgen bin ich um sieben Uhr aufgestanden und zum Angeln gefahren. Auch die Kinder erinnern sich gerne an Salzburg. Mein jüngster Sohn Kaspar war noch klein, als ich 2002 anfing, gerade fünf Jahre alt.
Die Ferres und der Kuss
Eines Abends saß er an der Seite meiner Frau bei einer Aufführung im Publikum. Als er mich mit Veronica Ferres auftreten sah, fragte er sie: Ist das jetzt Papas neue Frau? Meine Frau antwortete ihm: Du weißt ja, er ist Schauspieler.
Doch ihm ließ das keine Ruhe. Nach einer gewissen Zeit hat er sie erneut am Ärmel gezogen: Und was, wenn nicht nur auf der Bühne? Da hat meine Frau gemeint, naja, dann packen wir unsere Koffer und hauen ab. Als dann die Szene kam, in der ich die Ferres auf der Bühne küsste, meinte er nur ganz trocken: Mama, ich glaub’, wir packen die Koffer. Ich muss heute noch lachen, wenn ich an diese Geschichte denke.
Jeden Sommer fand ich die Wiederaufnahme des „Jedermann“ besonders ergiebig. Ein gemeinsames Erinnern und doch stellenweise einen Schritt weitergehen. Das eigene Leben prägt die Rolle mit, in einem Jahr kann viel passieren, der Tod meines Vaters, meine Mutter ist gestorben. Auch die Weltpolitik wirkt ein: Das Stück handelt ja von den letzten Dingen und als 2008 der große Finanzkollaps passierte, hörte man deutlich die Kapitalismuskritik von Hofmannsthal heraus. Da gibt es ideologische Positionen, die beinahe von Brecht sein könnten. Das spielt man inmitten so einer Krise völlig neu.
Eidinger ist ohne Konkurrenz
Ich empfand es als Auszeichnung, diese Rolle zu spielen, auch weil man damit ein Stück österreichischer Theatergeschichte mitschreibt. Ich erinnere mich an das Foto von Attila Hörbiger als Jedermann im Lesebuch unserer Volksschule: gebannt sah er nach vorne, doch hinter ihm stand bereits der Tod. Ein äußerst dramatisches Bild, das mich schon als Kind fasziniert hat. Es ist eine Ikone der ganzen Dramaturgie des Stückes: Der Zuschauer weiß mehr als die auf der Bühne. Das ist eine ausgeklügelte Dramatik. Es ist kein Wunder, dass das Stück seit 100 Jahren in Salzburg diesen Erfolg hat.
Lars Eidinger ist ein hervorragender Schauspieler. Ich habe ihn gesehen als Hamlet, ich habe ihn gesehen als Richard III., ich habe ihn in einigen Rollen gesehen. Ich halte ihn wirklich für einen begnadeten, humorvollen und intelligenten Schauspieler. In gewisser Weise, in dem was er darstellt, hat er keine Konkurrenz. Es gibt mehrere großartige Schauspieler, aber in seiner Art der Begabung kommt ihm keiner in die Quere.
Gratwanderung
Er ist einer, der für Publikum spielen kann, aber ohne die Figur und ohne sich zu verraten. Ein sehr wirkungsbewusster Schauspieler, was Besseres kann dem „Jedermann“ gar nicht passieren, das muss man schon sagen. Ich freue mich sehr, dass das schauspielerische Niveau dieser Rolle wieder anschließt an einen Will Quadflieg, Maximilian Schell oder Curd Jürgens, das ist großartig.
Eidinger ist bekannt für seine intensive Darstellung von Außenseitern, ich bin sehr neugierig, wie er es anlegen wird, freue mich darauf. Wovon ich nichts halte, ist, würde der „Jedermann“ mit dem Motorrad auf die Bühne brettern oder Ähnliches. Ich finde, es ist ein Mysterienspiel und interpretatorisch nur bedingt belastbar. Es besitzt eine gewisse Naivität, und die muss sie auch behalten.
Und auch wenn ich dem Lars Eidinger nichts zu raten brauche, denn das weiß er selbst: Zwei Dinge zur selben Zeit muss der „Jedermann“ sein – Identifikationsfigur und damit Publikumsliebling, und zugleich der Böse. Er muss einiges an Schuld auf seine Schultern laden, damit der Teufel Anspruch auf seine Seele haben kann. Gleichzeitig müssen die Zuschauer um ihn bangen, hin- und hergerissen sein zwischen Empathie und Ablehnung. Eine Gratwanderung. Aber wenn man nicht mit ihm mitfühlt- und leidet, hat man in dem ganzen Stück ja nix zu weinen – und warum überhaupt sollte man sonst ins Theater?
Buhlschaft, Objekt der Begierde
Auch die Buhlschaft bewegt ganz Österreich. Was diese Rolle betrifft, verrate ich jetzt ein offenliegendes Geheimnis: Ihre Besetzung ist a priori keine schauspielerische Frage. Bei der Buhlschaft ist einzig die Frage wichtig: Passt sie oder passt sie nicht? Ist sie eine Folie, die sich für das Objekt der Begierde eignet – oder nicht. Das ist die einzige Frage, die beantwortet werden muss.
Wir haben in der Rolle die allerbesten Schauspielerinnen gesehen. Birgit Minichmayr, Sophie Rois, Nina Hoss – es ist ungerecht, aber ab der vierten Reihe interessiert es niemanden mehr, ob die das gut spielt oder nicht. Ab der vierten Reihe interessiert man sich, ob sie’s ist – oder ob sie’s nicht ist. Das ist etwas tückisch bei dieser Rolle, das kann man nämlich vorher ganz schwer sagen.
Die Kleiderfrage
Insofern fand ich die Ferres seit Langem unerreicht. Sie trat auf – und jeder wusste, was gemeint ist. „Die Buhlschaft“ weist wenig Individualität auf, was sich bereits am Rollennamen zeigt; sie verkörpert den Prototyp der Geliebten – mehr soll sie auch nicht darstellen. Mehr bringt es auch kaum, mit so wenigen Textzeilen.
Gespielt habe ich den Jedermann mit vier Buhlschaften. Damit beschäftigt, sich von ihrer Vorgängerin möglichst abzuheben, waren sie alle. Etwa im Kostüm: Veronica Ferres trat in Altrosa auf, Nina Hoss traditionell in Rot, Marie Bäumer in Pfirsich, bei Sophie von Kessel gipfelte es in einem blauen Kleid.
Die riesige Bühne verlangt ein besonders deutliches Auftreten – in der Erscheinung wie in der Sprache. In einem Freilichttheater zu spielen, am Domplatz, das ist vergleichbar mit dem Unterschied von Bühne zu Film: Es ist ein anderes Handwerk. Man muss den Platz füllen können – mit seiner Stimme, aber auch mit seiner Präsenz.
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