Auf ein Weekend in Viareggio: Marmor, Sand & Carneval
Zur Linken liegt das Paradies, drüben weit rechts warten die Sonne, Florida sowie Pinocchio. Und dazwischen reiht sich einer Perlenkette gleich kilometerweit Strandbad an Strandbad – vom Bagno Flora bis zum Bagno Città giardino. Ein jedes trägt seinen eigenen blumigen Namen, ein jedes versucht, durch akkurate Platzierung der Badeliegen eine gewisse Ordnung in einen lockeren Tag am Meer zu bringen.
Da plärrt Italo-Pop aus einem mobilen Lautsprecher, dort hinten lauscht jemand andächtig Radio Spirito Santo, und wir sind mittendrin in einem Urlaubsparadies, in das sich kaum jene Touristen verirren, die gern sonst jeden Winkel der Toskana abgrasen. Willkommen in Viareggio, diesem Juwel am Tyrrhenischen Meer.
Die Prachtbauten der rund 65.000 Einwohner zählenden Küstenstadt wie das Gran Caffè Margherita an der Palmenallee erinnern an jene Zeit, in der der Kunstgeschichte ein Stempel aufgedrückt wurde: der Jugendstil.
Signore Francesco Frati aber blickt dieser Tage nicht zurück. Der Patrone eines kleinen, aber feinen Hotels in der Via Giuseppe Verdi schaut freudig nach vorne – und nach oben. Besonders heute. Denn ab heute ist Karneval angesagt. Karneval im Spätsommer? „Zwei Mal ist er jetzt schon ausgefallen, daher wurde unser Carnevale nun auf September und Oktober verlegt“, erklärt Francesco.
Und was für ein Karneval! Während anderswo die Kostüme glänzen, sind es in Viareggio auch die gigantischen Figuren aus Pappmaché. Von karikierten Politikern über überdimensionale Tiger bis zu aufgetakelten Meeresgöttern wie Poseidon findet sich hier eine Vielzahl von Attraktionen, die über die Boulevards beim Meer und die Gassen der Altstadt gezogen werden. „Ein echter Touristenmagnet“, versichert Francesco.
Ein anderer ist natürlich das fantastische Essen. Sogar verwöhnte Mailänder wüssten die Pasta hier zu schätzen, heißt es. Meeresgetier sowieso. Am Pier vis-à-vis der großen Werften tummeln sich allabendlich die Massen, die Oktopus & Co. frittiert bevorzugen, andere kehren gern in die links und rechts davon liegenden Ristorante ein.
Tagsüber am Strand liegen die Dinge anders, zumindest kulinarisch. Leichte Klassiker wie Caprese mit Büffelmozzarella oder ein Teller mit Prosciutto crudo garniert mit Feigen sind angesagt.
Wenn der Marmor winkt
Blickt man nach hinten in die Ferne, ist ein leuchtendes Weiß auszumachen, das Rätsel aufgibt. Francesco, unser bestens informierter Quartiergeber, erkennt die Fragezeichen in unseren Augen und gibt zugleich mit seiner Erklärung einen Tipp für einen Ausflug: „Weiter hinten liegen die Apuanischen Alpen und Carrara. Hier strahlt das Weiß des Marmors.“
Wow! Kein Wunder, dass die Fassaden vieler Patrizierhäuser in Viareggio so nobel wirken. Im benachbarten Städtchen Pietrasanta etwa sind seit Jahrhunderten Bildhauer am Marmor zugange, sogar Michelangelo soll sich hier nach Gustostückerl für seine Skulpturen umgesehen haben, erläutert Signore Frati. Mit dem Zug Trenitalia oder mit dem Bus sind es nicht einmal zehn Minuten bis dorthin. Und was einen dort erwartet, ist eine echte Attraktion.
Der Platz vor dem Dom von Pietrasanta erweist sich als spektakuläre Open-Air-Galerie. Ob Studenten oder namhafte Meister, sie alle schmücken in der Sommersaison die Piazza regelmäßig mit ihren Skulpturen. Und das auf durchaus pfiffige Weise. Zuletzt gesichtet wurden eine überdimensionale Wurst in Violett sowie Spiderman und Wonder Woman mit einem Superhelden-Baby im Kinderwagen. Falls Jeff Koons oder Damien Hirst nach Inspirationen suchen, bitte, in Pietrasanta geht weitgehend unbemerkt von der internationalen Kunst-Schickeria die Post ab.
Ab ins Mittelalter „Na, wie war der Ausflug?“, fragt Francesco Frati, als er uns später antrifft. Mittlerweile nennen wir unseren Hotelier, der sämtliche Zimmer mit originellen Bildern, Postern und Kunstwerken geschmückt hat, freundschaftlich „Cecco“ und zeigen uns mehr als begeistert von seinem Tipp. „Grazie mille, Cecco, molto superlativo!“. Was zur Folge hat, dass er mit einem weiteren Vorschlag aufwartet: „Wollt’ ihr auf eine Zeitreise gehen? “ – „Na, und wie! Wo kann man einchecken?“
Ein paar Gehminuten von hier befindet sich eine Busstation mit Verbindung nach Lucca. Für alle, die Pisa und seinen schiefen Turm schon von früheren Toskana-Trips kennen, ist dieser kleine Ausflug zwischendurch perfekt. Der antike Stadtkern von Lucca mit seiner fast vollständig erhaltenen Stadtmauer macht das Mittelalter greifbar und ist zugleich ein schöner Kontrast zu den Stunden am Strand.
Der Aperitivo ruft!
Von der Zeitreise geht’s pronto zurück zum Aperitivo in Viareggio. Wir wollen im großen Stadtpark mit seinen Pinien, Buchen und Palmen bei einem der vielen Fahrradverleiher vorstellig werden. Nach einer halben Stunde im Sattel gelangt man nämlich zu einer weiteren Sehenswürdigkeit, mit deren Besuch man zu Hause auftrumpfen kann: die Villa Puccini am Torre del Lago.
Heute ein Museum, vor mehr als hundert Jahren die Wohn- und Wirkungsstätte des Komponisten, entpuppt sich die Villa mit ihren vielen in Vitrinen und auf Regalen liebevoll verstreuten Erinnerungsstücken als Wallfahrtsort für Puccini-Fans aus aller Welt. Mehr noch, da im Haus auch eine Kapelle untergebracht ist, dient die Villa auch zur Gedächtnisstätte.
Der 1858 in Lucca geborene Giacomo Puccini machte sich einst auch einen Namen als eines der ersten Opfer eines Verkehrsunfalls. Nein, nicht er war der Bruchpilot. Der Komponist von Opern wie „Turandot“ und „Madame Butterfly“ saß am Beifahrersitz, als sein Chauffeur den Wagen auf der kurzen Strecke von Viareggio nach Torre del Lago in den Graben gelenkt hat. Am 25. Februar 1903 war das, also Schnee von gestern.
Puccini laborierte dem Vernehmen nach lange an den erlittenen Blessuren. Also, attenzione, Vorsicht, denn an dem Mix aus Asphalt, Erde und Schotter dürfte sich zumindest auf den Radwegen bis heute kaum etwas geändert haben.
Die Zeit drängt, wir wollen Cecco arrivederci sagen und vor der Abreise aus Italien noch einen ganzen Tag in Florenz verbringen. Stimmt, ist nicht viel für den Stolz der Toskana, aber man kann ja demnächst wiederkommen, denn Florenz ist wie Venedig immer eine Reise wert. Wir haben im Internet auch eine Unterkunft gefunden, die perfekt zu dieser Stadt passt – in einer oberen Etage eines Patrizierhauses mit direktem Blick auf den Dom.
Davids bestes Stück
Der Dom von Florenz, auch als Santa Maria del Fiore bekannt, die Uffizien und der ein oder andre Flagshipstore von Armani, Gucci, Versace & Co. Ja, Florenz kann etwas. Das haben sich aber auch Hunderte andere Städtetouristen gedacht. Wer sich also unter die schwere Kuppel begeben möchte, die weithin die Silhouette der Stadt bestimmt oder gar das beste Stück von Michelangelos originaler David-Skulptur aus der Nähe betrachten will, muss sich geduldig in eine Warteschlange einreihen.
Oder, ein kleiner Tipp, man geht nach Plan B vor. Spaßig ist etwa, ein Auge auf die Touristen zu werfen, die es auf den Spuren des fiktiven Serienkillers Hannibal Lecter oder Dan Browns „Inferno“ nach Florenz verschlagen hat. Sie sind in der Menge leicht auszumachen, denn meist haben sie die betreffenden Krimis als Reiseführer griffbereit.
Dass in Florenz ein Gang über die mit Geschäften und Werkstätten bestückte Brücke Ponte Vecchio dazugehört, versteht sich von selbst. Aber zur Beantwortung der Frage nach dem besten Eisgeschäft der Stadt, gehört ein guter Riecher. Die Gelateria dei Neri ist ein heißer Tipp aus der Mode- und Kunstszene. Nichts wie hin, bevor auch dort die Massen Schlange stehen ...
... die RAI, die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt Italiens, 1954 ihre erste große Live-Außenreportage vom Karneval in Viareggio machte?
… die Fertigkeit, aus leichtem Pappmaché meterhohe Skulpturen und Bauwerke zu schaffen, 1925 von Antonio D’Arliano in Viareggio zur Kunst – und zu den Schmuckstücken des Karnevals – erhoben wurde?
… der Hollywood-Star Elke Sommer als Teenager völlig unerwartet am Strand von Viareggio von einem Fotografen abgelichtet und dann zur „Miss Viareggio 1958“ gekürt wurde?
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