Eva Menasse im Interview: „Es muss immer ein Geheimnis bleiben“
Mit der "freizeit" spricht Eva Menasse über ihren neuen Roman "Dunkelblum" und Sünden der Vergangenheit, aber auch über Fußball, weiße Spritzer und Fernsehen.
Die vielfach preisgekrönte Wiener Schriftstellerin Eva Menasse lebt seit 2003 in Berlin. Mit „Dunkelblum“ hat sie eben einen aufsehenerregenden neuen Roman herausgebracht. Ihm liegt ein schreckliches Verbrechen zugrunde, das sich in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs in einer Gemeinde im Burgenland ereignet hat. Dabei versteht die Erfolgsautorin es meisterhaft wie kaum eine andere, Vergangenheit und Gegenwart zu verknüpfen.
"freizeit": Frau Menasse, Ihr neues Buch bekommt nicht nur hervorragende Kritiken, es sorgt auch wegen seines Themas für Gesprächsstoff. Die schrecklichen Vorkommnisse im fiktiven Grenzort Dunkelblum, wo es gegen Ende des Zweiten Weltkriegs zu einem Massaker kommt, sind von wahren Begebenheiten in-spiriert. Wie Sie sagen, ging es Ihnen aber nicht darum, ein geschichtliches Werk zu schreiben?
Eva Menasse: Genau, die Rahmenhandlung spielt in der jüngeren Vergangenheit, also 1989. Was davor passiert ist, verdrängt, zugeschüttet wurde, ist der Boden, auf dem die Geschichte sich entwickelt. Dunkelblum steht auch nicht nur für eine bestimmte Kleinstadt, es steht für etwas Universales. Einen Ort, an dem ein unglaublicher Gewaltausbruch passiert ist. Und das gab es ja vorher und nachher immer wieder.
Ist Dunkelblum eine Allegorie?
Nein, so weit würde ich nicht gehen. Dazu ist es schon zu deutlich von der österreichischen Grenzgegend inspiriert. Ich will erzählen, was damals dort möglich war. Aber nicht faktisch, sondern auf einer allgemeingültigeren Ebene.
Wäre Dunkelblum auch in Deutschland möglich?
Ja natürlich, es hat ja diese Massaker-Orte auch in Deutschland gegeben, in Polen … Aber für mein Buch hat mich viel mehr interessiert, was danach kommt.
1989 war Deutschland mit seiner Erinnerungskultur allerdings einen Schritt weiter, oder?
Ja … aber nach der Wiedervereinigung wurde es dann wieder komplizierter, weil in Ostdeutschland vieles ganz anders gelaufen ist. Obwohl sich die DDR als antifaschistischer Staat geriert hat, blieben ja dennoch Alt-Nazis unbehelligt, stiegen in die DDR-Elite auf.
Sie leben jetzt seit etwa 20 Jahren in Berlin. Ihr Umgang mit der österreichischen Sprache klingt in Ihren Büchern aber sehr authentisch. Ist Ihnen das auch deshalb ein Anliegen, weil Ihr Vater, der 1938 als Kind nach England fliehen musste und erst nach dem Krieg zurückkam, seinen Zugang zum Wienerischen verloren hatte?
Mein Vater ist allerdings ein unglaublicher Wien-Patriot. Er hat über seinem Schreibtisch diesen Spruch hängen: „Man kann einen Menschen aus Wien herausnehmen, aber nicht Wien aus einem Menschen.“ Aber Sie haben recht: Bei mir ist das vielleicht eine Art Heimwehbewältigung.
Ihr Vater war auch Fußballer, spielte im Nationalteam. Sind Sie Fußball-Fan?
Ich habe mich sehr lange Zeit bemüht, ein Fußball-Fan zu sein. Ich habe in meiner Jugend ungezählte Stunden an verregneten Samstagen mit meinem Vater im Horr-Stadion verbracht, um die Austria schlecht spielen zu sehen. Aber ich muss sagen: Es ist mir nicht gelungen, ich bin gescheitert.
Sie selbst haben nie gespielt?
Nein … Das hätte mich aber gereizt. Damals gab es jedoch kaum Mädchen-Fußball und mein Vater war auch der Überzeugung, dass Fußball nichts für Mädchen ist und ich lieber Tennis üben sollte. Wenn ich mir aber heute so die Mädels beim Fußballspielen anschau, hab ich das Gefühl, dass mir das Spaß gemacht hätte.
Was gefällt Ihnen in Berlin besser als in Wien?
Berlin, das sind mehr als zehn Städte in einer. Und zwar total verschiedene Städte mit unterschiedlicher Atmosphäre. Ein bissl Istanbul, ein bissl New York, Libanon und auch Wien-Hietzing, München – ich genieße diese Vielfalt. Außerdem ist Berlin so riesig, dass man nie zufällig irgendjemanden trifft, also, wenn man nicht will. Berlin ist cool und lässt einen total in Ruhe.
Was gefällt Ihnen in Wien besser als in Berlin?
Ich mag das südöstliche Element Wiens, die Nähe zum Balkan, das vermisse ich in Berlin. Dann der Humor, das Essen, der Wein – und eine gewisse Lockerheit des Denkens. Laissez faire, auch einmal fünf gerade sein lassen, das beginne ich doch auch wieder mehr zu schätzen, also im Gegensatz zu dem eher puritanisch-rigorosen Ansatz in Deutschland. Das haben die Österreicher – in letzter Zeit – den Deutschen voraus. Die sind gerade ein wenig verspannt.
Berliner Weiße oder weißer Spritzer?
Auf jeden Fall der weiße Spritzer. Wenn meine Mutter in Berlin auf Besuch ist und wir etwas trinken gehen, muss ich den für sie bestellen. Weil sie das Wort Weißwein-Schorle einfach nicht aussprechen mag. Sie findet es beinahe ekelhaft. Ist es ja auch irgendwie, aber wenn man in Berlin einen weißen Spritzer bestellt, schaut einen der Kellner an, als hätte man ihn sexuell belästigt …
Wieso das?
…
Nein! Oh mein Gott, dieses Bild krieg ich jetzt nie wieder aus dem Kopf. Ich glaube, ich bestelle ab jetzt auch Schorle, und Sie sind schuld.
Nein, die Berliner mit ihren Assoziationen sind schuld!
Aber weil wir gerade bei klassisch österreichischen Ausdrücken sind: Dieses Verniedlichende, teils Anbiedernde am österreichischen Dialekt, macht ja das Grauen in „Dunkelblum“ beinahe noch schlimmer. Ist das so gewollt?
Den Dialekt, der ja alles immer kleiner macht, dieser dauernde Diminutiv, das Baucherl, das Glaserl, das Tschopperl, das Zniachterl – den hab ich ja nicht erfunden. Wie das auf Außenstehende wirkt, hab ich selbst erst durch Kritiken im deutschen Feuilleton erfahren. Aber ja, da ist natürlich was dran. Nicht umsonst sprach Hilde Spiel von der „Dämonie der Gemütlichkeit“. Oder Rudolf Burger von der „zähnefletschenden Herzlichkeit“.
Wie entstehen Ihre Romane, wie darf man sich das vorstellen?
Ein neues Buch entsteht nur aus einer Wüstenei an Zeit heraus. Die Ideen kommen, wenn man mit Muße, ganz ohne Druck, selbst wieder kreuz und quer lesen kann. Am besten in einer Bibliothek …
Und wenn Sie dann schreiben, müssen Sie alles andere von sich fernhalten? Werden Sie zum Monster, um das alle auf Zehenspitzen herumschleichen müssen?
Das ist sehr unterschiedlich. In wirklich schreibintensiven Phasen lese ich gar nicht mehr, oder höchstens Sachbücher, weil ich zwar denken will, aber nicht fühlen. Ich schau dann auch kaum fern, bin kein wirklich angenehmer Mitbewohner, nicht sehr aufmerksam, fürchte ich. Es gelingt mir zumindest, mich nach so einem Arbeitstag halbwegs als Mutter zu verkleiden, Abendessen zu kochen und Dinge zu tun, die von einem erwartet werden. Aber danach zieht es mich dann oft wieder zurück zum Schreibtisch.
Wie wichtig sind Geheimnisse?
Sehr wichtig. Für die Literatur sowieso, ich glaube, dass auch in Büchern immer ein Geheimnis bleiben muss. Das muss kein Handlungsgeheimnis sein, kein Rätsel im Sinn eines Thrillers, es kann auch etwas Atmosphärisches sein. Es ist zutiefst unbefriedigend, wenn am Ende alles restlos aufgeklärt ist, man ist dann so satt wie nach einem Fast-Food-Menü bei McDonalds. Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe von Literatur ist, alles zu erklären, sondern Räume zu öffnen, in denen sich der Leser umsehen kann, wo es etwas zu entdecken gibt. Genau so sind die Bücher, die man immer wieder lesen kann und will. Die funktionieren nicht linear, wie ein Pfeil oder eine Straße …
Sie haben vorhin das Fernsehen angesprochen. Wie Sie Ihre Figuren einführen, sie umkreisen, sich Ihnen ganz langsam nähern, immer nur ein kleines Stück aufdecken. Das hat auch etwas von der Qualität guter Fernsehserien, wie sie Netflix und HBO produzieren ...
Ja, die Schnitt-Technik ist auch faszinierend, wenn Sie etwa „Breaking Bad“ oder, was ich noch lieber mag, „Better Call Saul“ anschauen. Es ist ein wenig wie auf einem Schachbrett. Man lässt die Figuren nach und nach vorrücken – und dann beginnen sie miteinander zu interagieren, werden in gewisser Weise miteinander verwoben. Viele Motive erkennt man anfangs gar nicht, sondern erst, wenn sie wiederkehren. Es muss nicht immer alles sofort erklärt werden.
Sind Sie Binge-Watcherin?
Ich habe mit „Better Call Saul“ angefangen und war danach völlig süchtig. Ich bete Bob Odenkirk an, Sie müssen das sehen, das ist so witzig. „Breaking Bad“ hab ich natürlich auch gesehen, danach ist man so heimatlos wie ein Kind, das mit Harry Potter fertig ist. Da weiß man ja nicht, wo ist der nächste Stoff, der so gut ist? Eine erfahrene Binge-Watcherin hat mich dann auf „Ozark“ aufmerksam gemacht. Das hat bei mir leider auch funktioniert, viele Staffeln lang. Aber ich mag auch Sachen wie „After Life“ mit Ricky Gervais.
Ihr Hang zu richtig hartem Zeug kommt jetzt zumindest für mich doch überraschend. Andererseits ist „Dunkelblum“ auch keine Kinderjause.
Ja, wobei ich die brutalen Dinge nicht explizit beschreibe…
Was sie nicht weniger verstörend macht, weil unsere Fantasie die Szenen zu Ende spielt.
Das stimmt, wie etwa Michael Haneke in seinen Filmen immer wieder gezeigt hat.
Kommentare