Popstar Anna F.: „Ich habe Gefühle, keine Visionen“
Ein Karrierestart wie aus einem Hollywood-Film: Vom steirischen Dorf auf die großen Bühnen der Welt, entdeckt von keinem Geringeren als Lenny Kravitz, goldene Schallplatten, preisgekrönte Filme – und dann: immer wieder lange Pausen. Zwölf Jahre ist es her, dass Anna F. so sensationell wie kaum jemand anderer durchstartete, zu Recht als Österreichs einziger internationaler Popstar gehandelt wurde.
Es dauerte ganze vier Jahre bis zur zweiten CD. Jetzt, nach knapp acht Jahren, meldet sie sich als Frontfrau einer All-Girls-Band zurück. „Yeah, Yeah, Yeah“ heißt ihre aktuelle EP. Ihr Sound klingt neu und frisch wie sie selbst, als wir sie per Video-Chat in ihrem Londoner Apartment erreichen.
freizeit: Gratuliere zur neuen Platte. Ich habe gehört, sie läuft auch in England sehr gut?
ANNA F.: Danke, ja, es ist wirklich toll, sie spielen uns ganz gut im Radio, sogar mein Lieblings-DJ Steve Lamacq auf BBC 6 mag unsere Songs. Leider hat uns der Lockdown praktisch ein ganzes Jahr gekostet. Das ist gerade für eine neue Band ein richtiges Problem.
Weshalb?
Weil du als neue Band mit Live-Gigs auf dich aufmerksam machst. Wir hatten gerade die Pub-Phase hinter uns. Richtig harte Abende in Kneipen, in denen niemand auf dich wartet und wo du nicht einmal ein Gratisgetränk bekommst, aber da muss man eben durch. Mit unserem Auftritt beim Eurosonic im Jänner 2020 in Groningen konnten wir dann voll überzeugen, hatten 20 fixe Zusagen für den Festival-Sommer – und plötzlich ging gar nichts mehr. Das ist ziemlich frustrierend.
Du hast sehr viel Energie und Herzblut in das Projekt gesteckt.
Ja, voll. Ich glaube, ich habe noch nie so viel gearbeitet wie die letzten drei Jahre. Ich hatte mir vorgenommen, von London aus neu zu starten, Anna F. hinter mir zu lassen. Aber natürlich war London das eher wurscht. Keiner kennt dich, keinen interessiert es, ob du in Österreich oder Italien eine goldene Schallplatte bekommen hast oder mit wem du schon auf Tour warst. Du fängst von vorne an, musst durch das, was du machst überzeugen, nicht dadurch, wer du bist.
Die Sache mit der Band war Teil des Plans?
Das hat sich eher so ergeben, weil ich die Gitarristin schon gut kannte, und die mit der Schlagzeugerin in einer WG wohnte ... Also eigentlich ganz klassisch, wie es halt überall passiert, wenn Bands zusammenkommen. Aber es passt perfekt, weil’s eben auch ein Schritt weg von der Sängerin ist, die sich von wechselnden Musikern begleiten lässt. Mir taugt es voll in der Band.
Schlägt sich das auch musikalisch nieder?
Natürlich! Derzeit spielen wir Songs, die ich noch davor in Kalifornien geschrieben habe, aber auch die verändern sich durch den Input der anderen. In Zukunft wird das noch spürbarer sein.
Ein erfolgreiches Bandprojekt in London, der Stadt mit der höchsten Band-Dichte, aufzustellen, ist eine Herkulesarbeit, keine Frage. Aber: Sieben Jahre seit deiner letzten CD, acht seit dem letzten Amadeus. Was war da los?
Ja pfuh, das sieht echt nicht gut für mich aus! (lacht) Aber ich schwöre, ich war früher auch schon fleißig. Es dauert bei mir nur wahnsinnig lang, bis ich mit etwas zufrieden bin.
Wie darf ich das verstehen?
Manche Künstler haben eine Vision, für die legen sie sich mit Gott und der Welt an. Ich wünschte manchmal, ich wäre auch so. Aber ich habe Gefühle, keine Visionen. Der Song ist da, die Melodie, der Text, aber WIE, das ändert sich ständig. Ich nehme praktisch 1.000 Versionen auf, um mich dann oft wieder für die erste zu entscheiden.
Du warst eine sehr junge Frau, als du plötzlich im ganz großen Pop-Zirkus mitspielen durftest. Gelingt es einem da überhaupt, eigene Entscheidungen zu treffen?
Das ist schwierig. Es gibt so viele, die dir sagen, was das beste für dich ist. Und viele, die dich einfach nicht für voll nehmen. Auch in den Produktionsräumen. Die sagen dann ,Ja, ja’ zu deinen Ideen und machen’s aber trotzdem so, wie sie halt glauben ...
Weil die Sängerin jung und hübsch zu sein hat, aber gefälligst keine Meinung haben soll? Ist das nicht ein überholtes Konzept?
Natürlich! Andererseits ist es in gewisser Weise ja auch verlockend, Verantwortung abzugeben. Gerade wenn man jung und unerfahren ist. Aber ich denke schon, die Musikerinnen heute sind um einiges tougher und selbstbewusster, als ich es vor zwölf Jahren war. Die regeln das anders.
Hast du dir zu viel dreinreden lassen? Würdest du die Dinge heute anders machen?
Ist schwer zu sagen. Im Endeffekt waren die Sachen ja erfolgreich. Es gab auch tolle oder zumindest unvergessliche Erlebnisse. Wer kommt schon dazu, mit Rick Knowles, dem Produzenten von Lana Del Rey, in L.A, aufzunehmen? Oder mit July Frost, die sonst für Rihanna produziert, und David Ryan Harris, einem genialen Gitarristen, Songwriter und Producer, der mit John Mayer, Santana und Dave Matthews arbeitet, Sessions zu machen? Andererseits hab ich dann kaum etwas von diesen Aufnahmen verwendet. Kannst du dir das vorstellen?
Das klingt mühsam. Was ist passiert?
Die Songs haben einfach nicht mehr gepasst. Sie waren nicht schlecht, aber nicht mehr „meine“. Vielleicht, weil die routinierten, großen Produzenten das Gefühl, das für mich die Grundlage für jeden einzelnen war, nicht erkannt haben. Vielleicht war es ihnen auch einfach egal – oder ich hab dieses Gefühl nicht genug verteidigt. Also ja, ich würde jetzt einiges anders machen. Und ich mache heute einiges anders!
Das stimmt und das hört man. Weniger „makellos“, dafür mit Ecken, Kanten, Seele – zumindest hört es sich für mich so an.
Ja genau das wollte ich auch. Vielleicht habe ich ja die ganze Zeit schon daran gearbeitet, und jetzt ist es einfach so weit.
Wie geht’s weiter?
Wir müssen einerseits versuchen, die Dynamik, die sich vor der Pandemie durch unsere vielen Pub-Gigs in London gebildet hat, wieder aufnehmen. Und andererseits, dass wir auch auf den Musikplattformen mit frischem Stoff vertreten sind. Für „Hollywood“, den letzten Track unserer EP, erscheint Ende Mai ein Video, und dann kommt auch bald eine Remix-Version, die Daniel Brandt von der Band Brandt Brauer Frick macht. Im Herbst gehen wir dann endlich auf Europa-Tour, am 22.11. kommen wir ins Wiener WUK. Ich freu mich schon so!
Deine Fans auch, da bin ich mir sicher! Bist du nach so vielen Konzerten heute eigentlich noch nervös?
Wenn du nach längerer Zeit wieder mal zuhause spielst, da kribbelt es schon ein wenig. Und bei so besonderen Gigs, etwa als wir mit Friedberg letztes Jahr zum „BBC Introducing“ in London eingeladen wurden. Sonst gilt: Je weniger Zuschauer, desto aufgeregter und je mehr Freunde, umso schlimmer.
Noch einmal zurück zu den Jahren, die du auf der Suche nach deinem Sound zwischen Berlin, L.A., London und Paris unterwegs warst: Da warst du auch als Schauspielerin durchaus erfolgreich.
Na ja, ein bisschen was hab ich gemacht, aber ich hab das nie ernsthaft verfolgt.
Solltest du vielleicht. Immerhin hat „Invasion“ von Kult-Regisseur Dito Tsintsadze Preise gewonnen, für die Rolle der verführerischen Milena hast du gute Kritiken bekommen. Und im Ötzi-Drama „Der Mann aus dem Eis“ beweist du beinahe Hollywood-Wandlungsfähigkeit.
Das waren tolle Drehtage mit Jürgen Vogel und Franco Nero! So arg war die Verwandlung gar nicht. Verfilzte Haare und falsche Zähne, das ging in der Maske noch recht flott.
Hast du eigentlich auch mal etwas nicht erreicht, was du dir vorgenommen hast?
Mein Lieblings-Regisseur Paolo Sorrentino hat mich persönlich nach Rom zu einem Casting eingeladen. Er hat in einem Café mein Video zu „DNA“ gesehen und einfach angerufen. Leider wollten die Produzenten dann doch jemanden, der sich optisch mehr von Hauptdarstellerin Rachel Weisz absetzt. Aber mit Ablehnungen zu leben, ist eines der ersten Dinge, die du lernst, wenn du Musik machst ...
Wir könnten dich also auch bald wieder in einem Film sehen?
Es gibt ein Projekt, das klingt wirklich spannend. Aber vor Herbst darf ich dazu leider nichts sagen.
Friedberg: „Yeah, Yeah, Yeah“,
EP und klares Vinyl, Rough Trade.
www.friedbergmusic.com - Musik, Pics, Goodies und die lässigsten Socken der Welt. Yeah!
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