Zwischen Krise und Comeback: Frank Sinatra hautnah
Man kann die Geschichte kaum anders beginnen als mit dem Anfang der Geschichte. Es ist ein Anfang, wie er sein soll, der einen in die Story wie ein Sog tief hineinzieht, und er ist berühmt geworden: Ein Mann steht in der dunklen Ecke einer Bar, an seiner Seite zwei „hübsche, aber langsam verwelkende Blondinen“, die darauf warten, dass er etwas sagt. Doch Frank Sinatra, der schweigt. Einen Bourbon in der einen, eine Zigarette in der anderen Hand zwar, doch er schweigt.
Er hat sich entschlossen zu schweigen, genauso wie er sich entschieden hat, Gay Talese kein Interview zu geben. Sinatra ist kurz vor 50 und eine lebende Legende. Möge kommen, was da wolle, ob nun eine TV-Doku droht, über sein Privatleben (er dated die 20-jährige Mia Farrow) und seine Verbindungen zur Mafia auszupacken, oder diese Band namens The Beatles Anstalten macht, ihm mit ihrer neuartigen Musik den Rang abzulaufen – nichts kann ihm etwas anhaben, außer vielleicht das: ein gottverdammter Schnupfen.
Deshalb sagt Sinatra Talese, dem jungen Esquire-Reporter auch ab, er ist grantig, mit heiserer Stimme kann er seine Fernsehshow nicht einsingen; enden wird die Geschichte an dieser Stelle allerdings nicht. Sie fängt an. Talese beginnt mehr als hundert Leute im Umfeld des Sängers zu interviewen. Restaurantbesitzer, Studioleute, seinen Herrenausstatter, seinen Bodyguard – sogar die Frau, die Sinatra für 400 Dollar die Woche in einer Schultasche seine 60 Toupets herumträgt. So entsteht „Frank Sinatra Has a Cold“, eine brillante, legendäre Reportage – und noch dazu eine, die quasi ganz ohne ihrem Objekt der Begierde persönlich auskommt. Als liebevoll gestaltetes Buch ist sie jetzt wieder erschienen, zusammen mit Fotos von Phil Stern, auch er ein Meister seines Faches; seine Bildreportage über die Amtseinführungsparty von US-Präsident Kennedy (mit dem Bild, auf dem Sinatra ihm Feuer gibt) ist ebenfalls legendär.
Man erfährt interessante Sachen: vom speziellen Sessel in Sinatras Stammlokal Jilly’s, der stets für ihn reserviert ist (mit dem Rücken zur Wand, als spiele er in einem Western); wie es für ihn war, eine Frau wie Ava Gardner zu lieben, die am Gipfel ihrer Karriere war, als bei ihm gerade gar nichts ging; oder von Sinatras Kammerdiener George, der für ihn kocht und ihm offenbar California Girls zuschanzt. Mit akribischer Sorgfalt porträtiert Talese einen Mann, der mit seinen Rat-Pack-Kumpels die Nacht durchfeiert, bis Dean Martin sich eine Flasche Whisky über den Kopf leert; der in einer Bar mit einem Autor aneinander gerät, weil er dessen Schuhe nicht mag. Einen Sizilianer in New York, Il Padrone, dem jeder Respekt zollt; einen Vater und seine Liebe zu seiner Tochter Nancy, mit der er jeden Tag telefoniert, und einen Sohn, dessen strenge Mutter einst davon träumte, der Bub würde Flugingenieur werden. Als sie mitkriegt, er wolle Sänger werden, schmeißt sie aus Wut einen Schuh nach ihm.
Sinatra, einer der auszucken konnte, wenn ihm beruflich etwas gegen den Strich ging. Und zugleich einer war, der sich der Lieblingsfarben und Kleidergrößen seiner Freunde erinnerte, und ihre Spitalsrechnungen beglich, wenn sie in Not geraten waren.
„Ich würde für ihn töten“, sagt einer von ihnen. Und Talese schreibt über den Sänger: „Ein Sinatra mit Erkältung ist wie ein Picasso ohne Farbe, ein Ferrari ohne Benzin – nur schlimmer.“
Wütend ob seiner Absage ist er wundersamerweise nie auf ihn. Stattdessen häuft er 5.000 Dollar Spesen an (für Hotels, Essenseinladungen, usw.) und tippt schließlich auf 200 Seiten (aus denen eine 50-seitige Story wird) eine Geschichte, die mehr ist als ein Porträt: eine detailliert beobachtete Zustandsbeschreibung, oszillierend zwischen Journalismus und Literatur. New Journalism heißt die in den 1960ern aufkommende Stilgattung, subjektiv und aufregend, und sie führt klingende Namen wie Norman Mailer, Truman Capote oder Tom Wolfe als ihre Fackelträger. Talese gelang mit seinem Text ein Bravourstück. Auch weil es ein Text über das Schreiben an sich ist: der Nähe und Distanz einer Berichterstattung verhandelt, und den Prozess, wie beobachtete Wirklichkeit zu einem Artikel gerinnt. Und es ist ein Text über einen Reporter, der eine anfängliche Niederlage nicht hinnimmt. Und sie stattdessen in ein Meisterwerk verwandelt.
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