Soll ich, soll ich nicht? Mit stummem Begehren blickt sie mich an. In Rum eingeweichte Biskotten, verziert mit Mandeln, liebkost von endlosen Schichten butterweicher Schlagoberscreme. Malakofftorte, die beste Torte aller Zeiten. Weil: Kaffeejause im größeren Kreis (als das noch erlaubt war), einer hat Geburtstag, es ist das letzte Stück auf dem Teller. Keiner nimmt es, und das ist kein Zufall: Am nächsten Tisch mit der nächsten Torte ist es das Gleiche, und auch von vorangegangenen Gelegenheiten ist das Bild wohlbekannt: Ob Torte, Kekse, Brötchen – das letzte Stück bleibt übrig. Dabei weiß ich, mein Tischnachbar will das Stück. Ich will es auch. Trotzdem beißt die Gastgeberin bei uns auf Granit. Da nutzt auch hartnäckiges Nachfragen nix. Darf es vielleicht ...? – Nein, danke. – Wär schad’ drum! – Nein. – Wirklich nicht? – Schweigen (wir sterben innerlich).
Während wir vom Anstandsstück sprechen und an vortreffliches Benehmen und manierliche Höflichkeit denken, war das letzte herzlich abgelehnte Stück einst vor allem eines: Angeberei! Als Nahrung knapp war, zeigte man Wohlstand, indem man etwas übrig ließ. Auch heute protzt man gern, nur anders: Wer seinen Appetit hintanstellt, beweist Selbstdisziplin. Seht her, ich schaue auf Gesundheit und Gewicht. Also Finger weg!
Höflich oder beleidigend?
Wiewohl das je nach Esskultur anders ausgelegt wird. In China beschämt den Gastgeber, wer seinen Teller ratzeputz leer macht. Das Gesetz der Höflichkeit würde verlangen, dass der neu aufkocht – immerhin scheint der Gast nicht satt zu sein. In Japan hingegen gilt es als Beleidigung, Essen übrig zu lassen – ein anderer hätte sich daran ja vielleicht gern erfreut.
In unseren Breiten kommen „soziale Wertorientierung und Achtsamkeit“ zum Tragen, so Sozialpsychologe Hilmar Brohmer von der Uni Graz. Wir stellen – wie beim Türe-aufhalten – pro-soziale Werte über egoistische. Und beweisen Empathie, indem wir nicht zulangen, sondern unsere Präferenzen zugunsten anderer zurückreihen. Unser Gefühl, auf etwas Anspruch zu haben, so Hyunji Kim von der Uni Wien, also unsere Gier, opfern wir der Fairness. Kurz gesagt: Malakofftorte: Ja, gerne. Aber nicht um jeden Preis.
Hier schreiben Autoren und Redakteure abwechselnd über Dinge, die uns alle im Alltag beschäftigen.
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