"Seit einigen Jahren drückt sie zurück, wenn sie umarmt wird"

Alexandra kuschelt sich an Mama Irene, die ihr seit 18 Jahren nicht von der Seite weicht
Alexandra liebt Kuscheln, Rosa und alles, was funkelt. Durch eine Genmutation kann die 18-Jährige weder gehen noch sprechen.

Die Kuschelecke zwischen Küche und Wohnzimmercouch ist ein wahrgewordener Prinzessinnentraum: Auf der Matratze reihen sich Kuscheltiere aneinander, an der Wand kleben Schmetterlinge, von der Decke baumeln Traumfänger, Glitzer-Ketten und Funkel-Sterne.

Eingebettet in die rosa Polsterlandschaft liegt Alexandra und nuckelt an ihrem Daumen. Die Knie hat sie an den Körper gezogen, die Augen geschlossen. Alexandra ist dieses Jahr 18 geworden, ihre Entwicklung entspricht der eines Babys: Sie ist ein „Rett-Mädchen“ – so werden Kinder bezeichnet, die vom seltenen Rett-Syndrom, benannt nach dem österreichischen Arzt Andreas Rett ( 1997), betroffen sind.

Fast alle sind Mädchen, weil sich das mutierte Gen am X-Chromosom befindet. Betroffene Buben, die nur ein X-Chromosom besitzen, sterben meist im Mutterleib. Pro Jahr werden in Österreich drei bis fünf Babys mit dem Rett-Syndrom geboren. Vor 18 Jahren war Alexandra eines von ihnen. „Eine Laune der Natur“, sagt ihre Mutter.

Epileptische Anfälle

„Nach einer unauffälligen Schwangerschaft und Geburt war ich eigentlich der Meinung, ein gesundes Kind zur Welt gebracht zu haben“, erinnert sich Irene Walther. Dann begannen die Schreiphasen, das Baby brüllte bis zu 17 Stunden pro Tag. „Das war kaum auszuhalten. Irgendwann traust du dich nicht mehr hinaus, weil die Leute blöd schauen: Was ist das für eine Mutter, die ihr Kind nicht beruhigen kann?“

"Seit einigen Jahren drückt sie zurück, wenn sie umarmt wird"

Die Kinderärztin kalmierte, manche Babys entwickelten sich eben langsamer. Mit drei Monaten hatte Alexandra ihren ersten epileptischen Anfall – eine Reaktion auf ständige Anspannung durch die Schreiphasen, meinten die Ärzte. Irene Walther, eine ausgebildete psychiatrische Krankenschwester, gab sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden; sie wälzte Fachliteratur, probierte unzählige Therapien, ließ den Geburtsakt ausheben. „Man sucht etwas, das die Schuld von einem nimmt.“

Es sollte fünfzehn Jahre dauern, bis ein Gentest endlich Gewissheit brachte: Alexandra, die nie sprechen und gehen gelernt hatte, litt an einer seltenen Untergruppe des Rett-Syndroms. Die epileptischen Anfälle gehören zum Krankheitsbild, ebenso die verkrümmte Wirbelsäule, das Zähneknirschen, die Schlafstörungen und die häufigen Lungeninfekte. Rett-Mädchen sind in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung stark beeinträchtigt und ihr ganzes Leben auf eine 24-Stunden-Pflege angewiesen.

Zu den emotionalen Sorgen kamen die finanziellen: Irene Walther, die fünf Jahre nach Alexandra ihren Sohn Maximilian, 13, zur Welt brachte und „immer eine arbeitende Mutter sein wollte“, war gezwungen, ihren Beruf aufzugeben. Der Vater der Kinder erlitt drei Jahre nach der Scheidung einen Schlaganfall und lebt im Pflegeheim. Vor Kurzem benötigte Alexandra einen neuen Rollstuhl, der 6.000 Euro kostete. Jetzt ist der Motor ihres höhenverstellbaren Pflegebetts kaputt. Die Krankenkasse zahlt nicht, für die Alleinerzieherin sind diese Investitionen kaum zu berappen. Als „Bittstellerin“ zu Behörden zu gehen, ist Irene Walther sichtlich unangenehm: „Egal, was man braucht, es kommt immer der Satz: ‚Das ist nicht im Kassenkatalog enthalten.’ Die Alexandra kann doch nichts dafür, dass sie krank ist.“

Viele Freunde und Verwandte haben sich abgewandt: „Sie kamen mit der ganzen Situation nicht klar“, sagt die zweifache Mutter. Neben ihr in der Küche steht ihre Schwester Monika, ihre wichtigste Stütze. „Ohne sie hätte ich es nicht geschafft.“

"Seit einigen Jahren drückt sie zurück, wenn sie umarmt wird"

Alles leuchtet

Die bunten Lampen, Spiegel und Glitzer-Accessoires im Hause Walther erfüllen nicht nur einen ästhetischen Zweck. Sie helfen Alexandra, sich selbst wahrzunehmen und ihre Sinne zu aktivieren.

„Snoezelen“ heißt das therapeutische Konzept aus den Niederlanden, das für Menschen wie Alexandra erfunden wurde: Verschiedene Elemente, etwa Wasserbetten oder Lichtkugeln, erhöhen das Wohlbefinden, wirken sowohl entspannend als auch aktivierend. In Alexandras Zimmer steht eine bunte Wassersäule, für weitere Gegenstände fehlt das Geld. Dafür wurde heuer sogar der Adventkranz mit Glitzer-Elementen veredelt.

"Seit einigen Jahren drückt sie zurück, wenn sie umarmt wird"

Weihnachten ist ihre Zeit“, sagt Irene Walther und lächelt ihre Tochter an. „Alles glitzert und leuchtet, die Musik ist anders, es riecht gut. Und es wird viel gekuschelt.“ Über die Jahre haben Mutter und Tochter ihre eigene, nonverbale Sprache entwickelt. „Wenn ich sie füttere und sie den Mund nicht mehr aufmacht, weiß ich, dass sie satt ist.“ Seit ein paar Jahren kann sie mit der rechten Hand das Fläschchen halten. Es gibt auch Fortschritte, gute Tage.

Was ist das Besondere an Alexandra? „Dass sie lächeln kann“, sagt Irene Walther ohne nachzudenken. Fest schmiegt sich Alexandra in die Arme ihrer Mama, als sich der Besuch endlich verabschiedet. Irene Walther hält sie, wie sie das schon ihr ganzes Leben tut. „Seit einigen Jahren drückt sie zurück, wenn sie umarmt wird.“

Seit 1998 erfüllt die Stiftung Kindertraum Kindern mit Behinderungen oder schweren Krankheiten Herzenswünsche. Das Geld stammt aus Spenden und Erlösen von Benefizaktionen (✆ 01 / 585 45 16, www.kindertraum.at). Familie Walther benötigt heuer dringend einen neuen Motor für Alexandras Pflegebett sowie Snoezelen-Elemente für die Errichtung einer Entspannungsecke im Kinderzimmer.

Spendenkonto: Stiftung Kindertraum
IBAN: AT10 6000 0000 9011 8500
Kennwort: Alexandra

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